pedro mairal – auf der anderen seite des flusses

die literaturproduktion in den jahren vor corona ( falls die pandemie sich jenseits von tagebüchern relevant literarisch niederschlägt ) befand sich offenkundig bereits in einer krise, die man nur am rande wahrgenommen hat, da sie marktinhärent war : eine außerordentliche überproduktion von romanen oder romanartigen prosatexten, ein auf verkäuflichkeit basierender literaturbegriff, der als idealfall den bestseller annimmt, damit einhergehend eine stetige entwertung der ware buch und seinen literarischen inhalten. als einer der vielen belege dieser vielfachen überlastung des buchmarktes kann pedro mairals auf der anderen seite des flusses gelesen werden. er ist inhaltlich belanglos, eitel bis zur lächerlichkeit und war ein internationaler so großer bestseller, dass er auch im übersättigten deutschen markt erscheinen musste.

der 2016 in argentinien unter dem titel la uruguaya erschienene text ist ein dokument dafür, was autoren erzählen, wenn sie eigentlich überhaupt nichts zu erzählen haben : sie reden weitschweifig von sich selbst und ihrer eigenen privaten krise, natürlich im gewand eines anderen. der schriftsteller lucas, ein uninteressanter mensch in den 40ern, fährt von buenos aires ins auf der anderen seite des flusses gelegene montevideo, um dort sehr viel geld als buchvorschuss in empfang zu nehmen und eine unvollendete geliebte wiederzutreffen, die ihn aber ausrauben lässt, so dass er arm und geprügelt zurückkehren muss und seine eh schon angeknackste ehe zerbricht. eine solche geschichte könnte reichlich möglichkeiten zu reflexionen über soziale politische wirtschaftliche gesellschaftliche themen argentiniens bieten vor dem kontrastierenden hintergrund uruguays, tatsächlich dient sich der roman eher als rieseführer durch montevideo an und beschäftigt sich ausschließlich mit der selbstbespiegelung von lucas. dem deutschen cover nach könnte man vllt eine schwule liebesgeschichte im stile von vargas llosa erhoffen, doch der roman ist so vollkommen hetero, dass es peinlich schmerzt. die uruguayerin guerra, die dem originaltext den titel gibt, ist der feuchte traum eines jeden midlife-befindlichen manns mit ehe- & sinnkrise : mistkerl. ich will, dass du mich vögelst haucht die mitte-20-jährige sexbombe ihm ins ohr und an ausführlichen beschreibungen ihres intimpiercings wird nicht gespart. ebensowenig an beschreibungen des ach so beschwerlichen elternalltags, die banalitäten eines sich selbst toll findenden aber nicht zu potte kommenden autors, die lächerlichen treue- & liebesschwüre des verlassenen mannes an seine exfrau, und zu schlechter letzt auch noch das kernproblem dieser ganzen story : nicht nur hat ihn die uruguayerin nicht gevögelt und auch noch ausrauben lassen und seine frau sich ein neues leben gesucht – sie ist auch noch mit einer frau zusammen, was für lucas kaum zu ertragen ist und ihr ungefiltert ungebrochen mansplainend ihr leben erklärt :

Meine Liebelei aus der Ferne war reichlich kindisch. Du brauchtest meine Story, um deine erzählen zu können. […] Was du mir dann sagtest, hätte ich nie für möglich gehalten: Ich habe mich in jemanden verliebt, es ist eine Freundin. Eine Frau? Aber du bist nicht lesbisch. […] Mein Kopf dröhnte. Ich vermute, dass ich das weiterhin verarbeiten muss, und ich bin immer noch gekränkt. […] Und ich blieb verletzt, in sexueller Hinsicht, meine ich, der Macho, fertig, erledigt. […] In letzter Zeit treffe ich mich mit meiner Yogalehrerin. […] Wir machen es auf die tantrische Art. […] Eine echte Milf. […] Was mich am meisten fasziniert, ist, dass ich sie heftig bumse, fest an den Hüften packe […] Ich erzähle das, weil ich in letzter Zeit viel über Familie und Ehe nachdenke. Das klingt jetzt, als ob ich den Überlegenen spiele, aber ich meine das hier ganz ernst: Wir müssen eine neue Denkweise entwickeln. […] Vielleicht könnten wir etwas gemeinsam unternehmen und sogar zusammen in den Urlaub fahren. […] Ich nehme an, dass sich die Idee von Familie gewandelt hat. Sie hat etwas von einem Bausteinprinzip.

etc etc etc so dümmlich selbstgefällig dozierend schmierig bettelnd geht es am ende des romans seitenlang zu, und da lucas seinen sohn allein und ohne auto von der schule abholt, entblödet er sich sogar, von sich selbst als wir fortschrittlichen väter zu fabulieren und in keinem einzigen satz schimmert durch, dass dieser männlich-larmoyante unsinn – wohlwollende männliche rezensenten finden diesen ton spielerisch plaudernd und wunderbar komisch – irgendwie anders gemeint sein könnte, als wie er da steht ich meine das hier ganz ernst : einem selbstverliebten gockel dabei zuzusehen, wie er einen 170seitigen brief an seine exfrau verfasst um sie zurückzugewinnen ( ich kann sie mir nicht anders als in lachen ausbrechend vorstellen, evtl peinlich berührt, dass sie mit diesem deppen ein kind gezeugt hat ) und damit seine größte niederlage zu verarbeiten, nämlich die ehefrau verloren und von der geliebten (als geliebte imaginierte) vorgeführt worden zu sein, diese story ins gewand eines künstlerromans zu kleiden, denn den künstlern wird der größte mist noch als heilig abgenommen – es steht nicht gut um die literatur der gegenwart.

das eigentlich erstaunliche an den bestsellern ist ja, dass sie zwar eine erhöhte papierproduktion zur folge haben, aber ihr literarisch-kultureller einfluss verschwindend gering ist. die bestseller-produktion ist lediglich eine kategorie zur geldgewinnung und materialverbrennung, von dem letztlich gesellschaftlich nichts übrig bleiben wird. die argentinische tageszeitung la nacíon beschrieb mairals text so: Mit großer Dynamik erforscht dieser Roman, auf welch unterschiedliche Weise sich sexuelles Begehren auf Liebe, Geld und Literatur auswirken kann. abgesehen davon, dass der roman gar nichts erforscht außer die untiefen maskuliner selbstverklärung – ist das behauptete forschungsinteresse überhaupt von irgendeinem interesse? man könnte profan antworten : wer fickt, schreibt nicht. egal auf welcher seite des flusses.

pedro mairal: auf der anderen seite des flusses. übersetzt von carola s fischer. mare, hamburg 2020. 176s. 20€.

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