Kategorie: kino

filme aus asien mit schwerpunkt korea

  • barbenheimer

    barbenheimer

    barbenheimer bezeichnet das phänomen der zeitgleich gestarteten filme barbie von greta gerwig und oppenheimer von christopher nolan vor einem monat. um beide filme entstand gleichzeitig ein enormer hype und erfolg, der so nicht vorzusehen war. insbesondere die vollständige gegensätzlichkeit der beiden filme scheint zu einer lust am widersprüchlichen geführt zu haben, denn konträrer in thematik, gestaltung und tonart könnten zwei filme zur gleichen zeit kaum sein: hier ein überzuckert-flippiger film mit franchise-absicht über ein weltbekanntes spielzeug mit durchaus unterkomplexer feministischer botschaft, dort ein extrem verlangsamtes epos über einen widersprüchlichen wissenschaftler in verschachtelter erzählweise. mehr gegensatz ist im amerikanischen blockbuster wohl unmöglich.

    und doch sind sie eindeutig amerikanische filme über rein us-amerikanische themen. so unterschiedlich die filme sind, so sehr haben sie den gleichen kern: den mythos amerika weitererzählen, mit allen mitteln. greta gerwigs barbie versucht, die als anti-feministische ikone bekannte und verachtete spielzeugpuppe aus dem hause mattel irgendwie für eine doch sinnvolle feministische erzählung neu zu deuten, indem sie die puppe mit der realen welt des patriarchats kollidieren und von drei frauen-generationen – der alten barbie-erfinderin ruth handler, einer desillusionierten frau und mutter und ehemalige barbie-besitzerin in ihren 40ern sowie deren pubertierender tochter und barbie-hasserin – mit feministischer lehre aufladen lässt. christopher nolans in zwei zeitebenen spielender film erzählt anhand der person oppenheimers, der mit enormem aufwand die erste funktionsfähige atombombe entwickelte, die moralische unverlässlichkeit der politischen usa. denn so sehr oppenheimer auch gefördert wird mit hilfe des verteidigungsministeriums, als erste die kaum zu kontrollierende bombe zu haben, während des zweiten weltkrieges und gegen die ebenfalls an der bombe arbeitenden nazis, so sehr wird ihm nach dem krieg und den ersten beiden bombenabwürfen letztlich der prozess wegen verrats gemacht. nolan erzählt zugleich sowohl die faszination an der bombe an sich als auch die politische doppelmoral aus schmutzigen motiven – in einer auf 3 stunden gedehnten ewigkeit.

    barbie bezieht seinen unterhaltungswert aus dem bubblegum-cinema mit hohem tempo und bunten tanzeinlagen, bedient sich dabei eines holzhammer-feminismus mit vorgeführten, bodenlos dummen männergestalten und einer margot robbie als barbie, die wie keine andere schauspielerin derzeit künstliche figuren verkörpern kann – von harley quinn zu barbie ist es nicht weit -, die feministischen themen wirken aber an ihr wie eine weitere kostümierung. hinzu kommt, dass der culture clash von barbie-welt und realer welt nicht mehr offenbart, als dass auch die realen menschen bzw vor allem die männer eigentlich so hohl wie puppen sind. kein wunder, dass die patriarchale welt den heimlich bei barbie mitgereisten ken auf saudumme gedanken bringt und barbie zu tränen rührt, weil sie von der pubertierenden göre als faschistin bzeichnet wurde und an der bushaltestelle eine alte frau gesehen hat. (in beiden szenen verlässt der film ungewollt die figur der barbie und nimmt die perspektive der zuschauerinnen ein: woher weiß barbie, was eine faschistin ist, die in ihrer welt nicht existiert? warum sagt sie der alten frau, dass sie schön ist, obwohl sie falten und zellulitis fürchtet wie die pest und eine gealterte barbie ebenfalls nicht existiert? solche unreflektierten brüche in der figurenzeichnung fallen in all dem bunten treiben schon gar nicht mehr ins gewicht.) der film erzählt somit nur den kulturkampf frauen vs männer und einen feminismus von vor langer zeit, zudem auf materieller ebene: spiel mit barbie, doch spiel mit ihr richtig – aber um himmels willen nicht mit einem anderen spielzeug! das kann man lustig finden oder nervig, barbie ist im wesentlichen eine intellektuelle unterforderung: die frau-werdung von barbie initiiert sich darin, dass sie am schluss – als könnte es nichts schöneres für eine frau geben! – endlich auch zu einem gynäkologen gehen kann. uff.

    christopher nolans oppenheimer ist erwartbar komplexer und anspruchsvoller, und doch ist es wieder nur ein typischer nolan-film, der sich selbst sehr gern reden hört, perfekte bilder zelebriert – und wie in jedem guten nolan-film mit einem groß gefilmten countdown aufwartet: es macht die bombe 3 – 2 – 1 – bumm. oppenheimer geht den langen weg des überdehnten epos und zeigt geballte männlichkeit, die frauenfiguren sind randerscheinungen, es gibt nur männer in opulenten und an sich selbst berauschten bildern. die figur oppenheimer wird wie in der buchvorlage mit dem zivilisationsbringer prometheus überhöht, die grenzüberschreitung des feuerbringens ist hier mit der zerstörungskraft der atombombe parallel gesetzt. die manie nolans, einen realistischen film zu schaffen, konterkariert er immer wieder mit aussagen der figuren, die um ihre deutung der nachgeborenen wissen. „…weil es hier um das verdammt nochmal wichtigste ereignis in der weltgeschichte geht“ sagt matt demons lieutenant general leslie groves einmal und der satz wirkt komplett ahistorisch und deplatziert, wie andere ähnliche bemerkungen, die auf die interpretation der geschehnisse verweisen. selbstverständlich war den am manhattan project beteiligten klar, was sie taten, aber nicht im sinne der welthistorischen nachbedeutung, sondern in erster linie, um einer atombombe der nazis zuvor zu kommen. die deutung und bedeutung wurde auch einem oppenheimer erst nach den abwürfen über hiroshima und nagasaki klar, zuvor hatte er hingegen die befürchtung, mit der bombe augenblicklich in einer kettenreaktion die gesamte atmosphäre zu verbrennen. nolan arbeitet mit solchen ahistorischen verschiebungen seinem eigenen realismus-fetisch zuwider, bei dem alles so „echt“ und „wahr“ wie nur möglich aussehen und das fiktive zum verschwinden bringen soll. es ist ein grotesker irrtum in dieser überlangen biografie, die hauptsächlich den weg bis zum erfolgreichen bombenbau sowie den späteren verratsprozess der mccarthy-ära erzählt, den restlichen lebensweg hingegen ausblendet. nolans arbeitsweise wie filmschaffender irrtum ist der extreme hang zu einem hyperrealismus, der in oppenheimer zum spleen wird: jede kulisse ist eine exakte kopie des originals, die bombenexplosion soll echter als echt aussehen und alles soll vor allem beeindrucken – dabei war nolan schon einmal bedeutend weiter:

    was im fantastischen genre des comicfilms mit der dark knight trilogie herausragend funktionierte, eben weil es KEIN realistisches kino war, sondern die comic-fiktion mit der kino-fiktion kombinierte, wie ein realer bruce wayne / batman heute aussehen könnte: es entstand ideale cineastische illusion, weil die filme räume öffneten für das imaginäre – es ist außergewöhnliches kino. jedoch ist eine filmische biografie über eine reale persönlichkeit trotz aller realistischer engführung immer auch fiktion, eben weil es eine erzählung ist, die seine gestalterischen und wertenden elemente nie wird leugnen können, warum sollte sie auch. nolan aber versucht genau das in seinem hyperrealismus zu ignorieren, obwohl er sich auf der filmischen ebene genau dieser fiktionalisierenden mittel – farbe vs s/w – interpretierend bedient. die frage ist also: wozu dieser allzu eifrige realismus, als „echtheit“ missverstanden? nolans kino möchte das handwerkliche betonen gegenüber dem beliebig computergenerierten bild und so einen moralischen mehrwert der erzählung hinzufügen. das ist einerseits sympathisch, andererseits aber ebenso eitel, da nolans ästhetik die der perfektion ist, es soll echt, wahr und sauber sein (umso verwunderlicher die schnittfehler im finalen gespräch oppenheimer-einstein). nolan schafft dabei andächtige und perfekte Bilder, die nach fotografien von oppenheimer komponiert sind, und doch bleibt es eine absurd künstliche wirklichkeit, so wie auch die stadt los alamos in der wüste new mexicos nichts als ein künstliches gebilde war. nolan aber versucht sie fotorealistisch nachzubilden: es ist diese art der beeindruckung durch makellose oberfläche, die in den vergangenen nolan-filmen stets zu verfolgen war. das bild triumphiert über seinen inhalt.

