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  • apichatpong weerasethakul – uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben

    apichatpong weerasethakul – uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben

    die zeit geht in enormem tempo ihrer täglich aufs neue unfassbaren ereignisse und katastrophen aus so ziemlich allen ecken dieses höchst kantigen planeten #moria #belarus #uiguren #jemen #sanfrancisco #etcetcetc die möglichkeiten zum innehalten nach dem grauenerfüllten blick auf das entsetzliche sind rar geworden scheints doch manchmal gelingts und es findet sich der weg in freie räume – so etwa in den außergewöhnlichen filmen des apichatpong weerasethakul : uncle boonmee ist ein film für den das kino einst erfunden wurde.

    kino in thailand ist so ziemlich die maximal vorstellbare antithese zu den überwältigungsfilmen hollywoods. ein land mit einer hochgradig komplexen geschichte, konstitutionelle monarchie, militärregierungen und antikommunistischen massakern aus furcht vor vietnamesischen, kambodschanischen oder laotischen (kommunistischen revolutions-)verhältnissen – in apichatpong weerasethakuls arbeiten finden sich zahlreiche echos auf die verwundungen der thailändischen gesellschaft in den jahrzehnten nach dem 2. weltkrieg, sowohl inhaltlich als auch ästhetisch. uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben ist dafür der eindrücklichste, faszinierendste beleg.

    uncle boonmee besitzt eine kleine farm für tamarinde und honig, auf der unter anderem geflüchtete aus den benachbarten laos arbeiten. er selbst ist schwer krank und ahnt, dass ihm nicht mehr viel zeit bleibt, also hat er sich zum sterben zurückgezogen, umgeben von seiner schwester jen und ihrem sohn tong, außerdem versorgt ihn ein weiterer illegaler flüchtling aus laos medizinisch, vor dem jen anfänglich einige ressentiments hat. beim abendessen bekommen sie besuch von boonmees vor 19 jahren verstorbener frau huay und ihrem sohn boonsong, der im dschungel verschollen war und nun in veränderter gestalt wieder auftaucht. boonmee hält seine krankheit für die strafe zur schuld, die er als mörder von kommunisten auf sich geladen hat, während jen ihn zu trösten versucht, er habe es mit den besten absichten zum schutz des volkes getan. huay jedoch muss ihn im bezug auf sein seelenheil im himmel enttäuschen, dieser existiere schlicht nicht. er zieht sich zum sterben in eine höhle zurück, nach der trauerfeier sind jen und eine freundin in einem hotel mit dem zählen von geldgeschenken beschäftigt, als tong eintritt und eine kurze pause von seinem neuen mönchsleben benötigt, an das er sich nach boonmees tod noch nicht gewöhnt hat.

    uncle boonmee ist in vieler hinsicht ein herausragender film. nicht allein, dass er der erste thailändische film ist, der mit der goldenen palme in cannes 2010 ausgezeichnet wurde und darüberhinaus weitere internationale preise gewann. es ist ein film über eine ganze reihe von themen, die beinah beiläufig und im bewussten verzicht auf hochglanz und kaschierungen erzählt werden, in einem sehr ruhigen tempo, mit durchaus dokumentarischem charakter: es geht um tod und vergebung, einsamkeit und schuld sowie reinkarnation als philosophisch-religiöse themen – herausragend die als erinnerungs-/traumsequenz eingefügte szene der gealtertern lebensmüden prinzessin, die sich in einem waldsee ertränkt und das große kostümtheater ostasiens zitiert wie verfremdet. vorangestellt ist dem film, der die gleichzeitigkeit von tanszendeten und realen wesen als etwas sehr alltägliches und ohne furcht beschreibt, als thema dieses motto:

    Im Angesicht des Dschungels, der Hügel und der Täler tauchen meine vergangenen Leben als Tier und als andere Wesen immer vor mir auf.

    die vergangenen, gegenwärtigen leben sind dabei ebenso spirituell wie konkret zu verstehen und keineswegs als gegensatz: es geht im film und den knappen gesprächen zwischen boonmee und jen bzw huay ebenso um politisch-historische verantwortung, um die selbstverständlichkeit des verschwindens von personen oder die anwesenheit von geistwesen ebenso wie um das kino als traumort selbst. dies alles ist in einem stil erzählt, den weerasethakul mit anderen filmen und installationen als primitive project zusammengefasst hat, darunter auch den 18minütigen kurzfilm a letter to uncle boonmee. die fülle der themen und cineastischen ausdrucksformen fügt uncle boonmee gänzlich unaufdringlich und absolut gleichberechtigt nebeneinander in seine erzählung, in der das erzähltempo suggeriert, als könne die figuren nichts erschüttern, doch die erschütterungen sind äußerst fantasievoll und gleichsam tragisch als auswirkungen in die figuren eingeschrieben, gleichsam als finale wellen von vergangenen beben, die sich in den figuren brechen und keineswegs zur ruhe kommen. so ist eine traumerzählung boonmees mit einer fotoserie junger militärs kontrastiert, die eine als affen verkleidete figur sowohl abführen als auch mit ihm posieren als ein scheinbar heiteres echo auf boonmees reale militärvergangenheit, oder die permanente anwesenheit von verschwundenen personen als ein gesellschaftlicher normalzustand, so auch der verschwundene sohn boonsong der einst in den dschungel ging und verloren blieb, da er auf fotos seiner kamera affengeister entdeckte und von diesen nun besessen war, so dass er unter ihnen leben wollte. er kehrt zurück als vollständig verwandelter. auch dies eine multiperspektivische episode sowohl vom verschwinden, das von den figuren nicht kommentiert wird, als auch vom kino selbst: die kamera als medium des wirklichkeitswandels ist selten schöner und unaufdringlicher erzählt worden – und ist zugleich einer der vielen persönlichen, autobiografischen verweise apichatpongs, der von sich sagte, er sei ins kino entkommen.

    obwohl uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben vor zehn jahren international sehr erfolgreich war, ist der film heute und auch sein regisseur, der zu den herausragenden filmemachern insbesondere des independentkinos und der thai new wave zählt, in deutschland so gut wie nicht bekannt. ganz anders im englischsprachigen raum, wo der film auch heute noch stark rezipiert wird und zu einem neuen kanon des kinos gezählt wird, der außergewöhnliche independent-filme zusammenfasst. hierzulande ist von apichatpong weerasethakul lediglich sein 2015 erschienener film cemetery of splendour über rapid eye movies erhältlich, wenigstens das. doch die vielgestalt und vieldimensionalität von uncle boonmee als kunstwerk sowohl des thailändischen als auch des internationalen kinos ist hierzulande deutlich zu wenig gewürdigt.

    apichatpong weerasethakul: uncle boonmee erinnert sich an seine früheren leben. thailand u.a. 2010. 113min.

