ulrich woelk – der sommer meiner mutter

buch #1 der long list zum deutschen buchpreis 2019 – und es ist eins das viel richtig machen möchte und dennoch bieder bleibt und damit ein äquivalent zum deutschen sonntags-tv-krimi darstellt. auch da ist schon in den ersten sekunden eine leiche und dann werden die hintergründe stück für stück enthüllt zwischen holzgeschnittenen figuren, politischen hintergrundfassaden und sehr viel allzumenschlichem und zum schluss gibts einen plottwist, der dann letztlich so überraschend schon nicht mehr ist und sowieso nur funktioniert, wenn man ihn nicht spoilert und den film nur einmal sieht bzw den roman nicht erneut liest.

in ulrich woelks der sommer meiner mutter ist der 10jährige tobias im jahr 1969 von der bevorstehenden mondlandung fasziniert, die selbstverständlichkeiten der wirtschaftswunderspießigkeit prägen sein kölner vorortleben, das in ähnlich grauen tönen daherkommt wie das schwarzweißfernsehen und die mondoberfläche. der vater ist konservativer ingenieur, die mutter folgsame hausfrau ( sich nur dem sex verweigernd ) und der onkel war einst erfolgreicher nazikampfpilot und ist jetzt farb-tv-besitzer da zum erfolgreichen bauunternehmer aufgestiegen. tobias, dessen 50 jahre älteres ich diesen roman als bericht schreibt, steht veränderungen ängstlich entgegen und wird sich später auch mit den worten gegen seine mutter wenden, dass sie alles zerstört habe.

in diese übersichtliche welt zieht eine kommunistische nachbarsfamilie mit weltläufigkeitsgeruch und alle drei leinhards vater mutter und tochter rosa werden in so grellen farben geschildert dass die konservativen rheinländer von den linkspolitisierten paradiesvögeln nicht mehr lassen können. was anfänglich nach clash of political cultures aussieht sich dann aber gebärdet wie eine folge frauentausch mit hang zum polittrash führt letztlich zum ersten sex von tobias und zur tragischen auflösung der familien, denn tobias mutter bringt sich um – die leiche von sekunde eins -, nachdem sie mit rosas mutter ihr coming out erlebte, tobias das unfreiwillig entdeckte und der vater seine „unnatürliche“ frau verließ – der plottwist. die höhepunkte des buches – rosa-tobias-sex, lesbischer sex, mondlandung = interstellarer tv-sex – hat woelk in eine nacht hineinkomponiert der dramatik wegen. beide schwer betrogenen männer schieben daraufhin ihre frauen ab, diese sind zu keiner solidarität in der lage, da rosas mutter kurzerhand auch wegzieht und mehr erfahren wir nicht, schließlich wendet sich ein überforderter tobias auch noch gegen seine mutter und beschuldigt sie des hochverrats an seiner familie und flieht ebenfalls vor ihr.

es sind die männer, die wie karikaturen wirken durch das gesamte buch, der altnazi-kapitalist und der universitäts-kommunist finden bei der sportschau ihre freundschaft, die antikriegsproteste als alberne tv-kulisse, die raumfahrtbegeisterung in ermangelung einer modelleisenbahn – das könnte ein evtl interessantes porträt einer zeit werden aber alles gerät zu allgemeiner lächerlichkeit und das zentrum des romans ist es, die rakete zum mond zu bekommen bzw tobias endlich zum ersten sex. rosa selbst als 12jährige feministin Ist dir schon mal aufgefallen, dass in allen Geschichten die Helden immer Männer sind? Und was wenn Jesus eine Frau war? wirkt in diesem nach das kleine fernsehspiel anmutendem setting noch ein bisschen deplazierter als es diese ganzen summer of love requisiten jeans the doors make love not war zudem tun. komischerweise raucht keiner auch nur eine klitzkleine friedenspfeife, das ist woelk irgendwie durchgerutscht.

es sind diese bücher alternder autoren über westdeutsche adoleszenzerfahrungen, die mir außer einer gewissen kritischen nostalgie nicht viel sagen. das buch möchte menschen in den mittelpunkt stellen und ist vorrangig technikfixiert mit (kinder-)erotischer komponente, schließlich ist woelk studierter astrophysiker und seine sprache ist entsprechend mehr berichtsprosa als sprachsuchend. der naive tobias hat zudem ständig angst, dass ihn die meilen überlegene rosa nur als kleinen nerdigen jungen anschaut, und er hat allen grund zu dieser annahme, denn tobias ist ein kleiner nerdiger junge und wird später als astrophysiker uns alles zur raumsonde rosetta erzählen was man wissen sollte oder auch nicht. die tragödie der mutter und seine eigene beschuldigung mit schlechtem gewissen hat er dabei offenbar bestens weggesteckt, wird so schlimm dann wohl nicht gewesen sein.

es sind die themen sex / erotik / tod und technik / gesellschaft / politik und gender / feminismus / sexuelle selbstbestimmung die im sommer meiner mutter verhandelt werden auf eine sehr puppenspielhafte bis unverständliche weise, die „initiation“ des jungen tobias und wieder ein männlicher held ist dabei vollkommen unnötig :

was eigentlich treibt autoren dazu ausführlich sexuelle handlungen zwischen kindern zu beschreiben ??

denn es ist wesentlich bedeutsamer dass er vom coming out seiner mutter ihrer liebe zur nachbarin und dem enormen druck den sie die gesamte ehe über ausgehalten hat und dass sie schließlich unter der zurückweisung von ihrer familie als bestrafung zusammenbricht dass er von seiner mutter nicht nur so gut wie nichts wusste sondern auch seinen eigenen anteil an ihrer demütigung nicht wahrnahm – doch dieser frage stellt sich der roman nicht und es ist letztlich unklar, was diesen recht knappen mäßig unterhaltsamen bis störenden mäßig gelungenen roman auf die long list gehoben hat vielleicht hat ihn irgendeine erotisierte raumsonde günstig fallenlassen – egal, unwichtig, abspann.

ulrich woelk: der sommer meiner mutter. roman. c h beck, münchen 2019. 189 seiten, 19,95€.

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