da aktuell die situation für selbständige und freiberufler sehr schwierig bis existenzbedrohend ist, gibt es eine recht wilde mischung von vorschlägen zur absicherung, aus der einer immer wieder herausragt: das (bedingungslose) grundeinkommen. ich habe vor längerer zeit an anderer stelle einige gedanken dazu notiert, was manche für zu polemisch hielten. daher versuche ich hier ohne ironie und nüchtern zu benennen, warum ich von einem grundeinkommen absolut nichts halte – und zwar aus dezidiert linkem und sozialem verständnis. und ebenso, was mir insgesamt wesentlich sinnvoller da nachhaltiger und wirkungsvoller erscheint.
zunächst: dem begriff „bedingungslos“ ist auf jeden fall zu misstrauen, denn natürlich gibt es zu definierende bedingungen, unter denen ein grundeinkommen gezahlt werden würde, ob es das alter ist, die staatszugehörigkeit, die aufenthaltsdauer im land, die wahlberechtigung etc etc – der möglichkeiten sind viele, und bisher wurden keine vorschläge gemacht, um nicht größere gruppen vom geldbezug auszuschließen. sinnvollerweise müsste man das grundeinkommen so benennen, was es tatsächlich fordert: ein einkommen ohne arbeitsbezogene gegenleistung. denn dem erhalt des grundeinkommens soll ja in erster linie kein arbeitswert vorausgehen. womit theoretisch eine bedingung für die möglichen bezieher des einkommens genannt wäre: die bevölkerung im arbeitsfähigen alter. und spätestens jetzt wird es schwierig, um nicht zu sagen unfair (denn jede definition für den bezug eines grundeinkommens exkludiert, hier etwa von armut betroffene kinder und rentner und kinderreiche familien erhielten das gleiche grundeinkommen wie kinderlose singles), und zeigt, wie beschränkt die fähigkeiten eines grundeinkommens sind, das zu tun, was man sich von ihm verspricht: menschen von arbeitsbezogenen zwängen befreien, menschen finanziell abzusichern und zu „entstressen“, menschen eine perspektive jenseits des reinen broterwerbs zu geben. diese ideen sind auf jeden fall gut und richtig und auch sozial gedacht, nur halte ich ein grundeinkommen für das völlig falsche instrument dafür. ich halte es tatsächlich für eine polemische, populistische idee, auf soziale schieflagen und fehlentwicklungen zu reagieren.
warum: erstens und für mich absolut entscheidend wird mit einem grundeinkommen keine einzige ursache für die entstandenen fehlentwicklungen verändert. die gründe dafür, dass man im bezug auf arbeit und familie zunehmend stress erfährt, es eine ungerechte einkommensverteilung zwischen geschlechtern gibt, der zugang zu bildung und damit auch zum wohnungs- und arbeitsmarkt extrem von herkunft, name, hautfarbe abhängt – all dies wird von einem grundeinkommen nicht berührt, analysiert, infrage gestellt oder gar verändert. denn nicht die bezahlung selbst ist das vorrangige problem, sondern die zutiefst ungerechte verteilung des vermögens und dem zugang dazu.
zweitens: ein grundeinkommen schafft selbst neue ungerechtigkeit, da es notwendigerweise bedingungen voraussetzt – oben sind einige mögliche genannt – und damit wie gesagt auch menschen vom erhalt ausschließt oder benachteiligt. es ist also bedarfsunabhängig. was für viele nach einer guten lösung klingt, ist aber ungerecht, denn warum sollten menschen, die etwa kein bafög erhalten, da die eltern zu vermögend sind, trotzdem bafög bekommen? warum sollten personen oder familien, die aufgrund ihres hohen einkommens und privatbesitzes als reich gelten, eine monatliche finanzhilfe bekommen? wohingegen menschen, die nicht unter die bedingungen eines grundeinkommens fallen, aber bedürftig wären (je nach bedingung wären das zb arme rentner, menschen ohne deutschen pass, menschen mit schwerbehinderung oder die als nicht vermittelbar in den ersten arbeitsmarkt gelten), ausgeschlossen sein könnten. es macht in meinen augen sozialpolitisch und finanzpolitisch keinen sinn, einfach allgemein geld zur verfügung zu stellen. auch und gerade jetzt, wo viele menschen sich in existenzieller bedrohung sehen und vor privatinsolvenzen aufgrund fehlendem einkommen geschützt werden müssen, ist ein grundeinkommen kein sinnvolles hilfsmittel, eben weil es bedarfsunabhängig ist und damit unpolitisch. sinnvoll aber, gerade jetzt in dieser situation, sind ausschließlich politische hilfen und veränderungen, die bedingungen und strukturen der ungerechtigkeit verändern. dass eben in den sog. systemrelevanten berufen (kassiererin, pflegerin etc) vorrangig frauen arbeiten und dort deutlich zu niedrig bezahlt werden – ein grundeinkommen gibt nur geld und ändert nichts. warum dann nicht gleich eine bessere bezahlung verlangen?