  • christopher nolan – tenet

    christopher nolan – tenet

    es ist über einen monat her seit der letzten besprechung, dazwischen lagen für mich ereignisreiche intensive anstregende kraftzehrende tage – doch jetzt möchte ich die gesponnenen fäden des kinos und der literatur wieder aufnehmen: an gänzlich unerwarteter stelle, nämlich beim amerikanischen blockbusterfilm tenet von christopher nolan, von dem sich nicht weniger als die von corona pausierte, streamdienstkonzentrierte saalverlassene wiederauferstehung des kinos als erlebnis versprochen wird, denn tenet startet ausschließlich in den sälen und nicht im internet. doch es ist die wiederkehr eines typus, der eigentlich mit avengers endgame sein finale erreicht hatte: des überwältigungsfilms.

    der namenlose amerikanische protagonist ist darauf angesetzt, undercover einen gegenstand bei einer russischen geheimoperation in der vollbesetzten kiewer oper (ja ganz genau so) zu bergen. während er glaubt, dass im gegenstand plutonium sei, stellt sich heraus, dass es was anderes ist und mit der seltsamen munition zu tun hat, die ihm rückwärts um die ohren flog. eine wissenschaftlerin erklärt ihm wortreich paradox, dass es in der zukunft gelungen ist, für dinge und menschen den zeitlauf umzukehren, sie können sich also rückwärts durch die zeit bewegen – man nennt das inversion. die spur führt über eine waffenhändlerin in indien zu einem russen auf einem boot vor sizilien und vor allem dessen frau, an die heranzukommen es instruktionen eines engländers benötigt. die frau wiederum ist kunstexpertin und hat durch einen fehler den groll ihres mannes erregt, mit dem sie eine fürchterliche beziehung führt und der sie erpresst. über die stationen oslo und tallin finden der protagonist und ein freundlicher begleiter schließlich schlüsselobjekte zu einem gerät zur inversion bzw dem „algorithmus“ und damit die weltvernichtung, denn wenn man durch ein inversionsportal geht – es gibt deren sogar drei – und dann in rückwärtiger richtung sein vorwärtsgehendes ich berührt, negiert bzw zerstört man sich. diese zerstörungskraft wird im film daher auch mit der atombombe verglichen. um schließlich den algorithmus zu zerstören, braucht es eine komplexe militärische operation in der russischen geheimstadt, aus der der böse russe stammt, und mit hohem aufwand gelingt sowohl dies als auch die selbstbefreiung seiner frau von ihm.

    worum also geht es: um zeitreisen, um eine handvoll personen aus dem agentenfilm-arsenal, um technisch hochwertige bilder, um sehr laute musik und inhaltlich um nichts geringeres als die rettung der welt, denn nolans auftrag ist ja auch die rettungs des kinos. genauer: es geht um die rettung der heutigen welt vor der finalen zerstörung, einer nicht in sondern aus der zukunft drohenden zerstörung. so jedenfalls lautet die im film mehrmals wiederholte sci-fi-gefahr, die es von den guten figuren abzuwenden, von den bösen heraufzubeschwören gilt. um die drohung irgendwie zu motivieren, soll eine minimale äußerung des bösewichts gen ende genügen, sie unterstellt der finsteren absicht eine vielleicht verständliche nachvollziehbare wut der zukünftigen auf die heutigen, durch umwelt- und politisch-ökonomische katastrophen den planeten unbewohnbar hinterlassen zu haben, mittels tabula rasa neue möglichkeiten schaffen zu wollen. so in etwa. der hauptbösewicht in der gegenwart hat zudem noch seine eigene missgunst als antrieb, den zukünftigen zu helfen, wo auch immer er die her hat. von der begründung des wutmotivs sehen wir im film nichts, die zerstörung der heutigen erde referiert allein auf ein allgemeines draußen vor den kinosälen, in den nachrichten, man weiß ja wovon die rede ist. während der bekannteste angriff aus der zukunft – terminator – immer auch bildmotive aufruft, die das kampfgeschehen mit der vorausgegangenen, zukünftigen katastrophe kurzschließen, bleibt tenet ganz in der gegenwart seiner protagonisten und damit in engem radius – die zukunft bleibt ebenso behauptung wie die anderen weitschweifenden erklärungen der figuren zum geschehen auf der leinwand – es ist kein textlastiger film, dafür einer mit großer freude am dozieren. und damit ist es ein typischer nolan-film.

    nolans filme hören sich selbst gern reden wie inception, ihr hang zur belehrenden geschwätzigkeit war bereits in der dark knight trilogie zu beobachten mit lehrsätzen und zu statuierenden exempeln an der bevölkerung. nun also ein sci-fi-action-movie, bei dem es wie in interstellar oder memento um zeit geht, die zeit als waffe. es ist DAS nolan-thema, stets ist zeit und zeitlichkeit bedrohlich, kaum ein nolan-film kommt ohne countdown und halbphilosophische tempus-betrachtungen aus. in tenet findet das thema zu sich selbst, denn es geht um zeitreisen, ein beliebtes kino-sujet hollywoods. (in avengers endgame zählt ant-man eine kleine liste von zeitreise-filmen herunter, der film ist selbst auch einer). tenet variiert das thema dahingehend, dass nicht die zeit ein raum ist, den man durchreist, sondern der lauf der zeit selbst umkehrbar ist, sich dinge und lebewesen sowohl vorwärts aus auch rückwärts in der zeit bewegen. das wird inversion genannt und sieht einfach wie ein rückwärts abgespielter film aus, technisch hochwertig umgesetzt. die grundannahme für das jamesbond-element der weltzerstörung ist das aufeinandertreffen der gleichen person in anderer zeitrichtung. interessanterweise ist auch diese extreme bedrohung bloße behauptung, gezeigt wird das im film nie. der protagonist trifft zwar auf sich selbst und kämpft gegen sich, annehmend ein feind zu sein, doch steckt das rückwärts-ich im schutzanzug wie ein raumfahrer, die umgekehrte zeit schafft feindliche atmosphäre.

    typisch ist allerdings auch seine optische brillianz, tenet sieht absolut grandios aus, stehts top gekleidete figuren, makellos komponierte und choreografierte bilder – das verhör auf dem rangierbahnhof mit den symmetrisch vorbeifahrenden zügen exakt zu timen, dass auf keinen fall peinliche schnittfehler offensichtlich sind, die verfolgungsjagd mit ihren sich atypisch bewegenden autos – die unendliche welt des cgi in kombination mit klassischem filmmaking ist eines von nolans markenzeichen, eine auch in tenet beeindruckend gelungene melange. dass man seinen filmen spätestens seit the dark knight (der sich überschlagende truck) immer auch das streberhafte bemühen ansieht, im neuen film noch mehr zu beeindrucken durch noch mehr optischen bombast und feinschliff gleichermaßen und sich somit in immer gefährlichere nähe zum reinen feuerwerksspektakel ohne sinnvollen inhalt zu bringen, belegt nolan mit tenet einmal mehr. trotz aller bilderflut bleibt es ein rein visuelles, oberflächliches vergnügen, bei dem die figuren trotz aller theoretischen aufwendungen und physikalischen exkurse – ob die dann korrekt sind, soll nicht interessieren – einfach nicht durchdringen, nicht sichtbar werden. der protagonist ist ein durchtrainierter killer, den wir als gut erfahren, weil er sowohl die welt als auch die weiße frau rettet, die böse indische waffenhändlerin aber eiskalt töten darf. der finstere russe ist deshalb böse, weil er ein finsterer russe ist. und der showdown ist eine shooter-games sequenz mit vielen gesichtslosen feinden. warum und wie diese in einer lebensfeindlichen wüste leben – egal, draufhalten und losballern. der namenlose protagonist befindet sich im wesentlichen auf einer bewegung von station zu station, die er nach und nach abschreitet, manche zweimal, erst vorwärts dann rückwärts, um im showdown wie im endlevel eines 1990er pc-games zu bestehen. figurenentwicklung ist in tenet nicht vorgesehen.

    so ist tenet wie schon inception ein film mit allerhand versatzstücken aus diversen genres und hat auch keine vorbehalte, sich mcguffins zu bedienen: jage einem ding hinterher, das reicht als handlungsbegründung. tenet möchte in erster linie beeindrucken, und ist in zweiter linie eine erneut grandiose bastelarbeit aus der technik-ag bis zur selbstpersiflage. davon abgesehen ist der film sehr aufwändig leer. die anfängliche begeisterung über die kinorettung und rückgewinnung von normalität schlug, nachdem der aufgewirbelte staub sich gelegt hatte, doch bald in nüchternheit angesichts hollywoodesker effekte in überlänge und unterkomplexer, abstrakter figuren um: hollywood kann nicht mehr erzählen.

    christopher nolan: tenet. usa 2020. 150min.

