in diesem dokumentarfilm treffen zwei regisseure aufeinander, deren namen hierzulande wohl nur cineasten kennen, die jedoch zu den wichtigsten und einflussreichsten regisseuren im gegenwärtigen kino zählen. der brasilianer walter salles, der neben eigenen filmen wie seinem bekannten central do brasil, der jack kerouac-verfilmung on the road oder der reise des jungen che auch das drehbuch zum biopic frieda mit selma hayek schrieb oder den herausragenden film city of god über bandenkriminalität in rio produzierte, portraitiert in a guy from fenyang den chinesischen independent-regisseur jia zhangke, in dessen filmen sich die komplexe, widersprüchliche entwicklung chinas in den vergangenen 20 jahren abgebildet findet.
salles‘ dokumentation begleitet jia zhangke bei gesprächen mit freunden, familienmitgliedern, schauspielern seiner filme in seiner heimatstadt fenyang in der nordchinesischen provinz shanxi. aus den erzählungen und berichten über die filmischen arbeiten jias, die mit vielen ausschnitten der filme begleitet werden, entsteht so ein einblick in den werdegang und die sozialkritische arbeitsweise jias. wie in einer zeitreise kontrastieren die frühen filme das gegenwärtige fenyang und bezeugen die wirtschaftlichen, architektonischen und sozialen veränderungen. so bekräftigt walter salles‘ film das anliegen jia zhangkes, den wandel und die damit einhergehenden brüche chinas in seinen filmen einzufangen im moment der transformation. zudem belegt er die komplizierte situation unabhängiger filmemacher in china, die sich immer wieder mit zensur konfrontiert sehen. der film endet mit dem aufführungsverbot von a touch of sin, einem episodenfilm mit radikaler kritik an chinas real existierendem gewalttätigen kapitalismus.
die stärke dieses leisen, reichen filmes, der jias entwicklung von seinem ersten film pickpocket, über platform, welt park, still life bis zu a touch of sin zeigt, liegt in der großen nahbarkeit der im film portraitierten persönlichkeiten, die unverstellt offene einblicke in ihr leben und die arbeit geben. das fehlen jeglicher allüren oder dem streben nach einem bestimmten image ist auch ein kennzeichen der filme jias, die selbst immer wieder dokumentarischen charakter haben, am eindrücklichsten wohl in still life, der 2006 in venedig den goldenen löwen gewann. im gegensatz zur chinesischen realität haben jia zhangke und die von ihm regelmäßig wiederbesetzten schauspieler*innen – allen voran die großartige zhao tao – nichts zu verbergen und zu verdecken durch künstlichkeit und bedeutungsvollem reden. eben diese nahbarkeit und unverstelltheit ist das, was jias filme offenbar auch für die zensurbehörde in china verdächtig macht. doch die verbannten filme tauchen als schwarzmarkt-kopien wieder auf und verbreiten sich umso mehr – es gehört zu den eindrücklichen momenten des films, wie jia auf der zugfahrt ( im fenster ist walter salles beim zuhören gespiegelt ) erst von der enttäuschung berichtet, dass sein film nicht gezeigt werden darf, um dann auf dem schwarzmarkt zu erkennen, dass die behörde gegen die verbreitung nichts ausrichten kann. einzig die große kränkung bleibt, statt in einem würdevollen kinosaal lediglich zu aufführungen in abrissreifen cafés eingeladen werden zu können.
die dokumentation a guy from fenyang lief 2015 lediglich auf der berlinale und blieb in europa so gut wie unbeachtet, trotz der international bekannten namen, obwohl jia zhangkes filme regelmäßig auf festivals, insbesondere in cannes, zu sehen sind. jia zhangke gilt seit anfang der 2000er jahre als eine der wichtigsten stimmen im chinesischen kino abseits aller vereinnahmungen aus hollywood, seine fähigkeit, die wenig erheiternde realität in der provinz shanxi, aus der ein drittel der chinesischen kohle stammt, in so nüchterne wie beeindruckend traumhafte bilder und erzählungen zu übersetzen, verdient hierzulande wesentlich mehr aufmerksamkeit, denn wie der new yorker 2011 befand: Jia is simply one of the best and most important directors in the world.
walter salles: jia zhangke, a guy from fenyang. brasilien 2014, 105min.
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