es ist über einen monat her seit der letzten besprechung, dazwischen lagen für mich ereignisreiche intensive anstregende kraftzehrende tage – doch jetzt möchte ich die gesponnenen fäden des kinos und der literatur wieder aufnehmen: an gänzlich unerwarteter stelle, nämlich beim amerikanischen blockbusterfilm tenet von christopher nolan, von dem sich nicht weniger als die von corona pausierte, streamdienstkonzentrierte saalverlassene wiederauferstehung des kinos als erlebnis versprochen wird, denn tenet startet ausschließlich in den sälen und nicht im internet. doch es ist die wiederkehr eines typus, der eigentlich mit avengers endgame sein finale erreicht hatte: des überwältigungsfilms.
der namenlose amerikanische protagonist ist darauf angesetzt, undercover einen gegenstand bei einer russischen geheimoperation in der vollbesetzten kiewer oper (ja ganz genau so) zu bergen. während er glaubt, dass im gegenstand plutonium sei, stellt sich heraus, dass es was anderes ist und mit der seltsamen munition zu tun hat, die ihm rückwärts um die ohren flog. eine wissenschaftlerin erklärt ihm wortreich paradox, dass es in der zukunft gelungen ist, für dinge und menschen den zeitlauf umzukehren, sie können sich also rückwärts durch die zeit bewegen – man nennt das inversion. die spur führt über eine waffenhändlerin in indien zu einem russen auf einem boot vor sizilien und vor allem dessen frau, an die heranzukommen es instruktionen eines engländers benötigt. die frau wiederum ist kunstexpertin und hat durch einen fehler den groll ihres mannes erregt, mit dem sie eine fürchterliche beziehung führt und der sie erpresst. über die stationen oslo und tallin finden der protagonist und ein freundlicher begleiter schließlich schlüsselobjekte zu einem gerät zur inversion bzw dem „algorithmus“ und damit die weltvernichtung, denn wenn man durch ein inversionsportal geht – es gibt deren sogar drei – und dann in rückwärtiger richtung sein vorwärtsgehendes ich berührt, negiert bzw zerstört man sich. diese zerstörungskraft wird im film daher auch mit der atombombe verglichen. um schließlich den algorithmus zu zerstören, braucht es eine komplexe militärische operation in der russischen geheimstadt, aus der der böse russe stammt, und mit hohem aufwand gelingt sowohl dies als auch die selbstbefreiung seiner frau von ihm.
worum also geht es: um zeitreisen, um eine handvoll personen aus dem agentenfilm-arsenal, um technisch hochwertige bilder, um sehr laute musik und inhaltlich um nichts geringeres als die rettung der welt, denn nolans auftrag ist ja auch die rettungs des kinos. genauer: es geht um die rettung der heutigen welt vor der finalen zerstörung, einer nicht in sondern aus der zukunft drohenden zerstörung. so jedenfalls lautet die im film mehrmals wiederholte sci-fi-gefahr, die es von den guten figuren abzuwenden, von den bösen heraufzubeschwören gilt. um die drohung irgendwie zu motivieren, soll eine minimale äußerung des bösewichts gen ende genügen, sie unterstellt der finsteren absicht eine vielleicht verständliche nachvollziehbare wut der zukünftigen auf die heutigen, durch umwelt- und politisch-ökonomische katastrophen den planeten unbewohnbar hinterlassen zu haben, mittels tabula rasa neue möglichkeiten schaffen zu wollen. so in etwa. der hauptbösewicht in der gegenwart hat zudem noch seine eigene missgunst als antrieb, den zukünftigen zu helfen, wo auch immer er die her hat. von der begründung des wutmotivs sehen wir im film nichts, die zerstörung der heutigen erde referiert allein auf ein allgemeines draußen vor den kinosälen, in den nachrichten, man weiß ja wovon die rede ist. während der bekannteste angriff aus der zukunft – terminator – immer auch bildmotive aufruft, die das kampfgeschehen mit der vorausgegangenen, zukünftigen katastrophe kurzschließen, bleibt tenet ganz in der gegenwart seiner protagonisten und damit in engem radius – die zukunft bleibt ebenso behauptung wie die anderen weitschweifenden erklärungen der figuren zum geschehen auf der leinwand – es ist kein textlastiger film, dafür einer mit großer freude am dozieren. und damit ist es ein typischer nolan-film.
