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kim ji-young, geboren 1982

2016 erschien der roman von cho nam-joo über eine typische koreanische frau der gegenwart, vielmehr über ihre selbstverständliche diskriminierung in allen lebenslagen und altersstufen. die rezeption des romans und 2019 auch des filmes führte zu heftigen diskussionen auseinandersetzungen debatten und noch wesentlich mehr anfeindungen beleidigungen attacken gegen alle frauen, die sich zum buch und zur verfilmung öffentlich in korea bekannten. es ist DAS aktuellste virulenteste drängendste soziale problem nicht nur in der koreanischen sondern weltweit allen gesellschaften, denn diese sind trotz einzelner regierungschefinnen nach wie vor in ihrem selbstverständnis misogyn.

kim ji-young ist 33 jahre alt, lebt mit viel arbeitendem mann und einjähriger tochter in seoul und ist am ende angelangt. sie verhält sich seltsam und ungewöhnlich, ihr mann rät zu einer therapie und der therapeut, mit dessen abschlussbericht der roman endet, vermutet postnatale depression, nichts besonderes. und in der tat sind alle ereignisse, die vorher geschildert werden, die geburt für die sich die mutter dem vater gegenüber entschuldigt da es wieder nur ein mädchen ist, das werdende dritte kind gar deshalb abtreiben lässt, die verhätschelung des dann endlich gekommenen sohnes, die benachteiligung in der schule, die endlosen absagen bei der jobsuche, die schlechterstellung bei der arbeit, gender-pay-gap, jobaufgabe bei schwangerschaft – es ist alles eben nichts besonderes. und genau darin besteht das skandalon: wie selbstverständlich und normal sexismus diskriminierung gewalt in allen momenten des lebens von koreanischen frauen sind. der roman in seiner gesamten gestalt, inhaltlich und formal, erzählt von der absoluten normalität des misogynen in konservativen patriarchalen gesellschaften: die hauptfigur trägt einen allerweltsnamen, die sprache ist bewusst reduziert und als bericht geschrieben, soziologische daten zur ungleichheit von frauen gegenüber männern sind in den text eingefügt als sei kims leben eben auch nur der mittelwert soziologischer studien und erkenntnisse: individuelle eigenschaften werden ihr im roman sehr oft und von allen seiten immer wieder abgesprochen bzw vorgeworfen, sei nicht so, mach nicht dies, verhalte dich anders etc. ihre eigene persönlichkeit wird im laufe des lebens so stark defomiert und zugerichtet, dass sie am ende nur noch sätze und tonlagen derer wiedergibt, die sie gemaßregelt haben.

die perfektion der deformierung der frau zeigt sich auch an kims schwiegermutter, die ihr gegenüber offen feindselig auftritt, kim beleidigt und zurechtweist, während ihr mann mit ihr liebevoll umgeht, sich allerdings auch nicht für seine frau einsetzt und aus gründen der normalität auf kinder drängt, wissend ihre berufliche karriere damit irreparabel zu zerstören. kim versucht dabei stets alles richtig zu machen und begehrt zu keinem zeitpunkt auf oder wehrt sich gar, da sie die systematische unterdrückung vollkommen internalisiert hat. die sexistische fragestellung an die drei bewerberinnen während des einstellungsgespräches ist nur eines von zahlreichen beispielen, wie exakt choo nam-joo die internalisierung und perfidie darzustellen versteht: auf die frage, wie die frauen auf sexuelle belästigung am arbeitsplatz reagierten, antwortet kim, sie würde versuchen solche situationen künftig zu meiden. die zweite bewerberin würde offen protestieren während die dritte sich selbst dafür verantwortlich macht – am ende stellt sich heraus, dass keine bewerberin die stelle erhalten hat, dass es also egal ist wie sie reagieren: es ist stets falsch. kim selbst empört sich innerlich, doch spricht sie nichts davon aus. die perfidie des patriarchalen liegt darin, die frauen verstummen zu lassen und sie zu vereinzeln: es ist ihr problem, sie ist krank, sie muss behandelt werden. doch der gesamte roman in genau dieser art der beschreibung zeigt: die frau hat kein individualpsychologisches, sondern ein sozialpolitisches problem.

