zoltán danyi – der kadaverräumer

ja ja ja ich hätt ja auch liebend gern die coronaverhangenen tage für etwas vorzeigbar nützliches verwendet und ohne ende gelesen und übers lesen geschrieben und dann übers schreiben vom lesen geschrieben und mich so richtig häuslich eingerichtet in meiner aus allen nähten ins unendliche platzende heimbibliothek – doch so katalogweich ists eben nicht und auch zu vermehrtem buchkonsum neigt sich bei mir nichts denn die tage sind nicht fürs lesen gemacht jedenfalls nicht bei mir

fürs lesen sind auch die tage des helden in zoltán danyis kadaverräumer nicht gemacht doch nicht homeschooling quarantäne anti-virus-krieg setzen ihm zu sondern der echte krieg, der jugoslawische sezessionskrieg, dessen teil und täter er war auf serbischer seite wenn auch keineswegs freiwillig oder gar ahnend worauf er sich einlassen würde oder gar dass er aus dem krieg nie wieder würde herausfinden selbst wenn das normale zivile leben schon längst weitergegangen ist doch des erzählers körperseele ist vollkommen traumatisiert und von diesem trauma spricht der kadaverräumer

es ist kein sprechen über das trauma es ist das trauma selbst die katastrophe selbst die angerichtet wurde in einem menschen mit einem menschen von einem menschen an vielen anderen

zoltán danyi erzählt nicht linear und in teils kaum zusammenhängenden blöcken und in einer kaum gleich bleibenden sprache oder perspektive die orte der handlung wechseln zwischen den kapiteln und den absatzlosen atemlosen schutzlosen fast unförmigen kapitelteilen wir befinden uns in einer anstalt in berlin auf einer stauverklebten kreuzungin budapest in der nordserbischen voijvodina wo der erzähler zur ungarischen minderheit gehört und aufwuchs und nach dem krieg als eben kadaverräumer mit seinen ehemaligen kameraden tierleichen von den straßen bringt oder an der kroatischen küste oder in belgrad bei einem wunderheiler (bzw dem kriegverbrecher radovan karadzić, der bis zu seiner verhaftung 2005 als alternativmediziner dragan david dabić unbehelligt in belgrad praktizierte) und zwischen teils extrem komischen abschnitten liegen schwer erträgliche grausamkeiten des krieges und seine kadaver die in der sprache und ihrer enormen körperlichkeit verräumt werden müssen was nicht gelingt

die sprache der körper die tabus sind die kaum zu überlesenden motive dieses teilweise exzessiven und äußerst direkten romans der herausragend von terézia mora aus dem ungarischen übertragen wurde denn so wie es aus dem körper herausfließt und herausfurzt und der körper sich in blähungen und ergüssen und verhaltungen windet und wälzt so fließt die sprache scheinbar ungefiltert heraus ein halbwegs geordneter stream of conciousness ein entgrenzter flüssiger textkörper der hauptsächlich davon erzählt geplagt zu sein keine ruhe und keine orientierung zu finden der sich nicht zurecht findet in der nachkriegsordnung dem eine eindeutigkeit abverlangt wird eine identifikation ein bekenntnis und männliche noch-immer-soldatische kraft die er nicht erfüllen kann oder nicht mehr erfüllen möchte

[…] und wer weiß, vielleicht war es gar nicht so sehr eine Niederlage oder eine Schande, sondern etwas Gutes, etwas sehr Positives, dass er sich auf der Massendemo zur großen Erneuerung der serbischen Nation „auf spontane Weise“ einschiss […]

und

[…] man hätte gleich am ersten Tag Schwänze auf den Panzerwagen malen sollen, dann hätte man vielleicht noch all das vermeiden können, was danach kam und was seitdem noch alles in den Schlamm zieht, in den Dreck, dachte er, mittlerweile sitzt ein jeder bis zum Hals in der Scheiße, und es ist noch nicht zu Ende, der Niedergang ist immer noch nicht zu Ende, denn hier wird immer noch das Nationalwappen an die Wände der Häuser geschmiert, dasselbe Wappen, das im Krieg mit Scheiße und Wichse vollgeschmiert worden ist […]

das fäkale vulgäre obszöne wird aus körperlicher sicht des namenlosen kadaverräumers mit dem nationalen und den identitäten des ehemaligen jugoslawien und habsburgisch ungarn und europa insgesamt verschränkt und lässt sich nicht auflösen aufklären der schlamm und das vollgepisste wasser in der flasche und das nationalwappen und die fleischeslust und die maskuline arroganz das soldatische und die widerwärtigkeit lässt sich leugnen oder verdrängen doch es ist traumatisch und stets anwesend und es wäre gut gewesen, das Ganze mit einem Schnaps aus der Batschka zu beenden.

zoltán danyi hat einen radikalen roman über die wirkungen und beschädigungen des krieges geschrieben über den beschädigten körper und verstand des einzelnen soldaten wie über den verwundeten kontinent europa insgesamt der trotz aller wünsche von der krankheit nationalismus bis heute nicht genesen ist und der die hosen voll hat und bis zum hals im schlamm steckt ganz besonders im neudiktatorischen ungarn und in der als krise verharmlosten virus-katastrophe die ein vulgär-nationalistischer zusammenbruch europäischer humanität und solidarität ist

zoltán danyi: der kadaverräumer. aus dem ungarischen von terézia mora. suhrkamp 2018. 252 s, 24 €.

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