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  • kim ki-duk – hwal / der bogen

    kim ki-duk – hwal / der bogen

    bleiben wir noch ein wenig bei kim ki-duk, dessen filme der frühen 2000er jahre wesentlich von starken gegensätzen bestimmt sind, etwa in kommunikation, räumen, besetzung und beziehung. in konzentrierter und sehr poetischer form lässt sich dies an hwal – der bogen (2005) nachzeichnen, der zu den zugänglichen filmen kims zählt.

    ein mädchen (han yeo-reum) lebt mit einem älteren mann (jeon seong-hwang) seit mehr als 10 jahren auf einem boot in einiger entfernung der küste, das der mann für hobbyangler zur verfügung stellt. sobald sie 17 jahre als wird, soll geheiratet werden, das datum ist breit im kalender vermerkt und traditionell hochzeitliche kleidung ist auch besorgt. vor den hobbyanglern schirmt der alte sein mädchen mit seinem bogen ab, der auch als orakel genutzt wird, ebenso als musikinstrument. doch als ein junger mann das boot besucht, entscheidet sich das mädchen neu und bringt die welt des alten aus dem gleichklang.

    es sind hier elementare und zutiefst widersprüchliche bedingungen geschaffen für einen film mit reichlich symbolik – der alte und die junge schöne, die auf der schwelle vom kind zur frau steht, von der gewohnt-geliebten behütung zum eigensinn sich entwickelnd, während die altväterliche fürsorge in trotz, gier, aggression und verlustangst umzuschlagen droht. es ist die extreme enge ihrer gemeinschaft auf dem kleinen fischerboot inmitten eines unendich großen raumes, das zu einem gefängnis wird – variationen dieses räumlichen gegensatzes wären mit deutlich höherem technischen aufwand und spiegelglatter optik im sci-fi-genre zu suchen (gravity oder passengers). es ist die wortlose kommunikation des ungleichen paares, die sich hauptsächlich über blicke verständigen. und nicht zuletzt der titelgebende bogen selbst, der als „figur“ verschiedene rollen übernimmt, als orakel, als waffe, als musikinstrument – und dient damit ebenfalls wesentlich der kommunikation und symbolisiert die vielschichtigkeit der beziehung, die der alte und das mädchen führen. die abwesenheit verbaler kommunikation ist bei kim aus vielen filmen bekannt, schon in die insel war die weibliche hauptfigur stumm, in bin-jip sagt eine der beiden hauptfiguren erst am ende zwei sätze, die andere bleibt schweigend, und in frühling… war das gespräch des meisters mit seinem schüler ebenfalls sehr reduziert und vom gegensatz weite natur – enge behausung geprägt. die betonung des nicht-redens als theatrales element, zudem vielen nahaufnahmen von gesichtern wie aus der stummfilmzeit bekannt, lässt in der bogen auch mit sehgewohnheiten und dem medium film spielen – wobei kim die abwesenheit von sprache erst in moebius auf die spitze trieb, da dort während des gesamten films nicht gesprochen wird (alle genannten filme werden in den kommenden tagen besprochen). und nicht zuletzt verhandelt der film natürlich die besondere spannung zwischen den geschlechtern und lebensaltern gleichermaßen, die von zärtlich und liebevoll bis gewalttätig und sadistisch reicht, die hierarchie zwischen den figuren dabei wankend, kippend, umstürzend: als der alte schließlich erkennen muss, dass er gegen die entscheidung der nun jungen frau nicht ankämpfen kann, halten sie zwar die vereinbarte hochzeit, an dessen ende aber er sie schließlich frei lässt.

    zwar erreicht der bogen nicht die emotionale kraft anderer filme kims, da ihm gerade die wiederholung bereits bekannter themen vorgeworfen werden kann, dennoch ist die unaufdringliche erzählung, die ausformulierte symbolsprache und ihre tatsächliche weltferne ein gelungener, ruhiger kinogenuss.

    kim ki-duk: hwal – der bogen. südkorea 2005. 89min.

  • kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    nach den blicken in die moralischen und gewalttätigen abgründe, in denen tiefes misstrauen gegenüber staatlichem ordnungsversprechen entstanden ist, könnte nun der kontrast augenscheinlich nicht größer sein. kim ki-duk definierte vor allem in europa mit frühling, sommer, herbst, winter… und frühling das jüngere fernost-asiatische kino, vor allem da der von buddhistischen lehren geprägte film fernost-asiatische bilder (kontemplativ, spirituell, kreis des lebens, schönheit) zu bestätigen scheint. dabei ist der erhabenheit und weisheit eine beunruhigende erzählung eingeschrieben, die sich gegen die friedlich-spirituelle lesart sperrt.

    auf einem kleinen see inmitten bewaldeter berge lebt ein mönch mit einem kind als sein schüler, ob es sein eigenes ist oder woher es kommt, bleibt unbekannt. jeder jahreszeit im filmtitel sind einzelne lebens- und lernphasen des aufwachsenden schülers zugeordnet. so muss er als frühlings-kind einen demütigen umgang mit tieren und der natur lernen, im sommer erfährt er seine erwachenden leidenschaften, als eine junge frau von ihrer mutter zur heilung in die einöde gebracht wird, im herbst kehrt der junge mann voller zorn auf die frau zurück, da sie ihn für einen anderen verließ und er sie daraufhin tötete, im winter kommt er erneut zurück nach einer langen haftstrafe für seine tat, der meister hat seinem leben ein ende gesetzt, eine unbekannte frau bringt nachts ein baby in die einöde und ertrinkt im see, im neuen frühling ist das kind nun der novize und der ehemalige schüler hat den platz des meisters eingenommen.

    der film stellt seinen aufbau offen aus, für jedes der fünf kapitel betreten die zuschauenden den bereich des sees durch ein sich öffnendes hölzernes tor wie durch einen theatervorhang, um dann noch den weg zur im zentrum des sees schwimmenden behausung zurückzulegen. die ruhe der umgebenden natur, in die sich das leben von meister und schüler einfügt, wird ebenso breit ausgestellt und rhythmisiert den film. das tor als konkretes zeichen, obwohl es daneben keine zäune gibt, wiederholt sich im hausinneren als abtrennung von schlaf- und gebetsbereich, und obwohl es im inneren des hauses keine wände gibt, muss auch dieses tor unbedingt durchschritten werden, es gehört zum ordnungsprinzip des filmes und der vom meister verkörperten buddhistischen lehre. in dem moment des sommers, als der jugendliche schüler mit der jungen frau nachts das tor ignoriert, um gemeinsam im ruderboot sex zu haben, ist für den meister die ordnung so weit gestört, dass er das im boot treibende paar mit ihrem leben bedroht und das boot untergehen lassen möchte. die regelverletzung muss strafend geahndet werden, der pädagogische eingriff entspringt einem tiefen misstrauen gegenüber einem auf besitz und beherrschung basierenden modernen lebensstil, wie es der meister selbst formuliert. auffällig ist, dass alle fünf kapitel um einen explizit gewalttätigen akt der regelverletzung angelegt sind. im ersten frühling quält der sehr junge schüler einen fisch, einen frosch und eine schlange, indem er ihnen jeweils steine umbindet. zur buße bindet der meister seinem schlafenden schüler ebenfalls einen schweren stein um. im herbst liegt die gewalt vor dem kapitel, denn der schüler hat seine frau getötet und wird am ende von der polizei verhaftet. was den lehrer dazu bewegt, sich selbst zu töten. im winter stirbt die verhüllte frau im see, nachdem sie ihr baby zur hütte gebracht hat. und im neuen frühling wiederholt der neue junge schüler die grausamkeiten des damals jungen meisters an den drei tieren – wobei anzumerken ist, dass die szenen der tierquälerei nicht im deutschen kino zu sehen waren und auf der dvd in den extras als „alternatives ende“ zu finden ist.