  • na hong-jin – the wailing

    na hong-jin – the wailing

    ebenfalls eine enttäuschung ist der dritte film von na hong-jin, the wailing, im deutschen mit dem untertitel „die besessenen“ versehen, eigentlich aber „die klagenden“ meinend. an diesem film ist, ähnlich seinem vorgänger the yellow sea, der einfluss hollywoods anzumerken. seit die amerikanischen filmstudios den ostasiatischen markt für sich entdeckt haben, sowohl als absatzmarkt der eigenen filme als auch durch kooperationen die dortige kinoproduktion zu beeinflussen, sowohl im chinesischen als auch koreanischen kino sind diese kooperationen inzwischen zu einem finanzstarken standard geworden – seitdem lässt sich beobachten, wie die qualität der kofinanzierten und koproduzierten filme nachgelassen hat. in na hong-jins the wailing lässt sich das anschaulich nachzeichnen.

    na hong-jin hat erneut einen genre-film gedreht, diesmal aber im mystery/horror-bereich angesiedelt. und auch dieser film, wie sein vorgänger, verlässt das genre nicht und ist damit nur ein mystery-streifen in technischer perfektion und filmischem hochglanz, doch ohne geist und seele.

    in einem abgelegenen dorf fangen leute unbegründet an, sich grausam zu töten. bestimmte merkmale an ihren körpern sind auffällig. die tochter des dorfpolizisten jeon jung-gu hat zu seiner bestürzung eines tages die gleichen symptome. man geht von einer übernatürlichen, dämonischen macht aus. ein zum zeitpunkt der ersten morde am dorfrand auftauchender alter japaner scheint mit den morden in verbindung zu stehen. eine ebenfalls auftauchende weißgewandete frau jedoch auch. der polizist ruft die hilfe eines schamanen herbei, doch auch dieser kann den dämon nicht vertreiben. tatsächlich gelingt es dem bösen dämon, der sich wirklich in der gestalt des alten japaners verbirgt, die tochter zum mord an ihrer familie zu bewegen.

    das mystery/horror-genre hat sich seit den anfängen vom grusel-film (nosferatu, dracula) zum vordergründigen ekel-schocker (der exorzist, the thing) hin zum psychologischen thriller (spätestens seit the shining) entwickelt. der mystery/horror-film zeichnet sich durch eine extreme verengung des blicks und starke lichtkontraste aus (am prägnantesten in the blair-witch-project), betont damit die psychologische natur der furcht vor dem unbekannten/unbegreiflichen und das subjektive erleben des horrors: das sichtbare ist ein abbild des inneren mysteriums. die psychologische lesart des horrors bzw der angst vor dem unverstehbaren ist häufig in gut/unschuldig-böse = engel-dämon dichotomie und religiöser semantik formuliert, oft findet sich das dunkle böse auch als unterwelt angelegt, es ist kein zufall, dass der psychologische begriff des unterbewussten ebenfalls im „unten“ lokalisiert ist: das da unten ist eben die hölle, ein teuflisches mysterium, das nichts gutes will. in the wailing sind die kammern des bösen ebenso düster, meist nur von kerzen beleuchtet, der dämon sitzt schließlich in einer unterirdischen höhle. ein bitterböses märchen über glauben und vorurteile soll the wailing sein, indem katholizismus und schamanismus, exorzismus, okkulte und moderne unversöhnlich miteinander konkurrieren. doch so tief- bzw untergründig geht es tatsächlich nicht zu, es sind die eindeutigkeiten, die den film prägen, die klaren und international lesbaren bilder und christlichen mystery-film-motive, trotz des lärmend in bunten gewändern tanzenden schamanen: vorangestellt ist ein zitat des lukas-evangeliums, die zur täuschung angenommene gestalt des japaners eröffnet den film am fluss sitzend und einen köder auf einen angelhaken spießend – hier wird nach menschenseelen gefischt. der vom falschen körper befreite dämon ist schließlich als teufel dargestellt mit hörnern und rot glühenden augen, so verhext er die seelen der unschuldigen = naiven menschen als strafe für ihre vergehen, wie es die weiße frau am ende erklärt. es ist eine recht simple, bildgewaltige doch biblische psychologie, die im film durcherzählt wird. der gute engel (die weiß gekleidete frau) ist nur des kontrastes wegen da, denn ein teufel muss durch einen engel ausbalanciert werden im streit um die menschenseelen, doch dieser sieht letztlich taten- und chancenlos zu. auch hat sie stets nur auftritte am rand der szenerie und erklärt dem polizisten die in seinem dorf stattfindenden vorgänge. da sie in ihren weißen gewändern für alle unschwer als die gute erkannt wird, der film den dämon schon längst offenbart hat, gibt es auch nach des schamanen irrtum keinen ernsthaften zweifel daran, ihre aussagen könnten gelogen sein.

    dass mit the wailing auch ein amerikanisches publikum mitgedacht wurde, ist an den teilweise grotesk belanglosen dialogen und der ungebrochenen gut-böse-zeichnung der figuren hörbar: denn hollywood-kino lässt sich an seinen eindeutigen und erklärenden/belehrenden figuren erkennen. ein gänzlich ernst gemeinter dialog zwischen der namenlosen frau und dem gutmütigen polizisten jeon klingt etwa so:

    – Sagen Sie, was sind Sie: eine Frau oder ein Geist?

    – Warum fragen Sie das?

    – Weil ich wissen will, ob ich Ihnen vertrauen kann.

    als wäre es wirklich notwendig, dies so konkret auszusprechen, ja als wäre eine lüge als antwort gar undenkbar. unmittelbar davor rief der schamane den polizisten an, da er glaubte, die frau sei das eigentlich böse. gegen diesen dialog geschnitten wird zudem die verwandlung des japaners in den dämon: so wird eindeutigkeit hergestellt und die bilder erklärt, völlig dimensionslos.

    dass der dämon in gestalt eines alten japaners auftritt, der in der dorfbevölkerung ausschließlich auf misstrauen und ablehnung trifft, bis hin zur rassistischen bezeichnung als „der japse“, kann nur mit dem hang zur eindeutigkeit erklärt werden. das motiv des bösen fremden eindringlings wird hier ohne jeden doppelten boden auserzählt und bestätigt alle vorhandenen antijapanischen ressentiments. dass korea und japan eine komplizierte geschichte insbesondere zu beginn des 20. jahrhunderts teilen, ist bekannt. warum es einen japaner als diabolischen fremden benötigt, erschließt sich für den film überhaupt nicht, fügt im gegenteil einen unangenehmen beigeschmack hinzu. zu einem insgesamt zu langen film, den man ein wenig beklagen kann.

    na hong-jin: the wailing. südkorea 2016. 156min.