cho nam-joos roman über die durchschnittsfrau koreas, in dem sie auch ihre eigene lebens- und arbeitssituation mit beschrieb – sie arbeitete als drehbuchautorin im fernsehen und musste aufgrund ihrer schwangerschaft kündigen -, erschien 2016 in korea nach einem mord an einer jungen frau im exponierten seouler stadtteil gangnam, viele frauen solidarisierten sich mit der aus reinem frauenhass getöteten: You died because you are a woman. The rest of us survived only because we were lucky. noch bevor in den usa und europa #metoo die selbstverständlichkeit misogynen und sexuell übergriffigen verhaltens offenlegte, entstand nach dem erscheinen von kim ji-young, geboren 1982 eine frauenbewegung in korea, die den weit verbreiteten sexismus in kultur und gesellschaft anprangerte und deren protagonistinnen heftig angefeindet und bedroht wurden. aus der vehementen ablehnung von feminismus und gleichstellung entstand sogar eine parodie auf choo nam-joos roman, der über diskriminierung von männern faselte.

auch die 2019 erschienene verfilmung des buches führte zu erneuten „spannungen„, so etwa einen üblen shitstorm gegen die hauptdarstellerin jeong yu-mi, einer petition an den präsidenten den film nicht zu veröffentlichen und haufenweise aufrufen im internet dem film vorab bereits miserable kritiken auszustellen. dabei stellen buch und film sehr genau dar, wie ausweglos der von allen teilen der gesellschaft mitgetragene lebensentwurf für frauen aussieht und wie vehement dieser lebensentwurf eingefordert wird: hausfrau und mutter zu sein, sei für die frau das lebensziel mit nationaler verantwortung. wo den söhnen und männern alle erdenklichen freiheiten und privilegien zugestanden und eingeräumt werden, werden die frauen als rabenmütter disqualifiziert, wenn ihnen in der öffentlichkeit ein missgeschick mit einem kaffeebecher passiert.

die verfilmung ist der erste film der schauspielerin kim do-young und schiebt den fokus , anders als das buch, im wesentlichen auf die gesellschaftliche kernzelle familie. so bleibt die haupterzählung im film in der gegenwart der 33jährigen kim und konzentriert sich auf ihre begegnungen mit ihrer familie bzw der ihres mannes. sämtliche diskriminierenden muster und verhaltensweisen, insbesondere die internalisierung der diskriminierung als selbstverständlich, so formuliert die verfilmung, werden in der familie erlernt und tradiert, in der schwiegerfamilie bestätigt und bestärkt. das familiäre system aus respekt den älteren generationen gegenüber und der klaren rollenverteilung von männern und frauen scheint für die frauen im wesentlichen auf unterwürfigkeit zu beruhen. in kurzen rückblenden erzählt der film episoden aus kims leben, vorrangig ihrem arbeitsleben, und spart so unter anderem die schule als ort der erniedrigung von mädchen vollständig aus. leider gelingt es dem film nicht so gut, die beklemmung kims sicht- und spürbar zu machen, die musik, farbgebung und bildkompositionen sind eher an gewöhnlichen fernsehfilmen geschult, denen ästhetisch gelungene aufnahmen wichtiger sind als die filmische bildsprache, und dies wird auch nicht als bewusst gewähltes formprinzip deutlich, sondern zeichnet die figuren zu oft einfach nur in warmen weichen licht. auch die von der regisseurin vorgenommene änderung vom psychiater zu einer psychiaterin, um dem publikum eine etwas positivere perspektive zu geben als das resignierende buchende, weicht die trockene, genaue, sezierende analyse des buches auf, dämmt die wucht der feministischen aussagekraft. so wird aus der kühl aufbereiteten aber zornigen schilderung der erdrückenden gegenwart das gedämpfte portrait einer aufgrund unerfüllbarer erwartungshaltungen von familie und arbeit der despression verfallenen frau, das unbedingt ein happy end erzählen möchte.

cho nam-joo: kim ji-young, geboren 1982. roman. kiwi 2021. 208s, 18€.

audiobook: gelesen von nele rosetz und felix von manteuffel. argon verlag 2021. 4h45min, 19,95€/15,95€.

kim do-young: kim ji-young, geboren 1982. südkorea 2019. 119min.

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