    was der meister seinem schüler mitzugeben versucht, ist eine abkehr von der gier und damit von der konsumgesellschaft. allerdings scheitert der meister mit seinen pädagogischen versuchen, da der schüler in seiner sexuellen leidenschaft auch besitzanspruch auf die junge frau erhebt und sich nach seiner ungeheuerlichen tat noch immer uneinsichtig darin zeigt, dass ihm ein mensch nicht gehören kann, eine frau nicht sein eigentum ist. das scheitern des meisters liegt zudem in der kreisstruktur des filmes begründet, denn die beiden frühlinge als anfänge des zirkularen lebens beinhalten einen zwar gereiften meister (der neue meister ab dem winter-kapitel wird von kim ki-duk selbst gespielt), dem es aber nicht gelingen wird, den kreislauf maskuliner herrschaft, des von besitz und gewalt und seiner pädagogischen strafe geprägten, sich immer wiederholenden lebens auch in der buddhistischen einsamkeit zu durchbrechen. die filmstruktur legt weiterhin nahe, dass der alte schüler ebenso ein waisenkind wie der neue schüler ist, dessen mutter verstarb und dessen geburtsumstände unklar sind, womöglich auf eine vergewaltigung zurückgehen, denn welche frau würde anonym (im film trägt sie ein tuch über das gesicht gebunden) ihr kind weggeben, wenn es nicht außerhalb der waldsee-einsiedelei repressionen ausgesetzt wäre. der versuch des neuen meisters, gemäß buddhistischer lehre heilung zu finden, um das leiden zu mindern, wird jedoch sehr wahrscheinlich erneut scheitern.

    so spendet frühling, sommer, herbst, winter… und frühling zwar trost, doch so vorbehaltlos lyrisch und nirgends ein Schockbild, vielmehr Schwelgen in Schönheit ist eine zu oberflächliche lesart eines films, der vielmehr eine fluchtbewegung verhandelt und damit viel mehr mit henry david thoreau bzw jon krakauers und sean penns into the wild als mit bloß schön anzusehendem, buddhistischen religionsunterricht für europäer zu tun hat.

    kim ki-duk: frühling, sommer, herbst, winter… und frühling. südkorea 2003. 102min (internationale, geschnittene fassung).

  • kim sung-soo – asura

    kim sung-soo – asura

    zeigte the chaser eine gesellschaft, die ihren zusammenhalt verloren hat und für innere bedrohungen enorm anfällig geworden ist, so präsentiert asura (im internationalen vertrieb mit dem untertitel city of madness) eine gesellschaft im vollständigen zusammenbruch. hier hält nichts mehr, keine allianzen, keine versprechen, hier agieren die protagonisten von einem tiefen zorn genährt, misstrauisch, zynisch, radikal. das ende des films ist so konsequent unausweichlich wie schwer erträglich, nichts für den lockeren freundeabend.

    die zutaten sind einfach: die ewige korruption, die selbstverständliche polizeigewalt, ein bürgermeister mit bauprojekt, skrupellos und bestens vernetzt, ein ebenso unerbittlicher staatsanwalt, dazwischen ein doppelagent, polizist, leibwächter, undercover-ermittler wider willen – der ganz normale politische alltag für einen kriminalfilm, könnte man meinen. asura allerdings ist kein kriminalfilm, in dem es um einen fall und dessen lösung ginge, dieser film hat eine grundsätzliche dimension: asuras sind in der buddhistischen lehre titanen oder streitende halbgötter, und eben dieser streit ist der inhalt des filmes, ein unbarmherzig ausgefochtener streit, bei dem es keine gewinner gibt. eine titelsetzung, die an dostojewskis roman dämonen/böse geister erinnert, der auf einen alten russischen volksglauben zurückgriff, dass böse geister in menschen fahren und diese zu schlechten taten treiben. in asura streiten vergleichbar titanen in menschengestalt miteinander, und um dies weiter zu verdeutlichen, ist kein realer ort gewählt worden, sondern die fiktive stadt annam. ausgehend von diesen eckpfeilern könnte man asura auch ins fantasy-genre einsortieren, der im mantel eines kriminalfilms eine geradezu religiös-eifernde verstörung zwischen den sozialen und politischen kräften vorführt, die abgründiger selten dargestellt wurde.