  • na hong-jin – the yellow sea

    na hong-jin – the yellow sea

    ein intermezzo mit anmerkungen zu ein paar enttäuschungen. na hong-jin hatte 2008 mit seinem düster-beklemmenden thriller the chaser äußerst skeptisch auf südkoreas staatliche ordnungsmächte geblickt. im zwei jahre später folgenden the yellow sea brachte er die beiden hauptdarsteller ha jung-woo und kim yoon-seok erneut in einem thriller gemeinsam vor die kamera, diesmal in umgekehrter gut-böse-verteilung. der film schafft diesmal jedoch nicht den sprung vom genre-drama zum sozial und politisch relevanten kommentar, obwohl er dazu einige möglichkeiten bietet, sondern kippt nach der hälfte in ein ultrahartes gemetzel, das mehr interesse an den schauwerten und einer genretypischen aufdeckung von drahtziehern hat statt an den figuren und ihren kontexten.

    der sich als taxifahrer durchschlagende gu-nam lebt als choseonchok (in china lebende koreaner) in yanbian an der chinesisch-koreanischen grenze.
    er hat seit wochen von seiner zur arbeit nach korea ausgereisten frau nichts mehr gehört, das versprochene geld hat sie nicht geschickt und er befürchtet, dass sie ihn mit einem gut situierten koreaner betrogen hat. die enormen schulden für das visum seiner frau kann er ebensowenig abbauen wie sich um seine kleine tochter kümmern, die von der oma großgezogen wird. der bestens vernetzte kriminelle myun bietet ihm an, seine schulden zu bezahlen, wenn er in seoul für ihn einen mann tötet. gu-nam willigt zögernd ein und begibt sich auf die gefährliche überfahrt nach seoul. hier versucht er sowohl das zukünftige opfer auszuspähen als auch seiner verschwundenen frau auf die spur zu kommen. er findet ihre wohnung verlassen vor, sie scheint opfer eines verbrechens geworden zu sein und ihr vermeintlicher tod raubt gu-nam jeden lebensmut. unerwartet tauchen am tag des geplanten mordes andere männer mit dem gleichen ziel auf, gu-nam gerät unverschuldet unter tatverdacht, sein status als illegaler lässt ihm keine andere wahl als zu flüchten und womöglich herauszufinden, was denn eigentlich wirklich geschehen ist.

    an dieser stelle kippt der film in eine verfolgungsjagd mit extrem blutigen kampfszenen, die thriller-genre in reinform sind, doch mehr als das eben auch nicht. es ist letztlich völlig irrelevant, von wem der mord nun noch alles in auftrag gegeben und durchgeführt wurde – es ist ein upperclass-eifersuchtsmotiv – der film konzentriert sich auf die hetzjagd verschiedener figuren auf gu-nam, der sich neben der polizei auch myun anschließt, der in seoul als einer der letzten schleuser für choseonchok fungiert, außerdem kommt noch der busunternehmer tae-won mit diversen handlangern hinzu, der seinen ermordeten partner rächen will bzw selbst ein motiv für dessen ermordung hat und so myun permanent in die quere kommt. die blutigen kämpfe mit messern und äxten – ein fröhlicher gruß an oldboy – sind beeindruckend choreografiert und absolut entsetzlich, es stellt sich aber die frage, was diese schlachtszenen in der großstadt außer ihre brutalität noch aussagen. ein ähnliches gemetzel zeigt 6 jahre nach the yellow sea allerdings mit narrativer kohärenz asura, das eben jene umbarmherzige blutorgien zum thema hat, um sowohl mythologische als auch politische erzählungen zu verknüpfen und rohes politisches geschäft, korruption, bandenkriminalität und tief empfundenes misstrauen in die politische kultur abzubilden. the yellow sea aber ist fatalistisch aus reiner pose, den genre-regeln folgend, ohne eine zusätzliche erzählebene: die vom auftragsmord in gang gesetzte gewaltspirale führt folgerichtig zu ihrem unausweichlichen ende, vergeblich und tatsächlich sinnlos, da es sich um eine ehebruch-vendetta handelt. der soziale background von gu-nam wird damit vollständig zugunsten von „knallharter action“ aufgegeben. die schwer erträglichen bilder der überfahrt im schiffsbauch, die organisation der schleuser, der rechtliche status von gu-nam und ebenso seiner frau könnten anlass für ein kriminaldrama sein, das sich den belangen der choseonchok widmen würde, doch das hat the yellow sea nicht im sinn. der film verweilt bei messerstechereien und selbst das fsk18-label bewahrte ihn nicht vor signifikanten kürzungen für den deutschen markt. die ausstrahlung anfang juli 2020 bei kabel 1 (wdh am 9.8.) sah den film um über 15min zur originalfassung gekürzt, und bereits nach seiner premiere in cannes wurde im guardian angemerkt, dass der geschichte des films nichts durch deutliche kürzungen der kampfsequenzen genommen würde.

    so bleibt the yellow sea letztlich nur ein zwar handwerklich gekonnter und spannender, gleichwohl bedeutungsloser film voll monotoner beinharter männlichkeit und einem üblen kampf um ehre und dergleichen; die traurige geschichte von gu-nam, der in all dem chaos seinen lebensmut verliert, geht darin ziemlich unter wie die bei der illegalen überfahrt gestorbenen im chinesisch-koreanischen gelben meer. gu-nams frau übrigens, wie könnte es anders sein, hat davon in ihrer bahnreise zurück zur tochter nach china nichts mitbekommen.

    na hong-jin: the yellow sea. südkorea 2010. 137min. fsk 18.

  • july jung – a girl at my door

    july jung – a girl at my door

    ein in vielerlei hinsicht besonderer film ist a girl at my door von july jung. die behandelten themen sind im koreanischen film ungewöhnlich. es ist der erste abendfüllende langfilm der regisseurin, die eigentlich jeong ju-ri heißt, es ist zudem einer der wenigen spielfilme südkoreanischer regisseurinnen, die überhaupt in europa bekannt sind. und obwohl er vielfach ausgezeichnet wurde, auf arte und ard immerhin zweimal unter dem titel dohee – weglaufen kann jeder ausgestrahlt wurde, ist er in deutschland bislang nicht als dvd/blueray oder stream erhältlich.

    die junge polizistin lee young-nam (bae doo-na) wird in die koreanische küstenstadt yeosu versetzt. dort begegnet sie dem mädchen du-hee (kim sae-ron), das von mitschülern gemobbt und ihrem oft betrunkenen stief-vater und der großmutter schwer misshandelt wird. da der vater park yong-ha einer der wichtigsten arbeitgeber als krabbenfischer in der stadt ist, kann er ungehindert von der polizei agieren. lee jedoch stellt sich gegen park und du-hee sucht bei ihr schutz. lees ehemalige freundin kommt zu besuch, park sieht wie sie sich küssen. als lee schwarzarbeit und illegale beschäftigung bei parks firma entdeckt, zeigt park lee wegen sexueller belästigung seiner stieftochter an. bei der untersuchung lügt do-hee und lee wird verhaftet. daheim bei ihrem vater jedoch täuscht sie eine vergewaltigung ihres vaters vor, so dass dieser schließlich verhaftet wird und lee freikommt.

    es sind eine ganze reihe von themen, die in a girl at my door verhandelt werden. in erster linie natürlich das thema häusliche gewalt, unter der du-hee seit jahren leidet und vor der sie in lees obhut flüchten kann. im film sind wiederholt schwere misshandlungen zu sehen, die du-hee ertragen muss, ebenso wie üble beleidigungen, vor denen sie sich nicht verstecken kann. die selbstverständlichkeit und struktur der gewalt gegen das diesem vollkommen ausgelieferte mädchen, was allen in der kleinstadt bekannt ist, von der polizei mit dem status des vaters legitimiert und von den mitschüler*innen zusätzlich ausgenutzt wird, zeigt der film offen doch ohne vojeuristisch zu sein. es ist vielmehr das offensichtliche zeichen für eine gesellschaftliche schieflage, die lees kollege gleich zu beginn des filmes benennt, doch ohne tatsächlich daraus grundsätzliche rückschlüsse zu ziehen: die demografische fehlentwicklung, überalterung und kaum mehr junge leute, so dass migranten gezwungen werden können, die arbeit unter ausbeuterischen bedingungen auszuführen. das arrangement der gesellschaft, die mit den gewalttätigen strukturen gegen als schwach gesehene menschen zu leben gelernt hat, beinhaltet auch die gewalt gegen die schlecht bezahlten und rechtelosen migranten, die nach den worten von lees polizeikollegen aus nordkorea und südchina stammten. tatsächlich begehrt ein verzweifelter mann aus indien auf – und landet unbeachtet im gefängnis. somit beschreibt der film auf engem raum – viel mehr als ein paar wenige gassen und der kleine hafen sind auch in den hellsten landschaftsaufnahmen nicht zu erkennen – einige zentrale soziale probleme innerhalb der koreanischen gesellschaft, die in europa keineswegs unbekannt sind.