    Barbie verfolgt den exakt gegensätzlichen Ansatz: offensive Fiktionalisierung und ausgestellte Imagination. So gelingt Greta Gerwig in der ersten halben Stunde ein tatsächlich aufregendes Kinoereignis, weil hier alles vollkommen künstlich ist, und doch sind die Puppenfiguren wie im Imaginationsraum eines spielenden Kindes lebendig und agil. Barbie duscht zB mit Duschgeräuschen aber ohne Wasser – und auch ihr Erschrecken darüber, dass eben dieses inexistente fiktive Wasser plötzlich eiskalt ist, ist absolut glaubwürdig. Nolans Oppenheimer hingegen ist gerade aufgrund des hyperrealistischen Ansatzes oft genug nicht glaubwürdig, weil immer wieder das interpretierende Medium Film das behauptete „Echte“ und „so war es wirklich“ durchstreicht. Nolans Film ist sich seiner Künstlichkeit oftmals erstaunlich wenig bewusst, etwa wenn „Wissenschaft“ gezeigt wird: Ein „echter“ Physiker wie Oppenheimer hat an einer Tafel zu stehen und in hoher Geschwindigkeit unbegeifliche Formeln an diese zu schreiben. Oder: Oppenheimer ist Wissenschaftler bis zur Nerdigkeit, also übersetzt er sogar beim Sex noch für die Geliebte Texte aus dem Sanskrit. Und ein böser Charakter wie Robert Downey Jr.s Lewis Strauss neigt von Anfang an zur Besserwisserei und ist so a priori unsympathisch, also zu keinem Zeitpunkt mögliche Identifikationsfigur. Von solcherlei stereotypen, bis zur Lächerlichkeit bekannten Bildern ist der Film voll, und natürlich ist es dem unantastbaren Wissenschaftsidol Einstein vorbehalten, das alles erklärende Schlusswort zu halten. Es sind einfache und wenig herausfordernde Bildwelten in einem Film, der sich selbst einmal mehr verliebt beim Dozieren über Wissenschaft zuhört, und das mit Realismus verwechselt.

    Barbie, interessanterweise, scheitert filmisch aber ebenso an Fiktion und Realität, denn in dem Moment, wo Barbie und Ken in der „realen Welt“ erscheinen und später „echte“ Menschen in Barbies Spielzeugwelt, in diesem Moment verliert der Film sein hyper-unrealistisches Konzept des Puppen-Spiels und kippt ins Belehrende und Beliebige und ebenso Unglaubwürdige. Er findet für die hochmoralische feministische Erzählung keine kohärente Filmsprache mehr außer einer überbetonten pädagogischen Albernheit, die so tiefschürfend ist wie ein Popsong, von denen es bezeichnenderweise gleich mehrere inklusive ihrer Music-TV-Videos in voller Länge gibt.

    Dort, wo Barbie eifrig belehrend wird, wird Oppenheimer trivial und selbstverliebt – und vor allem langweilig. Beide Filme finden keinen Rhythmus und formulieren ihre moralisierenden Aussagen – das Patriarchat ist Scheiße bzw die Atombombe war ne miese Idee – in sehr unsubtilen Bildern. Es ist dann eben doch Hollywood, das seinen Zuschauern stets alles erklärt, was auf der Leinwand zu sehen ist. Und es tut mir wirklich leid, aber mich ödet Nolans Kino inzwischen maximal an. Greta Gerwig hat wenigstens für selbstverliebte Langeweile schlicht viel zu viel Humor. Barbenheimer bleibt aber vor allem deshalb interessant, weil es ein Sommer-Ereignis war und darüberhinaus wenig bedeutsam.

    Nachtrag 26.8.23: angesichts der unglaublichen Ereignisse seit dem sexuellen Übergriff des spanischen Verbandspräsidenten Rubiales gegenüber der frisch gekürten Fußball-Weltmeisterin Jenni Hermoso – Rubiales‘ trotzige, uneinsichtige Nicht-Entschuldigung, der enormen nationalen und internationalen Solidarisierung mit Hermoso bis zum umfangreichen Boykott der Nationalmannschaft, der angekündigten unfassbaren Klage gegen Hermoso und der Suspendierung von Rubiales durch die FIFA – zeigt sich das Patriarchat keineswegs lustig oder voller geistig minderbegabter Deppen sondern maximal autoritär und aggressiv: die sich wehrende Frau soll bestraft werden, nicht der übergriffige und komplett uneinsichtige Mann. So hätte die Geschichte von Barbie und Ken auch aussehen können, vllt sogar müssen…. #feminism

  • Russland, eine Ödnis

    Russland, eine Ödnis

    Rückblickend, nach der beginnenden Invasion Russlands in die Ukraine – nur äußerst naive Zeitgenossen glauben mit den russischen „Friedenstruppen“ in der Ostukraine gäbe sich der Leader Putin zufrieden, nicht wenige russische Politiker sprechen bereits von der Eroberung der gesamten Oblaste Donezk und Luhansk, die nicht von den Separatisten besetzt sind, was eigentlich die gesamte Ukraine bedeutet – und damit nach einer weiteren europäischen, weltpolitischen Zäsur des 21. Jahrhunderts, lässt sich feststellen, dass die vergangenen 21 Putin-Regentschaftsjahre kulturell äußerst dürftig gewesen sind, die Faszination für das unbegreifliche, unsinnige Riesenreich Russland (und die Sowjetunion im 20. Jahrhundert), von Thomas Mann in die deutschsprachige Literatur getragen, echot sie auf komische Weise zB in Alexander von Humboldts Russlanddurchquerung in Kehlmanns Vermessung der Welt, auf deutschen Bühnen in der nie verebbten Faszination für Tschechow oder Dostojewski-Adaptionen, geht zurück auf die Faszination russischer Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von Puschkin aufwärts zu Gogol, Lermontow, Turgenjew, fünf Elefanten, jede Menge Tolstoj, Zwetajewa, Achmatowa, Charms etc bis in die 1990er Jahre zu vllt Dmitrij Prigow oder Irina Denezhkina; von Tschaikowsky, Mussorgsky, Glinka zu Prokofjew, Strawinsky, Schostakowitsch; nicht zu vergessen das einflussreiche russisch-sowjetische Kino von Dziga Vertov, Eisenstein, Tarkowski, dazu die Adaptionsfreude westlicher Stoffe – doch im frühen 21.Jahrhundert schwindet diese Faszination, die russische Kulturproduktion ist in den Jahren nach 2010 fast vollständig zum Erliegen gekommen, zumindest was relevante literarische musikalische filmische Produktionen betrifft, entscheidenden Anteil am Verschwinden der künstlerischen Gegenwartsanalysen und Kommentare hatte der Prozess um die Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“ und die Verurteilung von Pussy Riot nach deren Gebet in der Erlöserkathedrale 2012, noch in den 1990er Jahren entstanden die russische Kultur prägende Werke, der vllt zentrale Film ist „Brat – der Bruder“ von Alexej Balabanov 1997, der die Stimmung und Abgründe der späten Jelzin-Zeit herausragend einfängt, in den frühen 2000er Jahren meldete sich Andrej Swjaginzew mit „Die Rückkehr“, einem düsteren, pessimistischen Film zu Wort, es entstanden überdrehte Produktionen wie „Nochnoj Dozor“ von Timur Bekmambetov, Künstler*innen wie Zemfira, Splin, Andrej Makarewitsch uva bezogen sich auf den Gründer der russischen modernen Popmusik Viktor Zoi und seine Band Kino – von all dem ist um 2020 nichts mehr erhalten, Zemfira ist verstummt, Splin machen belanglose Musik um sich nicht in Gefahr zu begeben, Makarewitsch wurde für sein Engagement gegen Putin und für Flüchtlinge in der Ostukraine 2014 zum Volksverräter erklärt, der russische Film ist jenseit von Swjaginzews „Leviathan“ und „Loveless“ vollkommen belanglos und international nicht mehr existent, auf der Berlinale 2022 ist gerade einmal ein russischer Kurzfilm zum Klimawandel zu sehen gewesen, die russische Literatur der Gegenwart ist nach der aufregenden Alissa Ganijewa stehengeblieben im vereisten Blick auf vergangene Größe und seine Kanonisierung in Vitrinen, Vladimir Sorokins bitter-sarkastisch-kluge Bücher entstehen inzwischen im Exil, der letzte Literaturnobelpreis an einen ehemals in Russland aktiven Autor ging 1987 an den 1972 ausgebürgerten Joseph Brodsky (der Nobelpreis 2015 ging an die nicht mehr als „russisch“ zu vereinnahmende, sowjetkritische, belarussische Autorin Swelana Alexijewitsch), kurz: die russische bzw russländische Kultur in den Grenzen nach 1991 ist de facto nur noch als Nostalgie, Verlust und Verhinderung existent, nicht aber mehr als relevanter Beitrag zur Gegenwart (mit der winzigen Ausnahme Kirill Serebrennikov, der zur Einhegung des Ungezügelten mit diversen Bannflüchen belegt wurde), ähnlich Irrelevantes lässt sich über den erbärmlichen Wissenschaftsstandort Russland sagen, der seit Jahrzehnten zur Welt nichts mehr beizutragen hat und keine irgendwie relevanten Forschungen betreibt, in Putins Russland werden auch die Oppositionellen heute noch mit einem sowjetischen Kampfstoff getötet, der technologische Standort Russland ist inexistent, dieses Land hat außer purer Größe und militärischer Aggression nichts anzubieten, und vor allem kulturell fällt im Review der ersten zwei von insgesamt 30 Dekaden Putinscher Ewigkeits-Regentschaft – erst im Jahre 2222 verstarb er auf unrühmliche Weise – schmerzhaft auf, wie stumm und leblos dieses einst so einflussreiche Kulturland heute ist bzw: war.