    der machthungrige, selbstgefällige bürgermeister park möchte ein neues bauprojekt in der stadt realisieren, der selbst daran profitieren würde. zeugen, die gegen park aussagen könnten, lässt er mittels für ihn arbeitenden polizist han beseitigen. dabei wird von han ein anderer polizist getötet, was er mittels bauernopfer zu vertuschen sucht. staatsanwalt kim aber entdeckt dies und versucht so, han für sich zu zu gewinnen, um material gegen park zu bekommen. es beginnt ein gefährliches spiel um allianzen und täuschungen, in dessen mittelpunkt han steht, der zudem privat das ziel verfolgt, sich seiner schwer kranken frau nicht offenbaren und sie verlieren zu müssen. um die situation zu bereinigen, organisiert han ein treffen mit kim und park in einem restaurant, das vollkommen aus dem ruder läuft.

    asura ist ein zutiefst düsterer, pessimistischer film, tageslicht ist so gut wie nicht vorhanden, und die handelnden figuren gehen zu keinem zeitpunkt zimperlich miteinander um. die qualität des films liegt in seiner dramaturgischen entwicklung, wie er es schafft, szene für szene die figuren ein stück näher an die unausweichliche und doch für einen moment abwendbar scheinende katastrophe zu führen. die schlussszene im restaurant ist knapp 40minuten lang und endet in einem blutrausch, der fern jeder tarantino-gleichen ästhetischen überhöhung ist. nichts dient hier der allgemeinen unterhaltung, hier wird das gesellschaften zersetzende gift der korruption zu seinem grauenvoll konsequenten ende auserzählt, ohne überlebende, ohne moralischen gewinn, ohne irgendeinen helden. eine gesellschaft, deren zentrale akteure nicht anders handeln als aus eigennutz und ohne jede verantwortung, ist nicht nur auf dauer nicht lebensfähig, sie ist vollständig destruktiv (oder nach ivan turgenjews väter und söhne bzw dostojewskis böse geister: nihilistisch) und erscheint auch nicht mehr korrigierbar, nicht mehr reformierbar, sondern in ihrem wesenskern hoffnungslos.

    kim sung-soo: asura – the city of madness. südkorea 2016. 128min. fsk 18.

  • na hong-jin – the chaser

    na hong-jin – the chaser

    beschrieb memories of murder 2003 die historische signatur der südkoreanischen gesellschaft, die ihre traumata verdrängt hatte, erleben wir in the chaser fünf jahre später das auseinanderbrechen eben dieser gesellschaft. hier sind nur noch einzel- und partikularinteressen am destruktiven werk, einen überblick oder gar verständnis für ein gesamtbild entwickelt keine einzige figur, was katastrophale folgen hat. und spoileralarm: es wird im danach folgenden film noch schlimmer.

    es geht um den rücksichtslosen zuhälter joong-ho, ehemaliger polizist in seoul, der das verschwinden seiner prostituierten mit einem kunden in zusammenhang bringt. joong-ho verdächtigt den kunden, den sympathisch wirkenden yeong-min, die frauen nach china zu schleusen. tatsächlich hat yeong-min die frauen alle grausam getötet, selbst als er dies der polizei gegenüber offenbart, glauben ihm weder die polizisten noch joong-ho und vermuten einen verwirrten wichtigtuer ähnlich dem mann, der den bürgermeister bei einer veranstaltung mit kot bewarf. die von yeong-min verschleppte und schwer verletzte mi-jin, die ebenfalls für joong-ho arbeitet, schafft es, sich aus ihrer lage zu befreien, doch yeong-min trifft sie zufällig wieder und tötet sie. mi-jins tochter, die joong-ho während seiner suche nach dem schleuser begleitet, bleibt mit joong-ho zurück.