    die durch das aufdecken der kriminellen strukturen entstehende unruhe wird im friseursalon natürlich lee angelastet, die selbst mit den konsequenzen ihres handelns überfordert und seit langer zeit alkoholikerin ist. der alkoholkonsum als ein problem auch von frauen ist auch in europa kein thema, über das sich ohne weiteres reden ließe. zu sehr wirkt das bild der schönen, reinen, guten, gesunden frau und mutter, als dass es mit exzess, ausgelebter leidenschaft, selbstzerstörung und depression konfrontiert werden könnte. auch im koreanischen kino stellt die darstellung lees als etablierte trinkerin eine absolute ausnahme dar. die patriarchale imagination von der frau als reines und sexy objekt wird im film von park verkörpert, der dabei durchaus dick aufträgt und lee wiederholt verbal sexistisch belästigt – er ist mehr typus als charakter und damit der schwachpunkt des films. wie sehr alkohol aber bei männern als selbstverständlich verharmlost wird, zeigt erneut lees naiver kollege, der auf die prügeleien von park schulterzuckend mit der alkohol ist das problem reagiert. lee hingegen hat sich eine reihe von vertuschungsstrategien zugelegt, etwa den klaren soju-branntwein in wasserflaschen umzufüllen, da für sie offener alkoholkonsum die entlassung zur folge hätte.

    so wie auch ihre lesbische beziehung zur versetzung geführt hat und ihre fürsorge für du-hee als sexuelle belästigung ausgelegt werden kann. homosexuelle, lesbische liebe ist im koreanischen kino ebenso keine selbstverständlichkeit. zwar ist homosexualität in südkorea legal, jedoch sind LGBT-partnerschaften rechtlich nicht gleichgestellt, es gibt keine form rechtlicher offizieller partnerschaft. zudem sind homosexuelle vom dienst mit der waffe als abnormal ausgeschlossen. ein weiterer aspekt ist der nach wie vor wirksame diskriminierende artikel 92 des militärstrafrechts, auf den auch a girl at my door für die polizei anspielt, nach dem jegliche gleichgeschlechtliche handlungen als belästigung zu werten sind. lee wird im verhör auf die konsequenzen hingewiesen, sollte sie sich als lesbisch outen: da sie bereits zugegeben hatte, du-hee körperlich berührt zu haben, wird es als sexuelle belästigung minderjähriger gewertet, wenn sie ihre frühere lesbische beziehung in seoul zugibt. lee verweigert die antwort, nicht wissend, dass du-hee sie bereits verraten hat als rache an lees absage, sie nicht dauerhaft bei sich aufzunehmen. aufgrund des homosexuellen themas im film war die finanzierung vom korean film council abhängig und beschränkt auf $300.000, so dass bae und kim auf ihre gage verzichteten.

    a girl at my door verbindet diese themen unaufdringlich, eindrücklich und mit einer erzählerischen ruhe, die im koreanischen kino nur von lee chang-dong bekannt ist – es ist keineswegs überraschend, dass eben dieser als produzent des films mitwirkte. die psychologische tiefe der weiblichen figuren, die beeindruckende schauspielerische leistung sowohl von bae doo-na als auch der jungen kim sae-ron, und nicht zuletzt du-hees befreiung von ihrem stiefvater als akt der selbstermächtigung gegen den status als opfer – july jung hat einen berührenden, vielschichtigen debüt-film vorgelegt, der leider dem deutschen publikum, trotz stehender ovationen bei der aufführung in cannes 2014 und diverser auszeichnungen, so wie die meisten filme südkoreanischer regisseurinnen bislang weitgehend vorenthalten blieb.

    july jung: a girl at my door. südkorea 2014. 114min.

  • park chan-wook – lady vengeance

    park chan-wook – lady vengeance

    mit dem abschlussfilm der rache-trilogie öffnet park chan-wook das koreanische kino in die moderne und zeigt einmal mehr, wie innovativ und kunstvoll das medium film sein kann. die figur der sich blutig rächenden frau wird gebrochen durch die motive der barmherzigkeit und weitet sich zu einer feministischen fabel über die möglichkeiten eines selbstbestimmten lebens für eine frau im modernen korea/in der westlichen welt. lady vengeance (2005) ist komplex erzählt und ebenso wie seine hauptfigur wünderschön und düster – und setzt damit den ton für spätere filme.

    der femizid ist in den 2000er jahren wiederholt thema in koreas kino, sei es in memories of murder, the chaser oder frühling, sommer, herbst, winter … und frühling. dass jedoch derart elegant wie in lady vengeance gegen das patriarchat rebelliert werden würde, war selbst in zeiten von kill bill 1+2 so nicht erwartet worden. im gegensatz nämlich zu tarantinos beatrix kiddo und ihrer japanischen ahnin lady snowblood ist lee geum-ja keine übertrainierte einzelkämpferin, sondern stützt sich auf ein solidarisches netzwerk für ihren racheplan.

    in nichtchronologischer folge erzählt lady vengeance, dessen original-titel die gutherzige frau geum-ja heißt, von eben jener lee geum-ja, die mit 19 für einen mord an einem 5jährigen zu 13 jahren haft verurteilt wurde. in einem frauengefängnis erarbeitet sie sich schnell den ruf eines gutherzigen engels und schafft es, sich unter den mithäftlingen ein vertrauensvolles netzwerk aufzubauen, auf das sie nach ihrer entlassung zurückgreifen kann. sie verfolgt konsequent und in aller ruhe den plan, sich an mr. baek zu rächen. bei ihrem ehemaligen klassenlehrer hatte sie zuflucht wegen einer ungewollten schwangerschaft gefunden, mr. baek zwang sie allerdings, sein eigenes verbrechen der kindesentführung und -tötung mit lösegelderpressung auf sich zu nehmen, andernfalls würde sie ihr eigenes kind auch verlieren. nach dem ende der haftstrafe sucht sie ihre von einem australischen paar adoptierte tochter jenny, diese aber erzwingt gegen den wunsch der eltern die gemeinsame reise nach seoul. über eine ehemalige mitgefangene macht geum-ja mr. baek ausfindig, kidnapt ihn und bringt ihn in eine leerstehende schule. als geum-ja herausfindet, dass mr. baek noch weitere kinder getötet und die morde auf video aufgezeichnet hat, versammelt sie die eltern der getöteten und gibt ihnen ebenfalls die möglichkeit, sich an mr. baek zu rächen. der kommissar, der seinerzeit lee geum-ja als mörderin präsentierte, wohl wissend, dass sie es nicht war, lässt die gruppe gewähren. lee geum-ja bittet schließlich jenny um verzeihung, da sie ihr keine mutter sein konnte und sein wird, mit dieser schuld wird sie leben müssen.