    Update 25.3.22: dieses sehr lesenswerte Interview mit dem Filmregisseur Ilja Chrshanowski im Standard beschreibt die existierende und kommende Ödnis in Russlands Kulturlandschaft herausragend, auch die kommende russische Katastrophe, denn Putin und alle seine Helfer und Wähler und Getreuen und Vasallen zerstören das Land nachhaltig, seit 22 Jahren, in diesem Moment.

  • hwang dong-hyuk – squid game

    hwang dong-hyuk – squid game

    zu dieser serie ist in den vergangenen wochen allerlei gesagt worden, vor allem als erklärungsversuche zum enormen erfolg dieser südkoreanischen netflix-serie. dabei ist der erfolg durchaus folgerichtig, denn das filmland südkorea ist für amerikanische investoren seit über 10 jahren höchst attraktiv, und auf dauer auch lukrativer als der große chinesische markt, dessen wesentliche schwäche seine parteiideologische begrenztheit ist. im gegensatz dazu war das filmland südkorea seit der korean new wave nach ende der militärdiktatur 1987 und seiner sich seitdem fortsetzenden öffnung äußerst produktiv gewesen. ab den späten 1990er jahren sind immer wieder außergewöhnliche filme aus südkorea in diversen festivals erfolgreich, die enorme kreativität und vielfalt des südkoreanischen kinos forderte das publikum heraus und gab neue impulse. filmereignisse wie oldboy, memories of murder, oasis oder samaria und viele weitere herausragende filme der 2000er jahre zeugen von einer einzigartigen vielfalt – wenn auch leider bis heute nur in ausnahmen mit weiblicher handschrift.

    mit einstieg amerikanischer investoren in den südkoreanischen markt ab 2010 lässt sich eine veränderung beobachten, die sich zusammenfassen lässt als annäherung an westliche bzw hollywood-amerikanische sehgewohnheiten und erwartungen. diese annäherung erfolgt durch glättung von ambivalenzen, eindeutigkeiten von figuren, erklärende dialoge, betonung und stärkung von genrefilmen, visuelle makellosigkeit, fokus auf entertainment. the wailing ist dafür ein exzellentes beispiel: optisch großartig im stil des asiatischen horrorkinos, alles ist erklärend auserzählt, die figuren sind moralisch klar auf gut und böse verteilt, den zusehenden wird nichts abverlangt, ein perfekter unterhaltungsfilm. weitere beispiele lassen sich problemlos im crime-genre finden, etwa the suspect oder aktuell the gangster, the cop, the devil. oder im historischen film wie dem teuren, mit koreanischen stars gefüllten the age of shadows oder der admiral. eindeutigkeit und komplexitätsreduktion zugunsten des unterhaltungsfaktors ist den meisten filmen des letzten jahrzehnts eingeschrieben, um koreanisches kino auch international vermarkten zu können. es ist nur ein effekt der zunehmenden korea-fixiertheit der popkultur, die als „hallyu“ oder „koreanische welle“ bezeichnet wird und mit jeder menge leicht und vergnügt goutierbarem aufwartet.

    spätestens seit bong joon-hos parasite ist koreanisches kino im zentrum der aufmerksamkeit und damit markttauglichkeit angekommen. auch wenn sich parasite gegen allzu unterhaltsame lesarten sperrt und durchaus widerständig ist, wie auch einige wenige andere filme wie etwa lee chang-dongs burning oder park chan-wooks die taschendiebin, so sind bong und park schon längst keine unbekannten mehr im amerikanischen kino und haben wie auch kim jee-won in amerika gedreht. (es überrascht nicht, dass snowpiercer, okja, the last stand und stoker alle hinter den möglichkeiten ihrer regisseure zurückbleiben.) insofern ist der erfolg von squid game nur folgerichtig, ebenso wie seine offensive vermarktung.

    squid game, das tintenfischspiel, ist im wesentlichen eine aneinanderreihung bekannter bilder und motive, das ganze in einem dystopischen crime-horror-setting. das wesen der serie ist ihr sadismus, aus dem sterben und quälen von menschen ihren unterhaltungswert zu beziehen. hoffnungslos verschuldete menschen finden sich in einem weltenthobenen lager wieder, wo sie kinderspiele überleben müssen, um am ende eine riesige geldsumme gewinnen zu können, je weniger menschen das überleben, desto mehr geld gibt es am ende. das setting ist ebenso zynisch wie menschenverachtend und in seiner dystopischen anlage so bekannt wie leicht verständlich. nicht zuletzt aus den tributen von panem und ähnlich aufgebauten (ohne todesdrohung natürlich) shows im tv, auch historische erfahrungen menschenverachtender inhaftierung in lagern ruft die serie auf, kz, gulag, usw. es gibt die inhaftierten, es gibt die überwacher, macht und gewalt: den tod als ultimative drohung verstehen alle. das ganze ist dann zuckersüß aufbereitet und netflix-tauglich durch die quietschbunte farbgebung passend zu den brutalen kinderspielen. denn im bunten gewand ist jede grausamkeit erträglich, auch wenn sie noch so expilizit gezeigt wird wie das sich gegenseitige nächtliche abschlachten der inhaftierten, die grelle farbgebung verstärkt den zynismus. und die toten werden in öfen verbrannt – in särgen mit geschenkschleifchen drumgebunden. es ist allzu offensichtlich, dass wir einem entmenschlichenden „spiel“ zuschauen einer im wahrsten sinne gesichtslosen macht (alle täter und schergen auf seiten der spielführung sind maskiert und werden bei enttarnung getötet), die sich in geld und gewalt zeigt: dem „kapital“. diese, nun ja, gesellschaftskritik auf 9 folgen zu strecken und gar noch eine westliche globalisierte finanzelite in goldenen tiermasken – die „v.i.p.s“ – als hintermänner zu präsentieren, zu deren belustigung die spiele veranstaltet werden, ist schon arg dünn, zudem mit antisemitischer note gewürzt.

    squid game hat kein interesse an irgendwelchen gesellschaftskritischen tönen, auch nicht an seinen figuren, die allesamt flat characters sind mit dem naiven aber herzensguten unglücksraben als hauptfigur. wie wenig interesse die serie an den 455 bemitleidenswerten spieler*innen hat (die person 001 hat sich aus spielfreude zu den spielenden gesellt und gehört eigentlich zur bösen elite) zeigt sich bereits im ersten spiel, wo in wenigen minuten über die hälfte von dutzenden maschinengewehren abgeschlachtet werden, ohne dass man etwas über sie erfahren hätte. die überlebenden werden spiel für spiel zu unsolidarischem verhalten erzogen, wie es sich für das competiton-genre im tv gehört. jedoch: bis in folge 7 gibt es – im gegensatz etwa zu tribute von panem – de facto nur den schwarz maskierten spielführer als publikum zu den veranstalteten grausamkeiten, es ist ein in sich geschlossenes system auf einer abgelegenen insel. fast – denn das publikum sitzt natürlich vor den netflix-geräten und kann die entwürdigung und entmenschlichung gemütlich binge-watchen. squid game hat als einziges ziel die unterhaltung, auch wenn sie das selbst anhand der v.i.p.s kritisierend ausstellt, doch die freude über den rekord beim weltweiten serienschauen wird dadurch keineswegs geschmälert, im gegenteil: 111 millionen netflix-abos ziehen sich weltweit zynische kapitalismuskritik zur unterhaltung rein, läuft. das also ist aus dem koreanischen kino inzwischen geworden, wenn es nur ordentlich mit geld gefüttert ist und weltweit erfolgreich sein soll. bunt, sadistisch, substanzlos. und alle kehren zur zweiten staffel vor die geräte zurück. so wie die hauptfigur gi-hun, der sich ohne jede nachvollziehbare motivation beim einstieg ins flugzeug gegen den besuch seiner tochter entscheidet und lieber nochmal zu den kinderspielen 2.0 zurückkehrt. er möchte herausfinden, wer wirklich dahinter steckt, liebe grüße an die verschwörungsfreunde. mehr begründung braucht es offenbar nicht.

    es ist davon auszugehen, dass in staffel 2 alle spuren von armut als gesellschaftlicher makel sowohl aus der figur gi-hun als auch aus der serie weitgehend verschwunden sein werden, denn so richtig ernst genommen als thema der serie hat das ja eigentlich sowieso niemand.

