miku sophie kühmel – kintsugi

buch #2 der longlist zum deutschen buchpreis ist buch #1 der shortlist. um es vorweg zu sagen: kintsugi von miku sophie kühmel ist kein schlechtes buch. als debüt ist es von beachtlicher intensität und mit ungewöhnlichem personal bestückt für eine familiengeschichte. als möglicher „roman des jahres“ und bereits jürgen-ponto-preisträgerin 2019 erhält ein buch überproportionale aufmerksamkeit, das zwar gut, aber keineswegs herausragend ist. nur zum verständnis: dies ist keine anmerkung aus neid oder missgunst, dies ist viel mehr eine anmerkung zum literaturbegriff des deutschen literaturbetriebs. wie es beim buchpreis heißt:

Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch.

es geht um aufmerksamkeit – also publikum – also verkaufszahlen, weshalb der preis von repräsentant*innen des betriebs vergeben wird, autor*innen, kritiker*innen, händler, möglichst breit angelegt, möglichst konsensfähig. literatur als sprachliches künstlerisches kritisches kontroverses medium – davon liest man auf der selbstbeschreibung des buchpreises nichts. die kritik ist nicht neu doch immer wieder notwendig: dem buchpreis geht es nicht um literatur sondern ausschließlich um das medium buch als träger belletristischer unterhaltung, es ist kein literaturpreis sondern ein verkäuflichkeitspreis, auch wenn er sich literarisch gebärdet.

betrachtet man die begründung der shortlist, wird der publikumswirksame gegenwartsroman zum soziologischen projekt:

Diese Altersstruktur rückt zwangsläufig Themen in den Vordergrund, die in der deutschen Literatur relativ neu sind: In allen nominierten Romanen gehe es „um den Ort der globalen Welt, von dem aus das eigene Dasein zu begreifen ist“, schreibt der Jury-Sprecher Jörg Magenau. Vor allem die Identität des Mannes sei problematisch geworden. Vielleicht habe der Generationswechsel damit zu tun, „dass die Jüngeren bei diesen Themen schärfer hinschauen“, so Magenau. In der Zusammensetzung der Liste wird außerdem die Ambition erkennbar, die literarische Landschaft in Deutschland in ihrer Gesamtheit abzubilden.

es sind ausschließlich inhaltliche kriterien, identität, globale herkunft, ein querschnitt durch die land-/gesellschaft. nur in diesem kontext erhält „kintsugi“ kontur, kann „kintsugi“ von größerem interesse sein : als baustein einer nach soziologischen gesichtspunkten, rein inhaltlich ausgerichteten literaturwahrnehmung – eine extreme beschneidung der chancen und risiken und möglichkeiten von literatur.

denn so funktionieren jurys derzeit. anstelle etwas auszusuchen, das manche lieben und andere verachten, ignorieren, nicht einverstanden sind, werden eher langweilige, konsensfähige sachen prämiert, denn damit macht man nichts falsch bzw eigentlich alles. zugespitzt: literatur (hier: metynomie für genreferne belletristische prosa in romangestalt) prämiert seine markttauglichkeit. ausnahmen wie frank witzel bestätigen wie immer etc.

lässt man die buchpreis-begründung einmal beiseite, bleibt mit „kintsugi“ eine familien-/liebesgeschichte mit ungewöhnlichem personal (das schwule pärchen max und reik, die coming-out-liebe tonio und dessen 20jährige tochter pega), angesiedelt in der eher exklusiven akademischen welt, max architektur-professor mit tee-/japan-fimmel, reik erfolgreicher künstler, tonio freiwilliger barpianist, pega psychologie-studentin. und eigentlich geht es doch „nur“ um die liebe und beziehungen, trennungen, vertrauen, misstrauen, sex und was der gekitteten beziehungsbrüche (daher der romantitel) mehr sind. das haus am uckermärkischen see, in dem der roman ausschließlich spielt, wird nur in übermäßig ausführlichen rückblicken und zu kleinen spaziergängen verlassen – es ist ein kammerspiel im stil edward albees „wer hat angst vor virginia wolf?“, und vermutlich wäre es als theatertext auch interessanter da deutlich stringenter.

so wird die geschichte in ihrer lückenlosen, raumgreifenden, raumverdeckenden und adjektivüberladenen sprache eher erstickt als freigesetzt: er ist schlicht ziemlich langweilig. der japanische überbau, von max in die geschichte getragen, mit titel, kapitelüberschriften, immer mal wieder zerbrechenden und geklebten teeservices ist ein überdeutliches breittreten einer vllt charmanten wenn auch auch nicht exklusiven metapher. es wäre um einiges interessanter, wenn max seinen japanfimmel nicht durch tatsächliche reisen sondern eher im stile eines karl may erfindend sich angeeignet hätte, so als wäre ihm zerbrochenes ikea-geschirr für seinen midlife-crisis-breakup nicht aussagekräftig elegant genug, als bräuchte er unbedingt exklusives original japan-prozellan zur einsicht. doch so verwegen ist „kintsugi“ nicht, die figuren meinen es leider ziemlich ernst mit sich. und weisen dabei kein bisschen über sich hinaus, es gibt keinen relevanten politischen, sozialen, gesellschaftlichen kontext im buch, es ist eine viel zu ausführliche kleine liebesgeschichte.

das kann man lieben oder nicht – als möglicher roman des jahres ist es eine enorme überladung eines guten, doch keineswegs herausragenden romans. für die autorin ist es selbstredend fantastisch, wer wünschte seinen arbeiten nicht ebensolchen (besonders finanziellen) erfolg?

doch sind deutlich bessere, engagiertere, literarischere, kontoversere texte auf der longlist verblieben. man sollte den preis definitiv in erster linie als prämierung einer konsensfähigkeit des lesepublikums verstehen, nicht aber als qualitätskriterium. was äußerst schade ist.

miku sophie kühmel: kintsugi. roman. s.fischer, frankfurt a.m. 2019. 298s, 21€.

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