    der film lebt viel weniger vom motiv der rache als der internationale verleihtitel verspricht. die ikonografie zeichnet lee geum-ja als wesentlich definiert vom widerspruch zwischen barmherzigkeit und todesengel, als dass sie wie eine zornig-kalte rächerin gezeigt würde. zwar spielt auch hier der schnee eine motivisch wichtige rolle in diesem farblich sehr genau gearbeiteten film, doch nicht als leinwand für elegante blutfontänen sondern als symbol für einen zustand der reinheit, der sich nicht wiederherstellen oder dauerhaft halten lässt. frau geum-jas plan der rache gerät durch den willen ihrer leiblichen tochter jenny sie zu begleiten durcheinander, da sie sich so der schuld stellen muss, ihr kind frühzeitig verlassen zu haben. wie grandios park diese überlagerung der themen rache und schuld in filmische bilder zu übersetzen weiß, zeigt eine szene in der verlassenen schule: geum-ja lässt mr. baek als englischlehrer ihr geständnis bzw ihre erklärung und entschuldigung an die ebenfalls im raum befindliche jenny ins englische übersetzen, da jenny kein koreanisch kann. so wird der mann, der das leben der beiden frauen vollständig erschüttert und als beziehung zerstört hat, gleichzeitig zum medium und werkzeug, das mutter-tochter-verhältnis sagbar und damit verstehbar, sogar reparierbar erscheinen zu lassen. rache, schuld, misericordia sind in dieser szene unmittelbar zusammengefügt und überlagern sich, so dass es geum-ja nachfolgend nicht schafft, mr. baek zu töten, erst durch die entdeckung der weiteren kindermorde und ihrer beweismaterialien wird der racheplan möglich – indem geum-ja die eltern der anderen kinder so stark emotionalisiert und manipuliert (eine motiv-reminiszenz an den vorgänger oldboy), dass diese mr. baek bereitwillig brutal töten, während geum-ja ihre als tötungswerkzeug konzipierte pistole erst auf den in der grube liegenden toten körper abfeuert. geum-ja hat ihre rache erfolgreich outgesourced unter mithilfe des ehemaligen polizisten, der es sich als persönliche niederlage nicht verzieh, die nachweisbar unschuldige geum-ja damals aufgrund extremer öffentlicher aufmerksamkeit als täterin präsentiert zu haben.

    einen anderen aspekt erzählt lady vengeance außerdem, und hier ist parks film gradezu visionär: er zeichnet das bild eines sich gegenseitig stützenden, schützenden netzwerks von frauen, die ihre souveränität und ihren widerstand gegen die patriarchalen strukturen auf sehr unterschiedliche weisen ausleben, ob als künstlerin, die den judith-mythos für ihre kundinnen stets neu darstellt, ob als unterwürfige hausfrau, die für den richtigen zeitpunkt zum verrat ausharrt oder als outlaw-pärchen, das sich eine nische gefunden hat – sie alle helfen geum-ja bei ihrem rache-vorhaben, so wie sie ihnen während des aufenthalts im frauengefängnis half, und sei es auch, dass sie dafür eine unsolidarische mitgefangene töten muss. der film zeigt somit die notwendigkeit für die schaffung von netzwerken abseits der patriarchalen systemmöglichkeiten, verkörpert vom aufdringlichen, stalkenden priester, dessen rolle es ist, geum-ja ihren platz zur unterordnung zu weisen oder sie, da sie sich wehrt, ans messer zu liefern und sie ermorden zu lassen – was geum-ja abzuwehren weiß. lady vengeance zeigt so eine emanzipierte frauenfigur, psychologisch glaubwürdig und tiefgehend ausgearbeitet, und ihren japanisch-amerikanischen vorläuferinnen weit voraus.

    lady vengeance ist ein vielschichtiger, komplexer, in seiner musikalität, seiner expressivität und im kontext des sowohl koreanischen als auch internationalen kinos außergewöhnlicher film, der den leidens- und befreiungsweg einer frau gegenüber einer misogynen realität nachzeichnet. eine thematik, die park in die taschendiebin aufgriff und noch einmal weiterentwickelte.

    park chan-wook: lady vengeance. südkorea 2005. 115min. fsk 16.

  • park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    der erste film in parks rache-trilogie mit dem auf die rolling stones anspielenden titel sympathy for mr. vengeance ist der schwächste der drei und insgesamt einer der schwächeren seiner filme. die handlung um eine unaufhaltsame gewaltspirale, in gang gesetzt durch gutherzig und stümperhaft agierende figuren, gewinnt in übercolorierten kulissen wenig kontur und wirkt mehr als skizzenblock denn als zusammenhängender film.

    der taubstumme ryu sucht eine niere für seine schwerkranke schwester, die unbedingt eine transplanation braucht. ryu kann ihr selbst keine niere spenden, da der nicht die richtige blutgruppe hat. er wendet sich an eine organhändlerbande und bietet ihnen an, dass sie von ihm eine niere plus 10millionen won erhalten, dafür suchen sie seiner schwester eine passende niere. die bande nimmt lieber nur niere und geld. daraufhin beschließt ryu mit seiner kommunistischen freundin cha, das kind eines reichen zu entführen, um geld für eine legale transplantation zu bekommen. die wahl fällt eher zufällig auf den geschäftsmann park. ryus schwester aber, nach der entführung, lehnt die so erpresste niere ab und bringt sich um. beim begräbnis der schwester ertrinkt das entführte mädchen, woraufhin der geschäftsmann am boden zerstört ist und erst ryus freundin zu tode foltert, während dieser sich an der organhändlerbande grausam rächt, und schließlich auch ryu tötet. park schließlich wird von chas freunden, einer gruppe radikaler kommunisten, am ende getötet, wovor cha ihn gewarnt hatte.

    der film ist anfangs bestimmt von der berührenden fürsorge ryus um seine todkranke schwester, er lässt für sie von einer professionellen sprecherin in einem tonstudio einen brief aufnehmen, um von seinem plan zu erzählen, ihr eine nierentransplantation zu ermöglichen und sich sein ganzes leben um sie zu kümmern, die zudem in einem heruntergekommenen, extrem hellhörigen wohnblock leben muss. auch die beziehung ryus zur gutherzigen und naiven cha, die überall wo sie hinkommt, ihre zuhause gedruckten anti-us-flugblätter verteilt, wirkt glaubhaft und durchaus komisch. der film beginnt mit den organhändlern zu kippen, die bilder erzählen eine komödiantische geschichte, während allmählich immer mehr blut in die handlung läuft. erst erwacht ryu nach der operation völlig nackt mit einer enormen narbe auf der seite. dann massakriert sich ein verzweifelter angestellter von park auf offener straße vor den augen der 7jährigen tochter. lediglich der suizid von ryus schwester wird nicht offen gezeigt und erscheint dadurch geradezu pietätvoll, während die anderen tode und morde – allen voran ryus rache an den organhändlern – ausgiebig ausgestellt werden.

    der film findet dadurch keine balance zwischen der teilweise sehr feinfühligen, teilweise sehr grobkörnigen komik der figuren und ihren naiven, aus den besten oder zumindest nachvollziehbaren motiven verfolgten, jedoch ins desaster führenden handlungen. der film verzichtet zudem bis auf vor- und abspann gänzlich auf musik, die zumeist statische kamera mit den starren und langen einstellungen entdynamisiert das geschehen zusätzlich und lässt die zuschauer mit kühler distanz, beinah mitleidlos, an den schweren schicksalsschlägen der figuren teilhaben. diese kälte der kameraaufnahmen wiederspricht maximal dem hochemotionalen geschehen auf der leinwand, das in langen und detaillierten bildern das leiden, den schmerz und den tod aller beteiligten figuren zeigt, in beinah immer zu stark colorierten umgebungen, wodurch der film zudem noch einen comic-charakter erhält. all diese sich mehr aneinander reibenden als zueinander fügenden elemente, dazu das insgesamt sehr spleenige personal des films – warum muss am fluss, wo ryus schwester beerdigt, parks tochter ertrinkt und schließlich ryu selbst stirbt, ein sehr ausgestellter spastiker herumlaufen, soll das unterhaltsam sein? ich habe allgemein ein problem damit, wenn schauspieler ohne dramaturgische notwendigkeit eine „behinderte“ figur nachspielen, das erscheint mir stets als eine form des blackfacing – all dies macht aus dem film eine stoffsammlung für mögliche spätere arbeiten, sogar berechnung und kunstgewerbe wurde ihm unterstellt. insbesondere das sehr niedrige tempo von mr. vengeance steht in starkem kontrast zur atemlosigkeit des nur ein jahr später folgenden meilensteins oldboy. diese rasanz und ihre hochintelligente filmische umsetzung ist bei mr. vengeance noch nicht absehbar, dafür allerdings das sehr hohe formbewusstsein und das gespür für sehr widersprüchliche kontrastierungen.

    zur vollständigkeit von park chan-wooks werken sollte man sympathy for mr. vengeance gesehen haben, als teil des frühwerks ist es umso faszinierender zu erleben, welch außergewöhnliche arbeiten diesem film nachgefolgt sind.

    park chan-wook: sympathy for mr. vengeance. südkorea 2002. 121min. fsk 16.

