vor knapp zwei wochen wurde in basel der schweizer buchpreis vergeben, u.a. war simone lappert mit der sprung nominiert, was aus sicht der literaturkonsument-/ romanverbrauch-/ prosakäufer*innen eine gute vorauswahl ergab: der sprung ist unterhaltsam flüssig witzig zum nachdenken anregend wohlkomponiert und stellt keine störenden forderungen an die leser*innen. es ist literaturbetriebskunstprosa der mattglänzenden sorte – und die bürgerliche antithese zu bergs widerspenstig sarkastischem GRM brainfuck, der glücklicherweise prämiert wurde.
was macht also der sprung richtig, um literarisch erfolgreich zu sein und gleichzeitig bedeutungs- weil völlig harmlos? nun, so ziemlich alles: es geht wieder einmal, wie in lapperts debüt wurfschatten, um den tod und das mädchen bzw das angedrohte sterben einer jungen frau, denn manu steht plötzlich auf dem dach eines hauses und droht sich runterzustürzen. im gegensatz zu wurfschatten stehen aber nicht die ängste und die motivation der protagonistin im zentrum, manu ist lediglich katalysator für die ängste alltagssorgen unerfüllten hoffnungen der sich als beobachter der wütend auf dem dach stehenden und stampfenden frau wiederfindenden personen: derangedrohte sprung versammelt episodisch eine willkürliche zahl weiterer figuren umeinander, die alle irgendwie verbunden sind – alles gehört zusammen und wir alle sind eine gesellschaft, scheint der roman sozialdemokratisch zu formulieren, und es ist unerheblich ob es der obdachlose henry der polizist felix die unglückliche maren die gedemütigte schülerin winnie oder der superreiche modedesigner ernesto ist – alle begegnen sich in sichtweite der unschlüssigen selbstmörderin und erfahren eine grundsätzliche entwicklung mit happy end. es ist nicht allein diese tröstung, angesichts des schlamassels einer anderen seine eigenen kleinen eingerichteten lebenslügen zu überwinden, der ganze roman schwimmt in bürgerlicher selbstvergewisserung angesichts einer tödlichen katastrophe: es ist die klassische form des bildungsromans mit auktorialer erzählweise, in der geschehen kann was will, am ende haben die figuren etwas existenzielles erfahren erlebt gelernt und man legt das buch im angenehmen gefühl beiseite, so schlimm ist es ja eigentlich alles doch nicht da draußen, man muss nur ganz fest an sich selbst glauben und seine träume nicht aufgeben etc etc – der sprung biete etwas hübscher formulierte lebensweisheiten, die sich aber auf ähnlichem niveau befinden:
„Zu welcher Idylle hast du keinen Zugang? Und willst du das ändern?“
der obdachlose philosoph henry – nein, das soll kein klischee sein – verkauft an die voyeuristische menge unten in der straße – auch kein klischee, gewiss nicht – existenzialistische fragen und diese ist sein opus magnum und die zusammenfassung des romans: wo und wie gehts bitte zum harmonisch verklärten kleinbürgerlichen leben? die junge manu auf dem dach lässt die tabuisierten ängste von felix – sein an asthma gestorbener kinderfreund iggy – oder der grantigen alten edna – die als lokführerin zwei selbstmorde erlebte – wiedererstehen und überwinden, winnie verbündet sich mit ihrer feindin salome zu superhelden und besiegen zusammen den oberfiesling und megaarsch timo, theres verliert zwar ihren lebenspartner und lebensmittelladen, verfügt aber in form von hunderten ü-ei-figuren – DAS symbol westdeutscher kleinbürgerlichkeit – über unerwarteten reichtum für ein neues leben etc.: am ende lauert irgendwas gutes spießiges piefiges bildungsbürgerliches idyllisches. und selbst aus manus selbstmordversuch kann simone lappert einen kalenderspruch zaubern, denn die wollte ja nicht in den tod, sondern ins leben springen. es ist dieser hang zur sinnspruchverliebten klebrigkeit, die ein weiteres mal des romans biederkeit verrät.
und ganz nebenbei ist der sprung auch eine große bastelarbeit, denn die details – ein filzhut, zigaretten, finns fahrrad, die sache mit der balkontür etc – alles ist sorgfältig und genauestens arrangiert und über die einzelnen episoden verstreut, man kann sich das am besten als fünfteilige tv-serie vorstellen, auf zdf neo oder 3sat, in der die requisiten wichtiger als die charaktere sind, denn anhand der wiederholten und durch die episoden gereichten requisiten lässt sich dem roten faden der geschichte folgen, und pro folge wird ein tabu gebrochen bzw psychologisches geheimnis gelüftet. nichts bleibt unerklärt und unbeschriftet, keine zweifel und keine irritationen, die sprache glatt und metaphernlos, schnurrt sie widerstandfrei durch die figuren – das ist handwerklich alles ganz prima gemacht, kein fehler drin, kein anschluss verpasst, kein cliffhanger vergessen, die dramaturgie der episoden perfekt aufgebaut, der spannungsbogen trägt: all das schöne schreibhandwerk, das man heutzutage an den literaturinstituten so lernen kann, simone lappert hat ihres in biel einstudiert. doch der akademischen belletristik ist außer der handwerklichen perfektion auch in diesem fall nicht zu trauen, da es zu nichts weiter reicht als zum bürgerlichen bildungsroman, der nach lockerleichter unterhaltsamer tv-serie schreit und nebenbei alles verkitscht, was ihm vor die linse kommt: die obdachlosen und außenseiter sind die eigentlichen philosophen, ein suizidversuch ist eigentlich ein sprung ins leben zudem war sie gärtnerin, die blühende fruchtbarkeit quasi, und von irgendeiner toskana kommt gewiss der prinz bzw modezar geritten und verlangt nach deinem altbackenen filzhut, warts nur ab.
Wann und warum hast du zum letzten Mal geweint? stellt henry seinem jugendlichen begleiter lukas im prolog die erste existenzfrage des buches, und angesichts dieses glatten harmlosen hochgelobten romans fällt die antwort nicht schwer.
simone lappert: der sprung. roman. diogenes, zürich 2019. 336s, 22€.
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