befürworter und ideologen des grundeinkommens wie sascha liebermann setzen das recht des einzelnen und die maximale entscheidungsfreiheit des einzelnen als erstrebenswertes ziel des grundeinkommens. erst durch die sogenannte befreiung des einzelnen aus den zwängen der arbeit und staatlicher bevormundung – allein diese denkfigur ist ideologisch und setzt moralisch-wertende implikatoren – sei eine soziale gesellschaft möglich: „Wir aber halten den Freiheitsgewinn für entscheidend, den ein BGE eröffnet.“ dieser gedanke, die menschen könnten sich mittels geld von dem arbeitszwang befreien, ist libertärer unsinn, denn der zwang ist ja nicht arbeiten zu wollen oder zu können, sondern im ungünstigsten fall zu schlecht dafür bezahlt zu werden: die arbeit selbst nimmt ja nicht ab in den fraglichen branchen. wenn nun also die grundschullehrerinnen erzieherinnen pflegerinnen busfahrerinnen stadtreiningerinnen etc von der arbeit befreien, bleibt diese arbeit, die wir inzwischen als systemrelevant bezeichnen, einfach nur liegen. befreiuung ist damit wohl eher als abhauen zu verstehen.
zudem könnte, wenn man das grundeinkommen jetzt einführte, die kaufkraft gestützt werden, insbesondere in der jetzigen situation. dass insbesondere letzteres argument absurd ist, denn die kaufkraft kann in zeiten sozialer distanzierung, geschlossener geschäfte und home-office-leben überhaupt nicht eingebracht werden, etwa durch reisen, kino, restaurants, hotels etc., wird selbstredend übergangen.
drittens: unabhängig von corona und seinen noch nicht absehbaren folgen sind die entwicklungen, die zur immer weiter auseinandergehenden arm-reich-teilung der gesellschaften geführt haben, stets politisch herbeigeführt worden, durch steuergesetze, die vermögen begünstigen und niedrige einkommen und familien benachteiligen, durch neoliberale wirtschaftsreformen zugunsten unsicherer arbeitsverhältnisse, durch all die maßnahmen, die umverteilung zugunsten der vermögenden begünstigen und fördern. ein aktiver schutz vor armut, sozialem stress, vor unvereinbarkeit arbeit-familie gelingt nicht mit einem grundeinkommen, sondern ausschließlich mit politischen entscheidungen. denn das deutsche sozialsystem ist ungerecht und muss politisch verändert werden, was tatsächlich die entlasten würde, die von ungleichheit und druck betroffen sind. ein grundeinkommen als hilfe gegen drohenden existenzverlust zb für freiberufler ist nur dann sinnvoll, wenn es tatsächlich denen hilft, die es brauchen (ein mario barth, til schweiger oder sebastian fitzek gehören ebenso zu den freiberuflern, sind aber keineswegs in ihrer existenz bedroht, im ggs etwa zu honorardozent*innen für sprachkurse, musicaltänzer oder freie theater und viele mehr). also sollten wir uns gerade jetzt und ganz besonders aus gründen der solidarität dafür entscheiden, eben kein grundeinkommen (und schon gar kein kaufkraft stützendes helikoptergeld) zu fordern, sondern tatsächlich denen helfen, die hilfe benötigen. instrumente dazu existieren oder könnten, wie hier beschrieben, kurzfristig eingerichtet und umgesetzt werden und gleichzeitig gerecht sein.
zusammengefasst lässt sich formulieren: die vom grundeinkommen gewünschte und als ziel benannte stärkung des individuums gegenüber der gemeinschaft bedeutet tatsächlich einen rückzug des staates aus der verantwortung gegenüber seinen bürgern, der staat gibt lediglich geld – es ist, was im ökonomischen bereich seit 1980 als „neoliberalismus“ bekannt ist und der überhaupt die aktuellen probleme im arbeits- und sozialbereich geschaffen hat. das neoliberale denkmodell minimiert staatliche steuerungsmöglichkeiten („deregulierung“) und fokussiert sich auf monetäre belange. das grundeinkommen ist die neoliberalisierung des sozialen: durch geld wird alles besser.
oder anders gesagt: wenn man denjenigen in der nachbarschaft, die zur risikogruppe zählen, hilfe etwa beim einkaufen anbietet, bringt man doch auch nicht allen anderen in der straße, die sich problemlos selbst versorgen können oder gerade erst den supermarkt von nudeln und klopapier leergekauft haben, auch noch brot eier und käse mit.
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