nolans filme hören sich selbst gern reden wie inception, ihr hang zur belehrenden geschwätzigkeit war bereits in der dark knight trilogie zu beobachten mit lehrsätzen und zu statuierenden exempeln an der bevölkerung. nun also ein sci-fi-action-movie, bei dem es wie in interstellar oder memento um zeit geht, die zeit als waffe. es ist DAS nolan-thema, stets ist zeit und zeitlichkeit bedrohlich, kaum ein nolan-film kommt ohne countdown und halbphilosophische tempus-betrachtungen aus. in tenet findet das thema zu sich selbst, denn es geht um zeitreisen, ein beliebtes kino-sujet hollywoods. (in avengers endgame zählt ant-man eine kleine liste von zeitreise-filmen herunter, der film ist selbst auch einer). tenet variiert das thema dahingehend, dass nicht die zeit ein raum ist, den man durchreist, sondern der lauf der zeit selbst umkehrbar ist, sich dinge und lebewesen sowohl vorwärts aus auch rückwärts in der zeit bewegen. das wird inversion genannt und sieht einfach wie ein rückwärts abgespielter film aus, technisch hochwertig umgesetzt. die grundannahme für das jamesbond-element der weltzerstörung ist das aufeinandertreffen der gleichen person in anderer zeitrichtung. interessanterweise ist auch diese extreme bedrohung bloße behauptung, gezeigt wird das im film nie. der protagonist trifft zwar auf sich selbst und kämpft gegen sich, annehmend ein feind zu sein, doch steckt das rückwärts-ich im schutzanzug wie ein raumfahrer, die umgekehrte zeit schafft feindliche atmosphäre.
typisch ist allerdings auch seine optische brillianz, tenet sieht absolut grandios aus, stehts top gekleidete figuren, makellos komponierte und choreografierte bilder – das verhör auf dem rangierbahnhof mit den symmetrisch vorbeifahrenden zügen exakt zu timen, dass auf keinen fall peinliche schnittfehler offensichtlich sind, die verfolgungsjagd mit ihren sich atypisch bewegenden autos – die unendliche welt des cgi in kombination mit klassischem filmmaking ist eines von nolans markenzeichen, eine auch in tenet beeindruckend gelungene melange. dass man seinen filmen spätestens seit the dark knight (der sich überschlagende truck) immer auch das streberhafte bemühen ansieht, im neuen film noch mehr zu beeindrucken durch noch mehr optischen bombast und feinschliff gleichermaßen und sich somit in immer gefährlichere nähe zum reinen feuerwerksspektakel ohne sinnvollen inhalt zu bringen, belegt nolan mit tenet einmal mehr. trotz aller bilderflut bleibt es ein rein visuelles, oberflächliches vergnügen, bei dem die figuren trotz aller theoretischen aufwendungen und physikalischen exkurse – ob die dann korrekt sind, soll nicht interessieren – einfach nicht durchdringen, nicht sichtbar werden. der protagonist ist ein durchtrainierter killer, den wir als gut erfahren, weil er sowohl die welt als auch die weiße frau rettet, die böse indische waffenhändlerin aber eiskalt töten darf. der finstere russe ist deshalb böse, weil er ein finsterer russe ist. und der showdown ist eine shooter-games sequenz mit vielen gesichtslosen feinden. warum und wie diese in einer lebensfeindlichen wüste leben – egal, draufhalten und losballern. der namenlose protagonist befindet sich im wesentlichen auf einer bewegung von station zu station, die er nach und nach abschreitet, manche zweimal, erst vorwärts dann rückwärts, um im showdown wie im endlevel eines 1990er pc-games zu bestehen. figurenentwicklung ist in tenet nicht vorgesehen.
so ist tenet wie schon inception ein film mit allerhand versatzstücken aus diversen genres und hat auch keine vorbehalte, sich mcguffins zu bedienen: jage einem ding hinterher, das reicht als handlungsbegründung. tenet möchte in erster linie beeindrucken, und ist in zweiter linie eine erneut grandiose bastelarbeit aus der technik-ag bis zur selbstpersiflage. davon abgesehen ist der film sehr aufwändig leer. die anfängliche begeisterung über die kinorettung und rückgewinnung von normalität schlug, nachdem der aufgewirbelte staub sich gelegt hatte, doch bald in nüchternheit angesichts hollywoodesker effekte in überlänge und unterkomplexer, abstrakter figuren um: hollywood kann nicht mehr erzählen.
christopher nolan: tenet. usa 2020. 150min.
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