kim ki-duk 1960-2020

die corona-pandemie hält trotz aller impfstoff-entwicklungen weiter an und gestern, am 11.12.2020, wenige tage vor seinem 60.geburtstag, verstarb leider auch kim ki-duk an einer covid-19-erkrankung in lettland. für die internationale kino-welt ist dies ein extremer verlust, im koreanischen kino hinterlässt kim eine riesige lücke, auch wenn sein ruf nach (unbestätigten) anschuldigungen sexuellen missbrauchs und gewalt gegen eine schauspielerin seines films moebius gelitten hatte.

kim gehört unzweifelhaft zu den prägenden regisseuren des koreanischen kinos und des internationalen autorenfilms nach 1990. seine filme sind von extremen situationen und gegensätzen geprägt, gewalt und rohheit gehören ebenso zu seinen stilmitteln wie eine schutzversprechende abgeschiedenheit und stille bis zur völligen stummheit. die individuellen geschichten steigern sich immer wieder zu hochkomplexen symbolischen fabeln über die widersprüchliche verfasstheit der koreanischen gesellschaft und dem in oder außerhalb ihrer einen platz suchenden individuen, vorrangig jugendlichen oder jungen erwachsenen. kims eigene kindheit und sein gewalttätiger, ihn misshandelnder vater finden sich in seinen filmen ebenso verarbeitet wie seine armeezeit und die ihren weg suchende koreanische gesellschaft nach dem ende der militärdiktatur 1990.

in europa am bekanntesten dürfte der zugängliche und hochkonzentrierte film frühling, sommer, herbst, winter … und frühling von 2003 sein. er ist eine beinah hypnotische reflexion über einen vom kind zum mann heranwachsenden menschen, der seiner schuld auch mit meditativer religiöser anstrengung in strengster einsamkeit und weltferne nicht entkommt. auch wenn die wichtigsten motive kims – strenge, einsamkeitserfahrung, weltabgewandtheit, religiöse motivik – hier kunstvoll versammelt sind, so ist die extreme körperliche gewalt in diesem film weitgehend ausgespart. wie sehr gewalt oder gewaltdrohung in kims filmen die funktion der kommunikation übernehmen, bezeugen der einsatz des titelgebenden bogens in hwal und der ebenfalls im original als titel verwendeten 3er golfschläger in bin-jip – leere häuser (im original 3-iron). dass die (expliziten und psychologischen) gewaltdarstellungen in seinen filmen das zeitgenössische koreanische publikum überforderte, lässt sich an kims ersten wichtigen internationalen erfolg seom – die insel und noch mehr am als skandalös empfundenen bad guy verstehen: kim übertritt alle grenzen der sehgewohnheiten und konfrontiert sein publikum mit archetypen und hochkomplexen ambivalenzen, bildsprache und (oft abwesende) figurensprache sind sich ergänzende kontraste, die verhältnisse und beziehungen der figuren zueinander variieren und wechseln, eindeutigkeiten im sinne einer moralischen klaren lehre sind nicht möglich. trotz aller formen von gewalt – bis hin zu extrem fordernder blutroher schuld-und-rache-erzählung wie in moebius oder vorwürfen des exzesshaften wie in human, space, time and human – bleibt doch immer die erkenntnis, dass kim gewalt erzählt, weil sie teil des menschen und seiner ausdrucksweise ist, er sie doch stets als schockierend ablehnt.

kim selbst wurde von einer angedrohten gewalttat derart schockiert, dass er 2008 in eine tiefe krise und depression verfiel, nachdem sich eine schauspielerin für seinen film dream das leben nehmen wollte. nach 12 jahren ununterbrochener schaffenszeit und insgesamt 15 filmen zog sich kim in die einsamkeit zurück. drei jahre später veröffentlichte er das äußerst intime selbstporträt dieser krise: arirang. die radikalität von kim ki-duk und seinem kino ist in diesem sowie dem nachfolgenden film pieta, der in venedig den goldenen löwen gewann, eindrücklich festgehalten. es sind filme von überwindungen, bezwingungen, nur allerdings gänzlich unheroisch, ohne naturmystik oder heldenkitsch, sondern so roh und intim und hochverletztlich wie nur möglich. in arirang quält sich kim und ringt mit sich selbst, ohne dass es je larmoyant und eitel würde. in pieta muss sich ein brutaler schuldeneintreiber seiner eigenen schuld stellen, als unerwartet seine lang verlorene mutter bei ihm auftaucht. das stets komplexe hochemotionale verhältnis der geschlechter und generationen gleichermaßen zueinander ist ein weiteres zentrales motiv in kims filmen, sei es in pieta der sohn und die ihn bergende mutter, in hwal die kindhafte frau und der alte mann, oder in samaria die jugendliche sich prostituierende tochter und der überforderte vater.

kims arbeit an den erzählungen der archetypen ist nun unvermittelt abgebrochen, sein einfluss auf das gegenwärtige kino zwar gering, doch als „außenseiter“ mit einer sowohl radikalen bildsprache als auch eigener lebensführung haben seine filme das kino nachhaltig bereichert. niemand hat so klar wie ambivalent, leise wie grausam von den psychologischen untiefen erzählt wie kim. eine revision seines werkes steht aus, doch dazu müssten seine filme überhaupt erst einmal in deutschland verfügbar sein, derzeit sind lediglich pieta, moebius, seom und arirang als stream abrufbar, dvds von filmen der frühen 2000er-phase nur noch antiquarisch. und viele sind bis heute in deutschland gar nicht erschienen, darunter der als einer seiner wichtigsten filme geltende adress unknown. auch hier klafft also eine enorme lücke.

2 Antworten zu „kim ki-duk 1960-2020“

  1. […] bekannter ist das kompromisslose und radikale kino des 2020 verstorbenen kim ki-duk, vor allem in den 2000er jahren waren filme von ihm auch in europa populär und wurden […]

  2. […] das publikum heraus und gab neue impulse. filmereignisse wie oldboy, memories of murder, oasis oder samaria und viele weitere herausragende filme der 2000er jahre zeugen von einer einzigartigen vielfalt […]

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