  • kim ji-young, geboren 1982

    kim ji-young, geboren 1982

    2016 erschien der roman von cho nam-joo über eine typische koreanische frau der gegenwart, vielmehr über ihre selbstverständliche diskriminierung in allen lebenslagen und altersstufen. die rezeption des romans und 2019 auch des filmes führte zu heftigen diskussionen auseinandersetzungen debatten und noch wesentlich mehr anfeindungen beleidigungen attacken gegen alle frauen, die sich zum buch und zur verfilmung öffentlich in korea bekannten. es ist DAS aktuellste virulenteste drängendste soziale problem nicht nur in der koreanischen sondern weltweit allen gesellschaften, denn diese sind trotz einzelner regierungschefinnen nach wie vor in ihrem selbstverständnis misogyn.

    kim ji-young ist 33 jahre alt, lebt mit viel arbeitendem mann und einjähriger tochter in seoul und ist am ende angelangt. sie verhält sich seltsam und ungewöhnlich, ihr mann rät zu einer therapie und der therapeut, mit dessen abschlussbericht der roman endet, vermutet postnatale depression, nichts besonderes. und in der tat sind alle ereignisse, die vorher geschildert werden, die geburt für die sich die mutter dem vater gegenüber entschuldigt da es wieder nur ein mädchen ist, das werdende dritte kind gar deshalb abtreiben lässt, die verhätschelung des dann endlich gekommenen sohnes, die benachteiligung in der schule, die endlosen absagen bei der jobsuche, die schlechterstellung bei der arbeit, gender-pay-gap, jobaufgabe bei schwangerschaft – es ist alles eben nichts besonderes. und genau darin besteht das skandalon: wie selbstverständlich und normal sexismus diskriminierung gewalt in allen momenten des lebens von koreanischen frauen sind. der roman in seiner gesamten gestalt, inhaltlich und formal, erzählt von der absoluten normalität des misogynen in konservativen patriarchalen gesellschaften: die hauptfigur trägt einen allerweltsnamen, die sprache ist bewusst reduziert und als bericht geschrieben, soziologische daten zur ungleichheit von frauen gegenüber männern sind in den text eingefügt als sei kims leben eben auch nur der mittelwert soziologischer studien und erkenntnisse: individuelle eigenschaften werden ihr im roman sehr oft und von allen seiten immer wieder abgesprochen bzw vorgeworfen, sei nicht so, mach nicht dies, verhalte dich anders etc. ihre eigene persönlichkeit wird im laufe des lebens so stark defomiert und zugerichtet, dass sie am ende nur noch sätze und tonlagen derer wiedergibt, die sie gemaßregelt haben.

    die perfektion der deformierung der frau zeigt sich auch an kims schwiegermutter, die ihr gegenüber offen feindselig auftritt, kim beleidigt und zurechtweist, während ihr mann mit ihr liebevoll umgeht, sich allerdings auch nicht für seine frau einsetzt und aus gründen der normalität auf kinder drängt, wissend ihre berufliche karriere damit irreparabel zu zerstören. kim versucht dabei stets alles richtig zu machen und begehrt zu keinem zeitpunkt auf oder wehrt sich gar, da sie die systematische unterdrückung vollkommen internalisiert hat. die sexistische fragestellung an die drei bewerberinnen während des einstellungsgespräches ist nur eines von zahlreichen beispielen, wie exakt choo nam-joo die internalisierung und perfidie darzustellen versteht: auf die frage, wie die frauen auf sexuelle belästigung am arbeitsplatz reagierten, antwortet kim, sie würde versuchen solche situationen künftig zu meiden. die zweite bewerberin würde offen protestieren während die dritte sich selbst dafür verantwortlich macht – am ende stellt sich heraus, dass keine bewerberin die stelle erhalten hat, dass es also egal ist wie sie reagieren: es ist stets falsch. kim selbst empört sich innerlich, doch spricht sie nichts davon aus. die perfidie des patriarchalen liegt darin, die frauen verstummen zu lassen und sie zu vereinzeln: es ist ihr problem, sie ist krank, sie muss behandelt werden. doch der gesamte roman in genau dieser art der beschreibung zeigt: die frau hat kein individualpsychologisches, sondern ein sozialpolitisches problem.

    cho nam-joos roman über die durchschnittsfrau koreas, in dem sie auch ihre eigene lebens- und arbeitssituation mit beschrieb – sie arbeitete als drehbuchautorin im fernsehen und musste aufgrund ihrer schwangerschaft kündigen -, erschien 2016 in korea nach einem mord an einer jungen frau im exponierten seouler stadtteil gangnam, viele frauen solidarisierten sich mit der aus reinem frauenhass getöteten: You died because you are a woman. The rest of us survived only because we were lucky. noch bevor in den usa und europa #metoo die selbstverständlichkeit misogynen und sexuell übergriffigen verhaltens offenlegte, entstand nach dem erscheinen von kim ji-young, geboren 1982 eine frauenbewegung in korea, die den weit verbreiteten sexismus in kultur und gesellschaft anprangerte und deren protagonistinnen heftig angefeindet und bedroht wurden. aus der vehementen ablehnung von feminismus und gleichstellung entstand sogar eine parodie auf choo nam-joos roman, der über diskriminierung von männern faselte.

    auch die 2019 erschienene verfilmung des buches führte zu erneuten „spannungen„, so etwa einen üblen shitstorm gegen die hauptdarstellerin jeong yu-mi, einer petition an den präsidenten den film nicht zu veröffentlichen und haufenweise aufrufen im internet dem film vorab bereits miserable kritiken auszustellen. dabei stellen buch und film sehr genau dar, wie ausweglos der von allen teilen der gesellschaft mitgetragene lebensentwurf für frauen aussieht und wie vehement dieser lebensentwurf eingefordert wird: hausfrau und mutter zu sein, sei für die frau das lebensziel mit nationaler verantwortung. wo den söhnen und männern alle erdenklichen freiheiten und privilegien zugestanden und eingeräumt werden, werden die frauen als rabenmütter disqualifiziert, wenn ihnen in der öffentlichkeit ein missgeschick mit einem kaffeebecher passiert.

    die verfilmung ist der erste film der schauspielerin kim do-young und schiebt den fokus , anders als das buch, im wesentlichen auf die gesellschaftliche kernzelle familie. so bleibt die haupterzählung im film in der gegenwart der 33jährigen kim und konzentriert sich auf ihre begegnungen mit ihrer familie bzw der ihres mannes. sämtliche diskriminierenden muster und verhaltensweisen, insbesondere die internalisierung der diskriminierung als selbstverständlich, so formuliert die verfilmung, werden in der familie erlernt und tradiert, in der schwiegerfamilie bestätigt und bestärkt. das familiäre system aus respekt den älteren generationen gegenüber und der klaren rollenverteilung von männern und frauen scheint für die frauen im wesentlichen auf unterwürfigkeit zu beruhen. in kurzen rückblenden erzählt der film episoden aus kims leben, vorrangig ihrem arbeitsleben, und spart so unter anderem die schule als ort der erniedrigung von mädchen vollständig aus. leider gelingt es dem film nicht so gut, die beklemmung kims sicht- und spürbar zu machen, die musik, farbgebung und bildkompositionen sind eher an gewöhnlichen fernsehfilmen geschult, denen ästhetisch gelungene aufnahmen wichtiger sind als die filmische bildsprache, und dies wird auch nicht als bewusst gewähltes formprinzip deutlich, sondern zeichnet die figuren zu oft einfach nur in warmen weichen licht. auch die von der regisseurin vorgenommene änderung vom psychiater zu einer psychiaterin, um dem publikum eine etwas positivere perspektive zu geben als das resignierende buchende, weicht die trockene, genaue, sezierende analyse des buches auf, dämmt die wucht der feministischen aussagekraft. so wird aus der kühl aufbereiteten aber zornigen schilderung der erdrückenden gegenwart das gedämpfte portrait einer aufgrund unerfüllbarer erwartungshaltungen von familie und arbeit der despression verfallenen frau, das unbedingt ein happy end erzählen möchte.

    cho nam-joo: kim ji-young, geboren 1982. roman. kiwi 2021. 208s, 18€.

    audiobook: gelesen von nele rosetz und felix von manteuffel. argon verlag 2021. 4h45min, 19,95€/15,95€.

    kim do-young: kim ji-young, geboren 1982. südkorea 2019. 119min.