  • park chan-wook – oldboy

    park chan-wook – oldboy

    es ist einer der einflussreichsten koreanischen filme überhaupt, dessen szenen ikonisch sind, oft kopiert wurden und als weltweites kulturgut in diversen kontexten erscheinen: oldboy von park chan-wook. (auf das bedeutungslose remake von spike lee braucht hier nicht eingegangen zu werden.) es sind weniger die teilweise äußerst brutalen szenen, sondern insbesondere die komplexe geschichte und ihre bewusst verwirrende erzählweise, die die wirkungsgeschichte des films begründen.

    der inhalt soll kurz umrissen sein: oh dae-su (choi min-sik) wird am 4. geburtstag seiner tochter plötzlich eingesperrt und kommt nach 15 jahren unerwartet wieder frei. den grund seiner freiheitsberaubung soll er selbst herausfinden. mithilfe der jungen hübschen mi-do (kang hye-jeong), einer angestellten eines sushi-restaurants, mit der er eine beziehung beginnt, sinnt er auf rache an seinen peinigern. er kann sowohl den ort seiner haft ausfindig machen als auch die spur zu seiner alten schule finden. dort hatte dae-su seinen mitschüler lee woo-jin (yoo ji-tae) beim inzest mit dessen schwester beobachtet und dies weitererzählt. die schwester, aufgrund des gerüchts. von woo-jin schwanger zu sein, beging suizid. doch nicht als strafe für den tod seiner schwester ließ woo-jin dae-su einsperren, sondern um sich nachfolgend an ihm zu rächen: mi-do ist dae-sus tochter und woo-jin wollte dae-su so manipulieren, dass auch er zum inzest gedrängt wird.

    oldboy ist eine verfilmung eines japanischen manga-comics und der zweite film der lose verknüpften rache-triologie – und ist doch als rache-drama nur unzulänglich beschrieben. 2003 erhielt er in cannes den großen preis der jury unter vorsitz von quentin tarantino, er ist oft mit tarantinos filmen, insbesondere mit kill bill und der verschlungenen erzählweise von pulp fiction verglichen worden. tatsächlich hat oldboy mit tarantino nicht sehr viel gemein. wenn tarantino ästhetisierte gewalt als stilmittel zur unterhaltung und mit distanzierender pop-art einsetzt, so verwendet park die exzessive, brutale gewalt deutlich fatalistischer und wesentlich existenzieller: oh dae-su rächt sich grausam an seinen wächtern – berühmt sind die hammer-szenen im korridor und beim zahnchirurgischen eingriff – und gleichzeitig sind diese szenen auf filmischer ebene ein instrument der emotionalen manipulation des zuschauers. oldboy gewährt keinen moment ruhe und besinnung, der film ist von der allerersten szene verwirrend, hochspannend und aufwühlend: um so im film die manipulation von dae-su durch woo-jin sichtbar zu machen. das, was dort auf der leinwand geschieht, das verspeisen eines lebenden octopus (beim dreh waren es sogar vier), die gewaltexzesse und der zeitdruck, unter dem dae-su steht, das rätsel seiner haft zu lösen, die expressionistischen bilder (dae-sus erwachen aus einem roten koffer auf grünem gras, mi-do mit einer riesigen ameise in der u-bahn etc) und die verwirrend erzählte geschichte bilden die extreme überwältigung ab, die auch dae-su auf seiner rache-achterbahnfahrt erfährt. so sehr, dass er schließlich die gleichen worte der verlorenen selbstachtung und verzweiflung gebraucht, wie der selbstmörder, dem er zu beginn des films bzw nach seiner unerwarteten haftbefreiung auf dem dach eines hochhauses traf: auch wenn ich keinen deut besser bin als ein wildes tier, so habe ich doch ein recht darauf zu leben!

    auf eine äußerst fatalistische weise – nämlich dem fatum der zerstörung, der entwürdigung, der enttäuschung und dem scheitern nicht entkommen zu können – ist oldboy damit weniger tarantino als vielmehr alfred hitchcocks vertigo verwandt. manipulation, verwirrung des realitätssinns, hypnotische, schwindelerregende bilder und perspektiven und die verzweifelte suche nach einer wahrheit bzw selbstbestimmten freiheit: was scottie in vertigo versucht wiederzufinden, nämlich die frau, in die er sich verliebt hat, die sich vor seinen augen tötete, die als schauspielerin wiederkehrt, sodass er einer neuen täuschung madelaine/judy verfällt, das wiederfährt dae-su im motiv des inzestes. täuschung, manipulation und eine vorausgeplante figur zu sein in einem gänzlich anderen plot als vermutet. fatalistisch daran ist vor allem die täuschung, zu glauben man habe sein leben selbst in der hand. so wie woo-jin und seine schwester ihre selbstbestimmung durch die offenbarung des geheimnisses verloren und beide sich letztlich deshalb selbst töteten, so verlieren dae-su und mi-do unter dem einfluss von woo-jin ihre selbstbestimmte handlungsfähigkeit. sie sind vollständig determiniert. nicht umsonst nannte park chan-wook als eigentliches thema des filmes: erlösung.

    Mir gefällt es nicht, wie die Gesellschaft den Menschen die Idee verkauft, dass jeder Einzelne in der modernen Gesellschaft alle Probleme lösen kann, wenn er sich nur anstrengt oder seine Talente zum Einsatz bringt. […] Im Film glauben die Figuren ebenfalls, sie würden ihre Handlungen aus freiem Willen ausführen. Erst später finden wir heraus, dass alles von etwas Unausweichlichem kontrolliert wird und es keine Zufälle gibt. – Park Chan-wook

    diese art der determiniertheit, fremdbestimmung und manipulation findet in oldboy formal und filmisch auf allen ebenen ihre entsprechung, nicht zufällig tritt an signifikanten momenten eine hypnotiseurin auf, die einen wechsel des zustands und damit befreiung verspricht. doch als erlösung scheint in oldboy lediglich – suizid. von einer solch düsteren parabel ist tarantino meilenweit entfernt, hitchcocks vertigo (und ebenso sein lieblingsthema aus vielen filmen: ein unbeteiligter gerät fälschlicherweise unter verdacht) jedoch formuliert einen ganz ähnlichen pessimismus. es gibt nichts echtes außer der täuschung, die das wesen der kunst (des films) ist. nur ist oldboy äußerst destruktiv in seinen künstlerischen mitteln. aber ebenso großartig.

    park chan-wook: oldboy. südkorea 2003. 120min. fsk 16.