    an dieser inhaltsskizze ist erkennbar: dieser film ist auf vielen ebenen abgründig. schon die hauptfigur joong-ho bietet nur bedingt identifikationsfläche, wer vom polizisten zum zuhälter umsattelt, hat einen beachtlichen moralischen niedergang absolviert. er erniedrigt seinen mitarbeiter rund um die uhr, schickt mi-jin vom krankenbett zur arbeit und spricht mit allen personen ausnahmslos arrogant und aggressiv. die nachverfolgung von yeong-mins verschwinden ist ausschließlich von seinem drohenden ruin motiviert, selbst ihre sechsjährige tochter eun-ji behandelt er nicht besser. erst als er yeong-mins schwester aufsucht und erfährt, dass yeong-min deren sohn grausam verstümmelt hat und dafür im gefängnis war, ahnt er, dass yeong-min die wahrheit gesagt haben könnte. yeong-min wiederum ist als ein dämon gezeichnet, unauffällig, hübsch, verletzlich wirkend, dass die polizei seinen worten nur deshalb versucht, glauben zu schenken, da sie selbst unter erfolgsdruck steht und positive resultate vorweisen muss. doch yeong-min tötet sadistisch im keller eines hauses, dessen eigentlichen besitzer er ebenfalls ermordet hat, um ungestört an frauen „rache“ zu nehmen für seinen makel der impotenz. der einzige funken hoffnung in diesem durch und durch beklemmenden film ist die wandlung joong-hos zum fürsorger für die waisin eun-ji.

    dass der film den patriarchalen begriff von frauen als objekt, ware, dienstleistung, schlachtvieh, und das maskuline selbstbild von stärke, dominanz, (sexueller) gewalt und ausbeutung grundsätzlich ablehnt, ist überdeutlich.die nachforschungen joong-hos mit eun-ji als ihn nervende begleiterin führen ihn zu verschiedenen privaten zuhälterfirmen, die über die gesamte stadt verteilt sind, die frau als geschäftsgrundlage erscheint als völlig selbstverständlich so wie bäckereien nichts skandalöses haben. auffällig ist, wie orientierungs- und hilflos sämtliche figuren agieren, mit ausnahme von yeong-min, dem es völlig egal zu sein scheint, was mit ihm selbst geschieht, als wäre ihm von anfang an klar, dass sein geständnis für die überarbeiteten polizisten viel zu übertrieben klingt, um ihm glaubhaft gefährlich zu werden. beklemmend ist die gesamte stimmung des films, die räume im film sind chaotisch, eng und schlecht beleuchtet, die wohn- und büroräume sind von erschreckender armut geprägt (ausnahme ist yeong-mins besetzte villa), auch die straßen und wege eng, düster und verwinkelt, die darstellung der stadt seoul ist labyrinthisch angelegt, lediglich der eingang – ein laden an einer ecke – lässt sich identifizieren. anhand seiner orte zeichnet the chaser das bild einer gesellschaft, die offenkundig jede illusion verloren hat, in der die ordnungskräfte bemüht aber hilfslos da überlastet und kaum gewertschätzt sind – offensichtlich einer der gründe, warum joong-ho seinen dienst quittierte. selbst das brutalo- und machogehabe der (ex-)polizisten ist hauptsächlich leere pose und gewöhnlicher umgangston, als dass es irgendeinen rest tougher coolness der maskulinen selbstermächtigung amerikanischer polizeigewaltsfantasien bezeugen würde.

    the chaser wurde 2008 als debütfilm von na hong-jin der dritterfolgreichste kinofilm. der kontrast zu den beiden noch erfolgreicheren filmen (die komödie scandal makers und der effektreich-alberne western the good, the bad, the weird, zu letzterem an anderer stelle mehr) könnte größer kaum sein. dass ein derart destruktiver, zutiefst skeptischer, hochspannender und kluger film mit so überzeugender figurenzeichnung und darstellung je in deutschland produziert und dann auch noch zu den drei erflogreichsten filmen des jahres zählen könnte, lässt sich angesichts eines dominierenden schweiger-schweighöfer-kinos in diesem land nicht vorstellen.

    na hong-jin: the chaser. südkorea 2008. 123min. fsk 18.