  • walter salles – jia zhangke, a guy from fenyang

    walter salles – jia zhangke, a guy from fenyang

    in diesem dokumentarfilm treffen zwei regisseure aufeinander, deren namen hierzulande wohl nur cineasten kennen, die jedoch zu den wichtigsten und einflussreichsten regisseuren im gegenwärtigen kino zählen. der brasilianer walter salles, der neben eigenen filmen wie seinem bekannten central do brasil, der jack kerouac-verfilmung on the road oder der reise des jungen che auch das drehbuch zum biopic frieda mit selma hayek schrieb oder den herausragenden film city of god über bandenkriminalität in rio produzierte, portraitiert in a guy from fenyang den chinesischen independent-regisseur jia zhangke, in dessen filmen sich die komplexe, widersprüchliche entwicklung chinas in den vergangenen 20 jahren abgebildet findet.

    salles‘ dokumentation begleitet jia zhangke bei gesprächen mit freunden, familienmitgliedern, schauspielern seiner filme in seiner heimatstadt fenyang in der nordchinesischen provinz shanxi. aus den erzählungen und berichten über die filmischen arbeiten jias, die mit vielen ausschnitten der filme begleitet werden, entsteht so ein einblick in den werdegang und die sozialkritische arbeitsweise jias. wie in einer zeitreise kontrastieren die frühen filme das gegenwärtige fenyang und bezeugen die wirtschaftlichen, architektonischen und sozialen veränderungen. so bekräftigt walter salles‘ film das anliegen jia zhangkes, den wandel und die damit einhergehenden brüche chinas in seinen filmen einzufangen im moment der transformation. zudem belegt er die komplizierte situation unabhängiger filmemacher in china, die sich immer wieder mit zensur konfrontiert sehen. der film endet mit dem aufführungsverbot von a touch of sin, einem episodenfilm mit radikaler kritik an chinas real existierendem gewalttätigen kapitalismus.

    die stärke dieses leisen, reichen filmes, der jias entwicklung von seinem ersten film pickpocket, über platform, welt park, still life bis zu a touch of sin zeigt, liegt in der großen nahbarkeit der im film portraitierten persönlichkeiten, die unverstellt offene einblicke in ihr leben und die arbeit geben. das fehlen jeglicher allüren oder dem streben nach einem bestimmten image ist auch ein kennzeichen der filme jias, die selbst immer wieder dokumentarischen charakter haben, am eindrücklichsten wohl in still life, der 2006 in venedig den goldenen löwen gewann. im gegensatz zur chinesischen realität haben jia zhangke und die von ihm regelmäßig wiederbesetzten schauspieler*innen – allen voran die großartige zhao tao – nichts zu verbergen und zu verdecken durch künstlichkeit und bedeutungsvollem reden. eben diese nahbarkeit und unverstelltheit ist das, was jias filme offenbar auch für die zensurbehörde in china verdächtig macht. doch die verbannten filme tauchen als schwarzmarkt-kopien wieder auf und verbreiten sich umso mehr – es gehört zu den eindrücklichen momenten des films, wie jia auf der zugfahrt ( im fenster ist walter salles beim zuhören gespiegelt ) erst von der enttäuschung berichtet, dass sein film nicht gezeigt werden darf, um dann auf dem schwarzmarkt zu erkennen, dass die behörde gegen die verbreitung nichts ausrichten kann. einzig die große kränkung bleibt, statt in einem würdevollen kinosaal lediglich zu aufführungen in abrissreifen cafés eingeladen werden zu können.

    die dokumentation a guy from fenyang lief 2015 lediglich auf der berlinale und blieb in europa so gut wie unbeachtet, trotz der international bekannten namen, obwohl jia zhangkes filme regelmäßig auf festivals, insbesondere in cannes, zu sehen sind. jia zhangke gilt seit anfang der 2000er jahre als eine der wichtigsten stimmen im chinesischen kino abseits aller vereinnahmungen aus hollywood, seine fähigkeit, die wenig erheiternde realität in der provinz shanxi, aus der ein drittel der chinesischen kohle stammt, in so nüchterne wie beeindruckend traumhafte bilder und erzählungen zu übersetzen, verdient hierzulande wesentlich mehr aufmerksamkeit, denn wie der new yorker 2011 befand: Jia is simply one of the best and most important directors in the world.

    walter salles: jia zhangke, a guy from fenyang. brasilien 2014, 105min.

  • kim ki-duk 1960-2020

    kim ki-duk 1960-2020

    die corona-pandemie hält trotz aller impfstoff-entwicklungen weiter an und gestern, am 11.12.2020, wenige tage vor seinem 60.geburtstag, verstarb leider auch kim ki-duk an einer covid-19-erkrankung in lettland. für die internationale kino-welt ist dies ein extremer verlust, im koreanischen kino hinterlässt kim eine riesige lücke, auch wenn sein ruf nach (unbestätigten) anschuldigungen sexuellen missbrauchs und gewalt gegen eine schauspielerin seines films moebius gelitten hatte.

    kim gehört unzweifelhaft zu den prägenden regisseuren des koreanischen kinos und des internationalen autorenfilms nach 1990. seine filme sind von extremen situationen und gegensätzen geprägt, gewalt und rohheit gehören ebenso zu seinen stilmitteln wie eine schutzversprechende abgeschiedenheit und stille bis zur völligen stummheit. die individuellen geschichten steigern sich immer wieder zu hochkomplexen symbolischen fabeln über die widersprüchliche verfasstheit der koreanischen gesellschaft und dem in oder außerhalb ihrer einen platz suchenden individuen, vorrangig jugendlichen oder jungen erwachsenen. kims eigene kindheit und sein gewalttätiger, ihn misshandelnder vater finden sich in seinen filmen ebenso verarbeitet wie seine armeezeit und die ihren weg suchende koreanische gesellschaft nach dem ende der militärdiktatur 1990.

    in europa am bekanntesten dürfte der zugängliche und hochkonzentrierte film frühling, sommer, herbst, winter … und frühling von 2003 sein. er ist eine beinah hypnotische reflexion über einen vom kind zum mann heranwachsenden menschen, der seiner schuld auch mit meditativer religiöser anstrengung in strengster einsamkeit und weltferne nicht entkommt. auch wenn die wichtigsten motive kims – strenge, einsamkeitserfahrung, weltabgewandtheit, religiöse motivik – hier kunstvoll versammelt sind, so ist die extreme körperliche gewalt in diesem film weitgehend ausgespart. wie sehr gewalt oder gewaltdrohung in kims filmen die funktion der kommunikation übernehmen, bezeugen der einsatz des titelgebenden bogens in hwal und der ebenfalls im original als titel verwendeten 3er golfschläger in bin-jip – leere häuser (im original 3-iron). dass die (expliziten und psychologischen) gewaltdarstellungen in seinen filmen das zeitgenössische koreanische publikum überforderte, lässt sich an kims ersten wichtigen internationalen erfolg seom – die insel und noch mehr am als skandalös empfundenen bad guy verstehen: kim übertritt alle grenzen der sehgewohnheiten und konfrontiert sein publikum mit archetypen und hochkomplexen ambivalenzen, bildsprache und (oft abwesende) figurensprache sind sich ergänzende kontraste, die verhältnisse und beziehungen der figuren zueinander variieren und wechseln, eindeutigkeiten im sinne einer moralischen klaren lehre sind nicht möglich. trotz aller formen von gewalt – bis hin zu extrem fordernder blutroher schuld-und-rache-erzählung wie in moebius oder vorwürfen des exzesshaften wie in human, space, time and human – bleibt doch immer die erkenntnis, dass kim gewalt erzählt, weil sie teil des menschen und seiner ausdrucksweise ist, er sie doch stets als schockierend ablehnt.

    kim selbst wurde von einer angedrohten gewalttat derart schockiert, dass er 2008 in eine tiefe krise und depression verfiel, nachdem sich eine schauspielerin für seinen film dream das leben nehmen wollte. nach 12 jahren ununterbrochener schaffenszeit und insgesamt 15 filmen zog sich kim in die einsamkeit zurück. drei jahre später veröffentlichte er das äußerst intime selbstporträt dieser krise: arirang. die radikalität von kim ki-duk und seinem kino ist in diesem sowie dem nachfolgenden film pieta, der in venedig den goldenen löwen gewann, eindrücklich festgehalten. es sind filme von überwindungen, bezwingungen, nur allerdings gänzlich unheroisch, ohne naturmystik oder heldenkitsch, sondern so roh und intim und hochverletztlich wie nur möglich. in arirang quält sich kim und ringt mit sich selbst, ohne dass es je larmoyant und eitel würde. in pieta muss sich ein brutaler schuldeneintreiber seiner eigenen schuld stellen, als unerwartet seine lang verlorene mutter bei ihm auftaucht. das stets komplexe hochemotionale verhältnis der geschlechter und generationen gleichermaßen zueinander ist ein weiteres zentrales motiv in kims filmen, sei es in pieta der sohn und die ihn bergende mutter, in hwal die kindhafte frau und der alte mann, oder in samaria die jugendliche sich prostituierende tochter und der überforderte vater.

    kims arbeit an den erzählungen der archetypen ist nun unvermittelt abgebrochen, sein einfluss auf das gegenwärtige kino zwar gering, doch als „außenseiter“ mit einer sowohl radikalen bildsprache als auch eigener lebensführung haben seine filme das kino nachhaltig bereichert. niemand hat so klar wie ambivalent, leise wie grausam von den psychologischen untiefen erzählt wie kim. eine revision seines werkes steht aus, doch dazu müssten seine filme überhaupt erst einmal in deutschland verfügbar sein, derzeit sind lediglich pieta, moebius, seom und arirang als stream abrufbar, dvds von filmen der frühen 2000er-phase nur noch antiquarisch. und viele sind bis heute in deutschland gar nicht erschienen, darunter der als einer seiner wichtigsten filme geltende adress unknown. auch hier klafft also eine enorme lücke.

