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Russland, eine Ödnis

Rückblickend, nach der beginnenden Invasion Russlands in die Ukraine – nur äußerst naive Zeitgenossen glauben mit den russischen „Friedenstruppen“ in der Ostukraine gäbe sich der Leader Putin zufrieden, nicht wenige russische Politiker sprechen bereits von der Eroberung der gesamten Oblaste Donezk und Luhansk, die nicht von den Separatisten besetzt sind, was eigentlich die gesamte Ukraine bedeutet – und damit nach einer weiteren europäischen, weltpolitischen Zäsur des 21. Jahrhunderts, lässt sich feststellen, dass die vergangenen 21 Putin-Regentschaftsjahre kulturell äußerst dürftig gewesen sind, die Faszination für das unbegreifliche, unsinnige Riesenreich Russland (und die Sowjetunion im 20. Jahrhundert), von Thomas Mann in die deutschsprachige Literatur getragen, echot sie auf komische Weise zB in Alexander von Humboldts Russlanddurchquerung in Kehlmanns Vermessung der Welt, auf deutschen Bühnen in der nie verebbten Faszination für Tschechow oder Dostojewski-Adaptionen, geht zurück auf die Faszination russischer Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von Puschkin aufwärts zu Gogol, Lermontow, Turgenjew, fünf Elefanten, jede Menge Tolstoj, Zwetajewa, Achmatowa, Charms etc bis in die 1990er Jahre zu vllt Dmitrij Prigow oder Irina Denezhkina; von Tschaikowsky, Mussorgsky, Glinka zu Prokofjew, Strawinsky, Schostakowitsch; nicht zu vergessen das einflussreiche russisch-sowjetische Kino von Dziga Vertov, Eisenstein, Tarkowski, dazu die Adaptionsfreude westlicher Stoffe – doch im frühen 21.Jahrhundert schwindet diese Faszination, die russische Kulturproduktion ist in den Jahren nach 2010 fast vollständig zum Erliegen gekommen, zumindest was relevante literarische musikalische filmische Produktionen betrifft, entscheidenden Anteil am Verschwinden der künstlerischen Gegenwartsanalysen und Kommentare hatte der Prozess um die Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“ und die Verurteilung von Pussy Riot nach deren Gebet in der Erlöserkathedrale 2012, noch in den 1990er Jahren entstanden die russische Kultur prägende Werke, der vllt zentrale Film ist „Brat – der Bruder“ von Alexej Balabanov 1997, der die Stimmung und Abgründe der späten Jelzin-Zeit herausragend einfängt, in den frühen 2000er Jahren meldete sich Andrej Swjaginzew mit „Die Rückkehr“, einem düsteren, pessimistischen Film zu Wort, es entstanden überdrehte Produktionen wie „Nochnoj Dozor“ von Timur Bekmambetov, Künstler*innen wie Zemfira, Splin, Andrej Makarewitsch uva bezogen sich auf den Gründer der russischen modernen Popmusik Viktor Zoi und seine Band Kino – von all dem ist um 2020 nichts mehr erhalten, Zemfira ist verstummt, Splin machen belanglose Musik um sich nicht in Gefahr zu begeben, Makarewitsch wurde für sein Engagement gegen Putin und für Flüchtlinge in der Ostukraine 2014 zum Volksverräter erklärt, der russische Film ist jenseit von Swjaginzews „Leviathan“ und „Loveless“ vollkommen belanglos und international nicht mehr existent, auf der Berlinale 2022 ist gerade einmal ein russischer Kurzfilm zum Klimawandel zu sehen gewesen, die russische Literatur der Gegenwart ist nach der aufregenden Alissa Ganijewa stehengeblieben im vereisten Blick auf vergangene Größe und seine Kanonisierung in Vitrinen, Vladimir Sorokins bitter-sarkastisch-kluge Bücher entstehen inzwischen im Exil, der letzte Literaturnobelpreis an einen ehemals in Russland aktiven Autor ging 1987 an den 1972 ausgebürgerten Joseph Brodsky (der Nobelpreis 2015 ging an die nicht mehr als „russisch“ zu vereinnahmende, sowjetkritische, belarussische Autorin Swelana Alexijewitsch), kurz: die russische bzw russländische Kultur in den Grenzen nach 1991 ist de facto nur noch als Nostalgie, Verlust und Verhinderung existent, nicht aber mehr als relevanter Beitrag zur Gegenwart (mit der winzigen Ausnahme Kirill Serebrennikov, der zur Einhegung des Ungezügelten mit diversen Bannflüchen belegt wurde), ähnlich Irrelevantes lässt sich über den erbärmlichen Wissenschaftsstandort Russland sagen, der seit Jahrzehnten zur Welt nichts mehr beizutragen hat und keine irgendwie relevanten Forschungen betreibt, in Putins Russland werden auch die Oppositionellen heute noch mit einem sowjetischen Kampfstoff getötet, der technologische Standort Russland ist inexistent, dieses Land hat außer purer Größe und militärischer Aggression nichts anzubieten, und vor allem kulturell fällt im Review der ersten zwei von insgesamt 30 Dekaden Putinscher Ewigkeits-Regentschaft – erst im Jahre 2222 verstarb er auf unrühmliche Weise – schmerzhaft auf, wie stumm und leblos dieses einst so einflussreiche Kulturland heute ist bzw: war.

Update 25.3.22: dieses sehr lesenswerte Interview mit dem Filmregisseur Ilja Chrshanowski im Standard beschreibt die existierende und kommende Ödnis in Russlands Kulturlandschaft herausragend, auch die kommende russische Katastrophe, denn Putin und alle seine Helfer und Wähler und Getreuen und Vasallen zerstören das Land nachhaltig, seit 22 Jahren, in diesem Moment.

2 Antworten zu „Russland, eine Ödnis“

  1. […] um sich zu einem riesigen revanchistischen aggressiven reaktionären nichts aufzublähen dass zu sonst nichts mehr in der lage ist als die zerstörung und inhaftierung der unwilligen bevölkerung : welches land hat […]

  2. […] des films aus, wobei der russische film seit einigen jahren aus den kinos europa mehr und mehr von selbst verschwindet, stattdessen wird in europa der fokus auf künstler*innen aus der ukraine gelenkt, etwa in […]

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