  • bong joon-ho – memories of murder

    bong joon-ho – memories of murder

    angesichts eines offenkundig rachegetriebenen innenministers, zweier polizeigewerkschaften, diversester medien und freunde rassistischen handelns, die alle zugleich jagd auf eine poc-autorin machen wegen einer bös treffenden kolumne, denn Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen was für alle beteiligten in staatlichen gewalt-monopol-positionen selbstverständlich keine grundlage zu strafanzeigen gegen nazis und sonstige afd-parteigänger bedeutet – – – angesichts eines bewussten übertönens relativierens verdrängens einer debatte über staatliche gewalt und strukturellen rassismus unserer armen ungeliebten freund&helfer-polizei bundeswehr ksk etc, habe ich mich entschieden, einige filme bereits jetzt zu besprechen.

    brutale gewalt und selbstgefällige unfähigkeit von polizisten ist ein genrebildender topos im koreanischen kino. es gibt eine vielzahl von filmen, die ein tiefes misstrauen gegen die staatliche ordnungsmacht ausdrücken. geprägt von den wechselhaften erfahrungen des 20.jhd mit besatzung, krieg, nachkrieg, militärdiktaturen, attentaten, putsch-versuchen und enormer korruption, baute sich wenig vertrauen zu staatlichen institutionen auf. das kino der frühen 2000er jahre bildet diese tiefe skepsis offen anklagend in zum teil verstörenden bildern ab. diese phase eines offen geführten diskurses über staatliche gewalt immedium der kunst scheint jüngst jedoch vorüber. das heutige action-kino ist erneut problematisch geworden, da es versucht, verlorene reputation aus den davor liegenden jahrzehnten mit hanebüchenen plots, hollywoodesken schauwerten und klaren gut-böse-konstellationen ideologisch zurückzugewinnen. (ein paar ausgewählte filme dieses modernsten action-genres, wie etwa the suspect, sollen hier dennoch raum erhalten, der vollständigkeit halber.) doch hier sollen polizeikrimis betrachtet werden, die wesentlich substantieller sind und immer auch wieder deutlich über das genre hinausweisen, den leichtesten einstieg bietet bong joon-ho mit memories of murder: es ist eine geschichte aus der spätzeit der militärdiktatur der 1980er jahre, sie handelt von extremer gewalt und staatlicher unfähigkeit, diese zu begreifen und zu verfolgen, da sie selbst von gewalt und unverstand komplett korrumpiert ist.

    in der südkoreanischen provinz werden zwei frauenleichen entdeckt, vergewaltigt und grausam getötet. der lokale polizeikommissar park sieht sich technisch unterlegen, die spurensicherung ist ein desaster, als erkenntnismethode behauptet park, den menschen schuld im gesicht ablesen zu können. der aus seoul angereiste spezialbeauftragte seo, der auf rationale moderne methoden vertraut, soll bei den ermittlungen helfen. unter den willkürlich ausgewählten verdächtigen ist der geistig behinderte baek, von dem park mittels seines aggressiven mitarbeiters cho ein geständnis herausprügeln lässt, da er seo für zu weich hält. nach weiteren getöteten frauen entdeckt seo mehrere muster, tat bei regen, rotes kleid, ein spezielles lied im radio als ankündigung. doch die ermittlungsfehler, die weitere frauenmorde und schließlich auch baeks tod zur folge haben, nehmen nicht ab, so dass am ende der fall ungelöst bleibt.