  • apichatpong weerasethakul – uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben

    apichatpong weerasethakul – uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben

    die zeit geht in enormem tempo ihrer täglich aufs neue unfassbaren ereignisse und katastrophen aus so ziemlich allen ecken dieses höchst kantigen planeten #moria #belarus #uiguren #jemen #sanfrancisco #etcetcetc die möglichkeiten zum innehalten nach dem grauenerfüllten blick auf das entsetzliche sind rar geworden scheints doch manchmal gelingts und es findet sich der weg in freie räume – so etwa in den außergewöhnlichen filmen des apichatpong weerasethakul : uncle boonmee ist ein film für den das kino einst erfunden wurde.

    kino in thailand ist so ziemlich die maximal vorstellbare antithese zu den überwältigungsfilmen hollywoods. ein land mit einer hochgradig komplexen geschichte, konstitutionelle monarchie, militärregierungen und antikommunistischen massakern aus furcht vor vietnamesischen, kambodschanischen oder laotischen (kommunistischen revolutions-)verhältnissen – in apichatpong weerasethakuls arbeiten finden sich zahlreiche echos auf die verwundungen der thailändischen gesellschaft in den jahrzehnten nach dem 2. weltkrieg, sowohl inhaltlich als auch ästhetisch. uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben ist dafür der eindrücklichste, faszinierendste beleg.

    uncle boonmee besitzt eine kleine farm für tamarinde und honig, auf der unter anderem geflüchtete aus den benachbarten laos arbeiten. er selbst ist schwer krank und ahnt, dass ihm nicht mehr viel zeit bleibt, also hat er sich zum sterben zurückgezogen, umgeben von seiner schwester jen und ihrem sohn tong, außerdem versorgt ihn ein weiterer illegaler flüchtling aus laos medizinisch, vor dem jen anfänglich einige ressentiments hat. beim abendessen bekommen sie besuch von boonmees vor 19 jahren verstorbener frau huay und ihrem sohn boonsong, der im dschungel verschollen war und nun in veränderter gestalt wieder auftaucht. boonmee hält seine krankheit für die strafe zur schuld, die er als mörder von kommunisten auf sich geladen hat, während jen ihn zu trösten versucht, er habe es mit den besten absichten zum schutz des volkes getan. huay jedoch muss ihn im bezug auf sein seelenheil im himmel enttäuschen, dieser existiere schlicht nicht. er zieht sich zum sterben in eine höhle zurück, nach der trauerfeier sind jen und eine freundin in einem hotel mit dem zählen von geldgeschenken beschäftigt, als tong eintritt und eine kurze pause von seinem neuen mönchsleben benötigt, an das er sich nach boonmees tod noch nicht gewöhnt hat.

    uncle boonmee ist in vieler hinsicht ein herausragender film. nicht allein, dass er der erste thailändische film ist, der mit der goldenen palme in cannes 2010 ausgezeichnet wurde und darüberhinaus weitere internationale preise gewann. es ist ein film über eine ganze reihe von themen, die beinah beiläufig und im bewussten verzicht auf hochglanz und kaschierungen erzählt werden, in einem sehr ruhigen tempo, mit durchaus dokumentarischem charakter: es geht um tod und vergebung, einsamkeit und schuld sowie reinkarnation als philosophisch-religiöse themen – herausragend die als erinnerungs-/traumsequenz eingefügte szene der gealtertern lebensmüden prinzessin, die sich in einem waldsee ertränkt und das große kostümtheater ostasiens zitiert wie verfremdet. vorangestellt ist dem film, der die gleichzeitigkeit von tanszendeten und realen wesen als etwas sehr alltägliches und ohne furcht beschreibt, als thema dieses motto:

    Im Angesicht des Dschungels, der Hügel und der Täler tauchen meine vergangenen Leben als Tier und als andere Wesen immer vor mir auf.

    die vergangenen, gegenwärtigen leben sind dabei ebenso spirituell wie konkret zu verstehen und keineswegs als gegensatz: es geht im film und den knappen gesprächen zwischen boonmee und jen bzw huay ebenso um politisch-historische verantwortung, um die selbstverständlichkeit des verschwindens von personen oder die anwesenheit von geistwesen ebenso wie um das kino als traumort selbst. dies alles ist in einem stil erzählt, den weerasethakul mit anderen filmen und installationen als primitive project zusammengefasst hat, darunter auch den 18minütigen kurzfilm a letter to uncle boonmee. die fülle der themen und cineastischen ausdrucksformen fügt uncle boonmee gänzlich unaufdringlich und absolut gleichberechtigt nebeneinander in seine erzählung, in der das erzähltempo suggeriert, als könne die figuren nichts erschüttern, doch die erschütterungen sind äußerst fantasievoll und gleichsam tragisch als auswirkungen in die figuren eingeschrieben, gleichsam als finale wellen von vergangenen beben, die sich in den figuren brechen und keineswegs zur ruhe kommen. so ist eine traumerzählung boonmees mit einer fotoserie junger militärs kontrastiert, die eine als affen verkleidete figur sowohl abführen als auch mit ihm posieren als ein scheinbar heiteres echo auf boonmees reale militärvergangenheit, oder die permanente anwesenheit von verschwundenen personen als ein gesellschaftlicher normalzustand, so auch der verschwundene sohn boonsong der einst in den dschungel ging und verloren blieb, da er auf fotos seiner kamera affengeister entdeckte und von diesen nun besessen war, so dass er unter ihnen leben wollte. er kehrt zurück als vollständig verwandelter. auch dies eine multiperspektivische episode sowohl vom verschwinden, das von den figuren nicht kommentiert wird, als auch vom kino selbst: die kamera als medium des wirklichkeitswandels ist selten schöner und unaufdringlicher erzählt worden – und ist zugleich einer der vielen persönlichen, autobiografischen verweise apichatpongs, der von sich sagte, er sei ins kino entkommen.

    obwohl uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben vor zehn jahren international sehr erfolgreich war, ist der film heute und auch sein regisseur, der zu den herausragenden filmemachern insbesondere des independentkinos und der thai new wave zählt, in deutschland so gut wie nicht bekannt. ganz anders im englischsprachigen raum, wo der film auch heute noch stark rezipiert wird und zu einem neuen kanon des kinos gezählt wird, der außergewöhnliche independent-filme zusammenfasst. hierzulande ist von apichatpong weerasethakul lediglich sein 2015 erschienener film cemetery of splendour über rapid eye movies erhältlich, wenigstens das. doch die vielgestalt und vieldimensionalität von uncle boonmee als kunstwerk sowohl des thailändischen als auch des internationalen kinos ist hierzulande deutlich zu wenig gewürdigt.

    apichatpong weerasethakul: uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben. thailand u.a. 2010. 113min.

  • christopher nolan – tenet

    christopher nolan – tenet

    es ist über einen monat her seit der letzten besprechung, dazwischen lagen für mich ereignisreiche intensive anstregende kraftzehrende tage – doch jetzt möchte ich die gesponnenen fäden des kinos und der literatur wieder aufnehmen: an gänzlich unerwarteter stelle, nämlich beim amerikanischen blockbusterfilm tenet von christopher nolan, von dem sich nicht weniger als die von corona pausierte, streamdienstkonzentrierte saalverlassene wiederauferstehung des kinos als erlebnis versprochen wird, denn tenet startet ausschließlich in den sälen und nicht im internet. doch es ist die wiederkehr eines typus, der eigentlich mit avengers endgame sein finale erreicht hatte: des überwältigungsfilms.

    der namenlose amerikanische protagonist ist darauf angesetzt, undercover einen gegenstand bei einer russischen geheimoperation in der vollbesetzten kiewer oper (ja ganz genau so) zu bergen. während er glaubt, dass im gegenstand plutonium sei, stellt sich heraus, dass es was anderes ist und mit der seltsamen munition zu tun hat, die ihm rückwärts um die ohren flog. eine wissenschaftlerin erklärt ihm wortreich paradox, dass es in der zukunft gelungen ist, für dinge und menschen den zeitlauf umzukehren, sie können sich also rückwärts durch die zeit bewegen – man nennt das inversion. die spur führt über eine waffenhändlerin in indien zu einem russen auf einem boot vor sizilien und vor allem dessen frau, an die heranzukommen es instruktionen eines engländers benötigt. die frau wiederum ist kunstexpertin und hat durch einen fehler den groll ihres mannes erregt, mit dem sie eine fürchterliche beziehung führt und der sie erpresst. über die stationen oslo und tallin finden der protagonist und ein freundlicher begleiter schließlich schlüsselobjekte zu einem gerät zur inversion bzw dem „algorithmus“ und damit die weltvernichtung, denn wenn man durch ein inversionsportal geht – es gibt deren sogar drei – und dann in rückwärtiger richtung sein vorwärtsgehendes ich berührt, negiert bzw zerstört man sich. diese zerstörungskraft wird im film daher auch mit der atombombe verglichen. um schließlich den algorithmus zu zerstören, braucht es eine komplexe militärische operation in der russischen geheimstadt, aus der der böse russe stammt, und mit hohem aufwand gelingt sowohl dies als auch die selbstbefreiung seiner frau von ihm.