  • park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    über die liebe erzählt park chan-wook ebenfalls auf seine sehr eigene weise, der nach abschluss seiner wenig humorvollen rache-trilogie 2006 die quietschbunt verspielt-naiv-komische geschichte einer jungen frau auf die leindwand brachte, die sich selbst für eine maschine hält: i’m a cyborg, but that’s ok könnte in keinem größeren kontrast zu seinen vorherigen werken stehen und ist doch ein auszeichen dafür, mit welch absurder komik und mit wieviel einfühlungsvermögen und überraschender zärtlichkeit von liebe und zuneigung erzählt werden kann.

    die geschichte selbst ist dabei nicht wesentlich: young-goon, gespielt mit den größten augen seit audrey tatous amélie von lim su-jeong, glaubt eine maschine zu sein und schließt sich an eine steckdose an. in einer nervenheilanstalt beschließt sie, auf nahrung zu verzichten und sich durch lecken an batterien aufzuladen, wodurch sie immer stärker abmagert. einzig il-sun, der sich für einen meisterdieb hält und den patienten ihre eigenschaften stehlen kann, findet einen zugang zu young-goon. il-sun baut ihr eine reismaschine ein, die essen in elektrische energie umwandeln kann, wodurch er sie rettet.

    i’m a cyborg, but that’s ok lebt von seiner erzählweise: es ist ein film, der stilistisch und formal herausragt und in seinen bildern, seiner grellen farbgebung, seinen völlig entrückten figuren und der kameraführung ganz wesentlich die geschichte definiert – es ist entscheidend, wie sie erzählt ist. cyborg ist ein äußerst detailreicher, kauziger film, der seine liebe zu den sonderlingen und ihrer nicht-nützlichen weltbeziehung rigoros ausstellt: ein film, den tim burton immer machen wollte, aber sich nie getraut hat. die optik ist grotesk übertrieben, allein die credits des vorspanns, die in die filmhandlung übergehen und wundervoll arrangiert sind, bezeugen eine verspieltheit und genauigkeit, die den film prägen. hinzu kommen extreme nahaufnahmen, eine übersättigung der farben und eine schier unendliche fülle an einfällen zur bebilderung der entrücktheit und des weltschmerzes, die young-goon prägen. das geht so weit, dass sogar vor einer üblen massaker-phantasie nicht halt gemacht wird, die absurde actionfilm-ästhetik à la matrix / terminator aufnimmt und eigentlich ein wüstes gemetzel darstellt, das deutlich zu weit geht – die übersteigerung ist allerdings hier programm.

    young-goons eigentliches trauma, der verlust der ebenfalls psychisch instabilen oma in eine ähnliche nervenheilanstalt, zeichnet der film mit ihrer absurden parallelwirklichkeit nach und findet in der beziehung zu il-sun eine lösung. im schlusstableau nach einem nächtlichen regen zeichnet der neue morgen ein überzuckert scheinendes bild mit regenbogen und nachcoloriertem sonnenaufgang, und doch fügt sich dieser deutlich zu dick aufgetragene neue morgen eben genau so harmonisch und glaubhaft in den gesamten film, ohne ansatzweise lächerlich zu sein. im gegenteil scheint hier nun ein ruhezustand erreicht nach einer emotionalen wildwasserfahrt, und das alles im beengten gelände eines irrenhauses. der topos der nervenheilanstalt, im kino grundsätzlich definiert von einer flog übers kuckucksnest, ist in parks cyborg jedoch kein gefängnis, sondern ein ort der maximalen individuellen freiheit, da die insassen ihre spleens und sonderbegabungen wie in einem schutzraum ausleben können. so versagt sich cyborg auch trivialer zivilisationskritik an der feindlichen normierenden finsteren kapitalismuswelt, sondern feiert die jeweils vorhandene individuelle persönlichkeit mit all ihren verrenkungen, brüchen, knacksen und albernheiten, um letztlich doch vertrauen und gemeinschaft zu finden. i’m a cyborg, but that’s ok sagt schon im titel lakonisch und lebensbejahend: ich bin zwar ein anderes wesen als ihr vielleicht denkt, aber das geht so völlig in ordnung und muss niemandem angst machen.

    tröstlicher, irrwitziger, unterhaltsamer wurde lange nicht von liebe erzählt.

    park chan-wook: i’m a cyborg, but that’s ok. südkorea 2006. 105min.

  • kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    von den leisen filmen kim ki-duks, die von stillen, einsamen menschen und weltentrückter ferne handeln, ist seom – the isle – die insel sicherlich der herausragendste, ein frühes meisterwerk, eine faszinierene erzählung über die liebe und ihre ebenso zärtliche wie schockierend grausame sprache, in betörend einfachen, doch elementaren bildern und sehr wenigen worten.

    die geschichte spielt auf einem see fernab der städte, eine junge frau, hee-jin, vermietet an ausflügler kleine hausboote für einen kurzen angel-ausflug. die schweigsame frau bietet angelzubehör, kleinigkeiten zu essen und ggf auch liebesdienste an. auch hyun-shik mietet sich dort ein, der aber ein versteck vor der polizei und sich selbst sucht, da er seine frau und ihren liebhaber getötet hat. als er sich selbst ebenfalls töten will, rettet ihn hee-jin, woraus eine besondere beziehung der beiden entsteht. doch erst durch die seelische verletzung hee-jins, die hynun-shik mit einer prostituierten betrügt, und hee-jins eigenem suizid-versuch, finden die beiden aneinander so etwas wie heilung und fliehen mit dem hausboot aus dem see.

    seom ist ein mehrdimensionaler film, der sowohl auf der ebene der rein abbildenden narration als auch in seinen archaisch anmutenden symbolen gelesen werden kann. im zentrum steht dabei die figur des angelns als begehren, körperliches, emotionales begehren. die geliebten und verletzten lebewesen sind sowohl im als auch über dem wasser, so bewegen sich auch menschliche körper auf, im und unter wasser, als seien sie ebenso wie fische. die verletzungen, die durch die haken an den tieren verursacht werden, wiederholen sich ganz konkret körperlich auch an den hauptfiguren, da hyun-shik mehrere angelhaken schluckt, um sich zu töten, und hee-jin ihre verletzungen durch die männer sich selbst zufügt, als sie eben jene angelhaken in ihre vagina einführt – es sind dies drastische, verstörend intensive doch radikale, konsequente ausformulierungen der ambivalenten, paradoxen beziehung, die darin besteht, dass sich hee-jin und hyung-shik sozusagen gegenseitig angeln und zutiefst verletzen. gleichzeitig ist es auch die begründung ihrer sprache der liebe, denn die sprache der fische ist die stummheit, hee-jin sagt im gesamten film kein wort, und sie setzen sich je die haken in die „münder“: die angel wird somit zum werkzeug der kommunikation. einer schmerzhaften, grausamen, ebenso liebevollen kommunikation, da sie sich gegenseitig retten, schützen und verteidigen gegen die ihre beziehung angreifenden personen wie die prostituierte, ihr zuhälter und die polizei. gleichzeitig ist hee-jin als (stumme) nymphe gekennzeichnet, die sowohl die männer betört als diese auch grausam bestraft. die erotische signatur des films ist unübersehbar, die schlusseinstellung – hyung-shik verschwindet in einer schilf-insel, die sich überblendet als schambehaarung der unter wasser ruhenden hee-jin – versinnbildlicht dies noch einmal als thema des films.

    liebe, sex, begehren, verletzungen und grausamkeit, dazu eine wortlose, über gesten und handlungen geleitete kommunikation, dies alles in einem idyllischen setting: um dem allzu banalen satz stille wasser sind tief hat kim ki-duk mit seom einen außergewöhnlichen, streng komponierten, geradlinig erzählten film geformt, der in seiner ruhigen erzählweise von den deftigen momenten jäh zerschnitten wird, dass es bei der aufführung in cannes zu ohnmachtsanfällen kam.

    kim ki-duk: seom – the isle – die insel. südkorea 2000. 90min. fsk 16.