    der film beruht auf der realen mordserie in hwaseong zwischen 1986 und 1991, wo es ebenfalls zu ermittlungsfehlern und falschen tatverdächtigen und mit folter erpressten geständnissen kam. erst 2019 konnte diese serie aufgeklärt werden. memories of murder erzählt die untersuchungen aus sicht des selbstgefälligen und unfähigen park (einmal mehr von song kang-ho gespielt), der sich der rationalen aufklärungsarbeit von seo verweigert und damit den blick offenbart auf ein abgrundtiefes misstrauen und unverständnis gegenüber den realen verhältnissen in der gesellschaft. so sitzen park und cho beim fadenspiel, während im hintergrund seo mit dutzenden polizisten eine wiese nach einer frauenleiche absucht. gleichzeitig verweist die enorme grausamkeit, mit der die frauen vergewaltigt und getötet werden, auf die der patriarchalen gesellschaft zugrunde liegende gewalttätige haltung gegenüber frauen: so wie park und cho mit dem wehrlosen baek brutal und rücksichtslos umspringen, so werden die machtverhältnisse gegen frauen in den leichenfunden – gefesselt, wehrlos – grausam präsentiert. das versagen der staatlichen gewalt, die bürgerliche ordnung wieder herzustellen und sicherheit zu gewährleisten, ist somit den strukturen patriarchaler macht inhärent als herrschaft und verfügungsgewalt über als schwach gesehene menschen. mit seiner titelgebung memories bezeugt bong diese gewalt als sowohl vergangen als auch nach wie vor aktiv, da die mordserie im film eben nicht aufgeklärt ist und park am ende zum fundort der ersten leiche zurückkehrt und von einem schulkind die auskunft bekommt, ein ganz normal aussehender mann habe kürzlich ebenfalls hier nachgeschaut: die normalen männer sind aber eigentlich alle, die serienmorde, der femizid scheint unabschließbar. diese unabschließbarkeit wird damit im film als signatur des landes gezeigt: die verbrechen sind nicht aufgearbeitet, nicht nachgeforscht und nicht gesühnt, wir, das land, die gesellschaft sind gezeichnet von tiefen wunden. so wird memories zu einem psychogramm der modernen südkoreanischen gesellschaft, ein land voll unaufgearbeiteter, unverstandener, noch immer wirksamer gewaltverbrechen. die morde und die katastrophal gescheiterte polizeiarbeit wirken bis ins jetzt fort.

    memories of murder ist ein film über nicht aufgearbeitete, gewaltfördernde, inhumane patriarchale strukturen und mechanismen in einer gesellschaft und ihren staatlichen exekutiv-insitutionen. die farbgebung im historischen teil der erzählung ist schmutzig grün und erinnert an albtraumhafte, traumatische erscheinungen, die in der kurzen rahmenhandlung in der filmischen jetzt-zeit längst nicht verblasst, sondern im gegenteil weiterhin wirksam. bongs film ist daher nicht nur ein äußerst spannender kriminalfilm, zugleich auch das psychogramm einer dysfunktionalen, hierarchischen gesellschaft.

    bong joon-ho: memories of murder. südkorea 2003. 131min. fsk 16.

  • bong joon-ho – the host

    bong joon-ho – the host

    kommen wir zum derzeit bekanntesten und erfolgreichsten filmemacher koreas: bong joon-ho. wie populär er allerspätestens seit den 4 oscar-auszeichnungen 2020 für parasite ist, lässt sich auch daran ablesen, dass (mit ausnahme von hunde die bellen, beißen nicht) alle seine filme auf gängigen streaming-plattformen verfügbar sind. internationale aufmerksamkeit und anerkennung erfuhr bong joon-ho mit seinem dritten film the host, der 2006 in korea rekorde brach, den über ein viertel der bevölkerung im kino sahen und von der filmzeitschrift cahiers du cinéma zu den drei besten filmen des jahres gezählt wird.

    so unterschiedlich in der thematik die filme bongs sind, so sind es im kern erzählungen über fragile soziale strukturen, die aufgrund einer extremen oder monströsen bedrohung aufbrechen: in hunde sind es für den arbeitslosen professor eben bellende hunde, in memories of murder ist es eine entsetzliche mordserie an frauen, in mother wird die unerschütterliche mutterliebe von der gefahr aktiviert, ihren sohn verurteilt zu sehen, in snowpiercer ist die natur selbst monströs und lebensfeindlich geworden, okja verhandelt die kapitalistische fleischproduktion anhand gigantischer zuchtschweine (grüße an tönnies und consorten), parasite bildet die extreme sozialer ungleichheit und verdrängung ab und in the host terrorisiert ein ganz reales monster seoul.