    worum also geht es: um zeitreisen, um eine handvoll personen aus dem agentenfilm-arsenal, um technisch hochwertige bilder, um sehr laute musik und inhaltlich um nichts geringeres als die rettung der welt, denn nolans auftrag ist ja auch die rettungs des kinos. genauer: es geht um die rettung der heutigen welt vor der finalen zerstörung, einer nicht in sondern aus der zukunft drohenden zerstörung. so jedenfalls lautet die im film mehrmals wiederholte sci-fi-gefahr, die es von den guten figuren abzuwenden, von den bösen heraufzubeschwören gilt. um die drohung irgendwie zu motivieren, soll eine minimale äußerung des bösewichts gen ende genügen, sie unterstellt der finsteren absicht eine vielleicht verständliche nachvollziehbare wut der zukünftigen auf die heutigen, durch umwelt- und politisch-ökonomische katastrophen den planeten unbewohnbar hinterlassen zu haben, mittels tabula rasa neue möglichkeiten schaffen zu wollen. so in etwa. der hauptbösewicht in der gegenwart hat zudem noch seine eigene missgunst als antrieb, den zukünftigen zu helfen, wo auch immer er die her hat. von der begründung des wutmotivs sehen wir im film nichts, die zerstörung der heutigen erde referiert allein auf ein allgemeines draußen vor den kinosälen, in den nachrichten, man weiß ja wovon die rede ist. während der bekannteste angriff aus der zukunft – terminator – immer auch bildmotive aufruft, die das kampfgeschehen mit der vorausgegangenen, zukünftigen katastrophe kurzschließen, bleibt tenet ganz in der gegenwart seiner protagonisten und damit in engem radius – die zukunft bleibt ebenso behauptung wie die anderen weitschweifenden erklärungen der figuren zum geschehen auf der leinwand – es ist kein textlastiger film, dafür einer mit großer freude am dozieren. und damit ist es ein typischer nolan-film.

    nolans filme hören sich selbst gern reden wie inception, ihr hang zur belehrenden geschwätzigkeit war bereits in der dark knight trilogie zu beobachten mit lehrsätzen und zu statuierenden exempeln an der bevölkerung. nun also ein sci-fi-action-movie, bei dem es wie in interstellar oder memento um zeit geht, die zeit als waffe. es ist DAS nolan-thema, stets ist zeit und zeitlichkeit bedrohlich, kaum ein nolan-film kommt ohne countdown und halbphilosophische tempus-betrachtungen aus. in tenet findet das thema zu sich selbst, denn es geht um zeitreisen, ein beliebtes kino-sujet hollywoods. (in avengers endgame zählt ant-man eine kleine liste von zeitreise-filmen herunter, der film ist selbst auch einer). tenet variiert das thema dahingehend, dass nicht die zeit ein raum ist, den man durchreist, sondern der lauf der zeit selbst umkehrbar ist, sich dinge und lebewesen sowohl vorwärts aus auch rückwärts in der zeit bewegen. das wird inversion genannt und sieht einfach wie ein rückwärts abgespielter film aus, technisch hochwertig umgesetzt. die grundannahme für das jamesbond-element der weltzerstörung ist das aufeinandertreffen der gleichen person in anderer zeitrichtung. interessanterweise ist auch diese extreme bedrohung bloße behauptung, gezeigt wird das im film nie. der protagonist trifft zwar auf sich selbst und kämpft gegen sich, annehmend ein feind zu sein, doch steckt das rückwärts-ich im schutzanzug wie ein raumfahrer, die umgekehrte zeit schafft feindliche atmosphäre.

    typisch ist allerdings auch seine optische brillianz, tenet sieht absolut grandios aus, stehts top gekleidete figuren, makellos komponierte und choreografierte bilder – das verhör auf dem rangierbahnhof mit den symmetrisch vorbeifahrenden zügen exakt zu timen, dass auf keinen fall peinliche schnittfehler offensichtlich sind, die verfolgungsjagd mit ihren sich atypisch bewegenden autos – die unendliche welt des cgi in kombination mit klassischem filmmaking ist eines von nolans markenzeichen, eine auch in tenet beeindruckend gelungene melange. dass man seinen filmen spätestens seit the dark knight (der sich überschlagende truck) immer auch das streberhafte bemühen ansieht, im neuen film noch mehr zu beeindrucken durch noch mehr optischen bombast und feinschliff gleichermaßen und sich somit in immer gefährlichere nähe zum reinen feuerwerksspektakel ohne sinnvollen inhalt zu bringen, belegt nolan mit tenet einmal mehr. trotz aller bilderflut bleibt es ein rein visuelles, oberflächliches vergnügen, bei dem die figuren trotz aller theoretischen aufwendungen und physikalischen exkurse – ob die dann korrekt sind, soll nicht interessieren – einfach nicht durchdringen, nicht sichtbar werden. der protagonist ist ein durchtrainierter killer, den wir als gut erfahren, weil er sowohl die welt als auch die weiße frau rettet, die böse indische waffenhändlerin aber eiskalt töten darf. der finstere russe ist deshalb böse, weil er ein finsterer russe ist. und der showdown ist eine shooter-games sequenz mit vielen gesichtslosen feinden. warum und wie diese in einer lebensfeindlichen wüste leben – egal, draufhalten und losballern. der namenlose protagonist befindet sich im wesentlichen auf einer bewegung von station zu station, die er nach und nach abschreitet, manche zweimal, erst vorwärts dann rückwärts, um im showdown wie im endlevel eines 1990er pc-games zu bestehen. figurenentwicklung ist in tenet nicht vorgesehen.

    so ist tenet wie schon inception ein film mit allerhand versatzstücken aus diversen genres und hat auch keine vorbehalte, sich mcguffins zu bedienen: jage einem ding hinterher, das reicht als handlungsbegründung. tenet möchte in erster linie beeindrucken, und ist in zweiter linie eine erneut grandiose bastelarbeit aus der technik-ag bis zur selbstpersiflage. davon abgesehen ist der film sehr aufwändig leer. die anfängliche begeisterung über die kinorettung und rückgewinnung von normalität schlug, nachdem der aufgewirbelte staub sich gelegt hatte, doch bald in nüchternheit angesichts hollywoodesker effekte in überlänge und unterkomplexer, abstrakter figuren um: hollywood kann nicht mehr erzählen.

    christopher nolan: tenet. usa 2020. 150min.

  • na hong-jin – the wailing

    na hong-jin – the wailing

    ebenfalls eine enttäuschung ist der dritte film von na hong-jin, the wailing, im deutschen mit dem untertitel „die besessenen“ versehen, eigentlich aber „die klagenden“ meinend. an diesem film ist, ähnlich seinem vorgänger the yellow sea, der einfluss hollywoods anzumerken. seit die amerikanischen filmstudios den ostasiatischen markt für sich entdeckt haben, sowohl als absatzmarkt der eigenen filme als auch durch kooperationen die dortige kinoproduktion zu beeinflussen, sowohl im chinesischen als auch koreanischen kino sind diese kooperationen inzwischen zu einem finanzstarken standard geworden – seitdem lässt sich beobachten, wie die qualität der kofinanzierten und koproduzierten filme nachgelassen hat. in na hong-jins the wailing lässt sich das anschaulich nachzeichnen.

    na hong-jin hat erneut einen genre-film gedreht, diesmal aber im mystery/horror-bereich angesiedelt. und auch dieser film, wie sein vorgänger, verlässt das genre nicht und ist damit nur ein mystery-streifen in technischer perfektion und filmischem hochglanz, doch ohne geist und seele.

    in einem abgelegenen dorf fangen leute unbegründet an, sich grausam zu töten. bestimmte merkmale an ihren körpern sind auffällig. die tochter des dorfpolizisten jeon jung-gu hat zu seiner bestürzung eines tages die gleichen symptome. man geht von einer übernatürlichen, dämonischen macht aus. ein zum zeitpunkt der ersten morde am dorfrand auftauchender alter japaner scheint mit den morden in verbindung zu stehen. eine ebenfalls auftauchende weißgewandete frau jedoch auch. der polizist ruft die hilfe eines schamanen herbei, doch auch dieser kann den dämon nicht vertreiben. tatsächlich gelingt es dem bösen dämon, der sich wirklich in der gestalt des alten japaners verbirgt, die tochter zum mord an ihrer familie zu bewegen.

