tonio schachinger – nicht wie ihr

shortlist #3 – der exot, der unerwartete, die überraschung, beinah. tonio schachinger ist mit seinem debüt nicht wie ihr das buch gelungen, von dem man wohl nicht angenommen hätte, dass es eine so breite öffentlichkeit wie den deutschen buchpreis finden könnte, zumal auf der shortlist : publiziert in einem im deutschen sprachraum eher unbekannten independent-verlag aus wien, eine explizit das hochdeutsch schmähende sprache voller austriazismen, ein fußball-roman und dann noch aus österreich – und das insgesamt sehr souverän. es könnte also ein wirklich grandioses buch sein, wenn jedoch – tja – verkackt – denn die story ist einfach fad.

nicht wie ihr ist ein, hmpf, jungsbuch im mehr so gewöhnlichen sinn. es geht ziemlich viel um fußball und um geld und um autos und um sex. der erfolgreiche fußballspieler ivo trifunovic ( eine nette parodie auf marko arnautovic ) hat so seine sportlichen problemchen, denkt quasi rund um die uhr an sex, ist verheiratet mit einer frau jenny, mit der er ein kind hat und die er nicht mehr so recht mag, ist aber schwer verliebt in eine frau mirna, die er von früher kennt und mit der er jetzt eine affäre hat und die sich hin und wieder nachrichten schreiben. so. gelegentlich gibt es äußerst komische passagen, etwa wenn der hsv amtlich gedisst wird ( und welcher deutsche verein verdient es nicht mehr als der hsv, in einem österreichischen fußballbuch verspottet zu werden ) oder ivo mit den identitäten als wiener, bosnier, jugoslawe spielt – doch zum allergrößten teil geht es um die liebesherzsexleidensgeschichte eines stinkreichen fußballschnösels – nach 28 von 48 kapiteln hatte ich so dermaßen keinen bock mehr drauf das interesse daran verloren, dass ich mir einen stillen litauischen film ansah.

es gibt eine fast völlig übersehene initiative, die dem europäischen film außerhalb seiner jeweiligen landesgrenzen mehr aufmerksamkeit verschaffen will, indem die filme auf den relevanten streamingportalen anschaubar sind. walk this way heißt diese seit 2015 existierende initiative und gestern sah ich den großartigen intensiven berührenden film mellow mud bzw sanfter schlamm.

er zeigt in kühlen berührenden bildern die 17jährige raya in ihrer kargen schlammigen tristen umgebung, von ihrer mutter verlassen ( der vater ist vermutlich tot ) und die nun mit ihrem jüngeren bruder und der griesgrämigen großmutter in einem abgelegenen verschuldeten hof auf dem litauischen land lebt. ein coming-of-age-film in konsequenter perspektive seiner hauptfigur, die nach dem unerwarteten tod der oma in die mutterrolle gedrängt wird, auch um nicht im jugendheim zu landen. der film entwirft ein sich stetig entwickelndes panorama der hoffnungen erwartungen enttäuschungen rückschläge von raya, die als alleinerziehende schülerin damit beschäftigt ist, nicht an überforderung zu verzweifeln, zur geliebten ihres englischlehrers wird und schließlich in london ihre in ein besseres leben geflohene mutter zurückzuholen versucht.

der stille, effektlose, herausragende film aus dem so gut wie nie in den blickwinkel geratenen filmland litauen ist das debüt des regisseurs renārs vimba und der hauptdarstellerin elīna vaska – und ist so ziemlich in allem das gegenteil von schachingers roman. kein übersättigter fußball sondern europäische kargheit, keine männlich selbstgefällige geschwätzigkeit, sondern äußerst sparsame dialoge, deren worte umso mehr gewicht haben. zwar erhielt der film auf der berlinale 2016 den silbernen bären – aber lief nie im kino hierzulande, nicht einmal in den auf besondere filme spezialisierten programmkinos. und in den online-angeboten der portale muss man ein bisschen sehr lange suchen, um eine perle wie sanfter schlamm ( OmU ) zu finden.

wer sich für unabhängiges exquisites außergewöhnliches europäisches kino auch und insbesondere aus weniger präsenten ländern interessieren möchte, ist bei walk this way schon mal nicht falsch. und es ist äußerst schade, dass es für das europäische kino zwar einen europäischen filmpreis gibt, der aber sowieso noch einmal prämiert, was schon vorher erfolgreich war und damit nicht unbedingt zu entdeckungen einlädt. das marktliberale narrativ vom sich eh irgendwann durchsetzenden qualitativ guten ist im künstlerischen bereich mit zynischem beigeschmack.

auch beim deutschen buchpreis halten sich die entdeckungen nunmal in engen grenzen. nicht wie ihr, trotz eigentlich guter außenseiterchancen, passt sich da halt gefällig ins maue gesamtbild.

tonio schachinger: nicht wie ihr. kremayr & scheriau, wien 2019. 304 s. 22,90€

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