    das mystery/horror-genre hat sich seit den anfängen vom grusel-film (nosferatu, dracula) zum vordergründigen ekel-schocker (der exorzist, the thing) hin zum psychologischen thriller (spätestens seit the shining) entwickelt. der mystery/horror-film zeichnet sich durch eine extreme verengung des blicks und starke lichtkontraste aus (am prägnantesten in the blair-witch-project), betont damit die psychologische natur der furcht vor dem unbekannten/unbegreiflichen und das subjektive erleben des horrors: das sichtbare ist ein abbild des inneren mysteriums. die psychologische lesart des horrors bzw der angst vor dem unverstehbaren ist häufig in gut/unschuldig-böse = engel-dämon dichotomie und religiöser semantik formuliert, oft findet sich das dunkle böse auch als unterwelt angelegt, es ist kein zufall, dass der psychologische begriff des unterbewussten ebenfalls im „unten“ lokalisiert ist: das da unten ist eben die hölle, ein teuflisches mysterium, das nichts gutes will. in the wailing sind die kammern des bösen ebenso düster, meist nur von kerzen beleuchtet, der dämon sitzt schließlich in einer unterirdischen höhle. ein bitterböses märchen über glauben und vorurteile soll the wailing sein, indem katholizismus und schamanismus, exorzismus, okkulte und moderne unversöhnlich miteinander konkurrieren. doch so tief- bzw untergründig geht es tatsächlich nicht zu, es sind die eindeutigkeiten, die den film prägen, die klaren und international lesbaren bilder und christlichen mystery-film-motive, trotz des lärmend in bunten gewändern tanzenden schamanen: vorangestellt ist ein zitat des lukas-evangeliums, die zur täuschung angenommene gestalt des japaners eröffnet den film am fluss sitzend und einen köder auf einen angelhaken spießend – hier wird nach menschenseelen gefischt. der vom falschen körper befreite dämon ist schließlich als teufel dargestellt mit hörnern und rot glühenden augen, so verhext er die seelen der unschuldigen = naiven menschen als strafe für ihre vergehen, wie es die weiße frau am ende erklärt. es ist eine recht simple, bildgewaltige doch biblische psychologie, die im film durcherzählt wird. der gute engel (die weiß gekleidete frau) ist nur des kontrastes wegen da, denn ein teufel muss durch einen engel ausbalanciert werden im streit um die menschenseelen, doch dieser sieht letztlich taten- und chancenlos zu. auch hat sie stets nur auftritte am rand der szenerie und erklärt dem polizisten die in seinem dorf stattfindenden vorgänge. da sie in ihren weißen gewändern für alle unschwer als die gute erkannt wird, der film den dämon schon längst offenbart hat, gibt es auch nach des schamanen irrtum keinen ernsthaften zweifel daran, ihre aussagen könnten gelogen sein.

    dass mit the wailing auch ein amerikanisches publikum mitgedacht wurde, ist an den teilweise grotesk belanglosen dialogen und der ungebrochenen gut-böse-zeichnung der figuren hörbar: denn hollywood-kino lässt sich an seinen eindeutigen und erklärenden/belehrenden figuren erkennen. ein gänzlich ernst gemeinter dialog zwischen der namenlosen frau und dem gutmütigen polizisten jeon klingt etwa so:

    – Sagen Sie, was sind Sie: eine Frau oder ein Geist?

    – Warum fragen Sie das?

    – Weil ich wissen will, ob ich Ihnen vertrauen kann.

    als wäre es wirklich notwendig, dies so konkret auszusprechen, ja als wäre eine lüge als antwort gar undenkbar. unmittelbar davor rief der schamane den polizisten an, da er glaubte, die frau sei das eigentlich böse. gegen diesen dialog geschnitten wird zudem die verwandlung des japaners in den dämon: so wird eindeutigkeit hergestellt und die bilder erklärt, völlig dimensionslos.

    dass der dämon in gestalt eines alten japaners auftritt, der in der dorfbevölkerung ausschließlich auf misstrauen und ablehnung trifft, bis hin zur rassistischen bezeichnung als „der japse“, kann nur mit dem hang zur eindeutigkeit erklärt werden. das motiv des bösen fremden eindringlings wird hier ohne jeden doppelten boden auserzählt und bestätigt alle vorhandenen antijapanischen ressentiments. dass korea und japan eine komplizierte geschichte insbesondere zu beginn des 20. jahrhunderts teilen, ist bekannt. warum es einen japaner als diabolischen fremden benötigt, erschließt sich für den film überhaupt nicht, fügt im gegenteil einen unangenehmen beigeschmack hinzu. zu einem insgesamt zu langen film, den man ein wenig beklagen kann.

    na hong-jin: the wailing. südkorea 2016. 156min.

  • na hong-jin – the yellow sea

    na hong-jin – the yellow sea

    ein intermezzo mit anmerkungen zu ein paar enttäuschungen. na hong-jin hatte 2008 mit seinem düster-beklemmenden thriller the chaser äußerst skeptisch auf südkoreas staatliche ordnungsmächte geblickt. im zwei jahre später folgenden the yellow sea brachte er die beiden hauptdarsteller ha jung-woo und kim yoon-seok erneut in einem thriller gemeinsam vor die kamera, diesmal in umgekehrter gut-böse-verteilung. der film schafft diesmal jedoch nicht den sprung vom genre-drama zum sozial und politisch relevanten kommentar, obwohl er dazu einige möglichkeiten bietet, sondern kippt nach der hälfte in ein ultrahartes gemetzel, das mehr interesse an den schauwerten und einer genretypischen aufdeckung von drahtziehern hat statt an den figuren und ihren kontexten.

    der sich als taxifahrer durchschlagende gu-nam lebt als choseonchok (in china lebende koreaner) in yanbian an der chinesisch-koreanischen grenze.
    er hat seit wochen von seiner zur arbeit nach korea ausgereisten frau nichts mehr gehört, das versprochene geld hat sie nicht geschickt und er befürchtet, dass sie ihn mit einem gut situierten koreaner betrogen hat. die enormen schulden für das visum seiner frau kann er ebensowenig abbauen wie sich um seine kleine tochter kümmern, die von der oma großgezogen wird. der bestens vernetzte kriminelle myun bietet ihm an, seine schulden zu bezahlen, wenn er in seoul für ihn einen mann tötet. gu-nam willigt zögernd ein und begibt sich auf die gefährliche überfahrt nach seoul. hier versucht er sowohl das zukünftige opfer auszuspähen als auch seiner verschwundenen frau auf die spur zu kommen. er findet ihre wohnung verlassen vor, sie scheint opfer eines verbrechens geworden zu sein und ihr vermeintlicher tod raubt gu-nam jeden lebensmut. unerwartet tauchen am tag des geplanten mordes andere männer mit dem gleichen ziel auf, gu-nam gerät unverschuldet unter tatverdacht, sein status als illegaler lässt ihm keine andere wahl als zu flüchten und womöglich herauszufinden, was denn eigentlich wirklich geschehen ist.

    an dieser stelle kippt der film in eine verfolgungsjagd mit extrem blutigen kampfszenen, die thriller-genre in reinform sind, doch mehr als das eben auch nicht. es ist letztlich völlig irrelevant, von wem der mord nun noch alles in auftrag gegeben und durchgeführt wurde – es ist ein upperclass-eifersuchtsmotiv – der film konzentriert sich auf die hetzjagd verschiedener figuren auf gu-nam, der sich neben der polizei auch myun anschließt, der in seoul als einer der letzten schleuser für choseonchok fungiert, außerdem kommt noch der busunternehmer tae-won mit diversen handlangern hinzu, der seinen ermordeten partner rächen will bzw selbst ein motiv für dessen ermordung hat und so myun permanent in die quere kommt. die blutigen kämpfe mit messern und äxten – ein fröhlicher gruß an oldboy – sind beeindruckend choreografiert und absolut entsetzlich, es stellt sich aber die frage, was diese schlachtszenen in der großstadt außer ihre brutalität noch aussagen. ein ähnliches gemetzel zeigt 6 jahre nach the yellow sea allerdings mit narrativer kohärenz asura, das eben jene umbarmherzige blutorgien zum thema hat, um sowohl mythologische als auch politische erzählungen zu verknüpfen und rohes politisches geschäft, korruption, bandenkriminalität und tief empfundenes misstrauen in die politische kultur abzubilden. the yellow sea aber ist fatalistisch aus reiner pose, den genre-regeln folgend, ohne eine zusätzliche erzählebene: die vom auftragsmord in gang gesetzte gewaltspirale führt folgerichtig zu ihrem unausweichlichen ende, vergeblich und tatsächlich sinnlos, da es sich um eine ehebruch-vendetta handelt. der soziale background von gu-nam wird damit vollständig zugunsten von „knallharter action“ aufgegeben. die schwer erträglichen bilder der überfahrt im schiffsbauch, die organisation der schleuser, der rechtliche status von gu-nam und ebenso seiner frau könnten anlass für ein kriminaldrama sein, das sich den belangen der choseonchok widmen würde, doch das hat the yellow sea nicht im sinn. der film verweilt bei messerstechereien und selbst das fsk18-label bewahrte ihn nicht vor signifikanten kürzungen für den deutschen markt. die ausstrahlung anfang juli 2020 bei kabel 1 (wdh am 9.8.) sah den film um über 15min zur originalfassung gekürzt, und bereits nach seiner premiere in cannes wurde im guardian angemerkt, dass der geschichte des films nichts durch deutliche kürzungen der kampfsequenzen genommen würde.

    so bleibt the yellow sea letztlich nur ein zwar handwerklich gekonnter und spannender, gleichwohl bedeutungsloser film voll monotoner beinharter männlichkeit und einem üblen kampf um ehre und dergleichen; die traurige geschichte von gu-nam, der in all dem chaos seinen lebensmut verliert, geht darin ziemlich unter wie die bei der illegalen überfahrt gestorbenen im chinesisch-koreanischen gelben meer. gu-nams frau übrigens, wie könnte es anders sein, hat davon in ihrer bahnreise zurück zur tochter nach china nichts mitbekommen.

    na hong-jin: the yellow sea. südkorea 2010. 137min. fsk 18.