    als mischung aus monsterfilm, familiendrama, komödie und gesellschaftssatire ist the host beschrieben worden und damit ist recht gut eingefangen, wie offen und auf wie vielen ebenen der film gelesen werden kann. insbesondere besticht er durch das lustvolle zitieren von genretypischen elementen des monsterfilms, die er aber sämtlich unterläuft, ironisch bricht und ad absurdum führt. wie in allen monsterfilmen ist die story simpel bis zur albernheit, doch die art, wie bong dies erzählt, ist einzigartig und überragend: ein bösartiges monster taucht plötzlich in seoul auf, verschleppt die tochter eines ladenbesitzers, der sich auf die suche macht, sie zu retten und am ende das monster besiegt. das monströse tier selbst ist eine melange aus weißer hai (wasser), king kong (mädchen verschleppen), godzilla (mutiert), alien (bewegungen) und was der assoziationen mehr sind – doch wenn diese giganten aufgrund ihrer bedrohlichen gestalt ehrfurcht-einflößend wirkten, so ist bongs monster zwar ebenso grausam, doch vor allem irrsinnig hässlich, eine verunglückte kreuzung aus fisch und saurier, die zu anfangs noch wie ein zootier von den freizeitgästen am flussufer gefüttert wird.

    auch die klassischen monsterjäger sind versammelt, eine identifikationsfamilie, das militär und sonstige staatsgewalten, ärzte und wissenschaftler – und sie agieren allesamt lächerlich tölpelhaft, unterlaufen den genreeigenen primitiven heroismus. für heroische kämpfe gegen die verunstaltete kreatur ist hier wenig platz, sie wird am ende profan von einem verkehrsschild erschlagen. die behörden agieren zu keiner zeit vertrauenswürdig, planen zum schluss sogar die verseuchung des hangang, um das monster zu töten – und damit die tat zu wiederholen, durch die es entstand. es ist die böse pointe des films, dass das monster gänzlich unsubtil als kommentar zu u.s.-amerikanischer politik gelesen werden soll, wie bong selbst sagte. die illegale entsorgung von chemikalien, mit der der film einsetzt, geht zurück auf einen realen fall im jahr 2000 in einer u.s.-militärbasis, die zu südkoreanischen protesten führte. und die chemikalie, die das monster besiegen soll, wird „agent yellow“ genannt, eine anspielung auf den im vietnam-krieg eingesetzten chemischen kampfstoff „agent orange“. dieser politische subtext kombiniert sich in the host und noch viel deutlicher in bongs hollywood-produktionen snowpiercer und okja zu einer anklage gegen rücksichtslosen umgang mit der umwelt: während monsterfilme mit politischer botschaft meist nur als ergebnis des umwelteingriffs reale gigantische wesen präsentieren (die ameisen in formicula oder godzilla selbst z.b. sind durch nuklearunfälle entstandene riesen-mutationen), zeigt bong ein völlig verunstaltetes wesen mit deformierungen, die an fehlbildungen bei geburten nach realen chemieunfällen gemahnen.

    dass the host neben horror-elementen vorwiegend als komödie funktioniert, liegt in erster linie an den hauptfiguren: familie park betreibt einen imbiss-wohn-wagen am ufer des hangang, sie sind antihelden im eigentlichen sinn, sympathische loser, die sich recht ziellos durch ihr leben navigieren. der trottelige familienvater kang-du (gespielt einmal mehr von song kang-ho, der mit bong in drei weiteren filmen zusammenarbeitete) schläft gern mal bei der arbeit ein, ergreift auf der flucht vor dem monster die hand des falschen schulkindes und verliert im chaos seine tochter hyun-seo (gespielt von ko ah-seong, die mit song in tochter-vater-konstellation in snowpiercer wiederkehrt), ihre tante nam-ju versagt bei der meisterschaft im bogenschießen, ihr onkel nam-il hat zwar studiert, ist dennoch arbeitslos, und ihr großvater hie-bong versucht, den laden irgendwie zusammen zu halten. die parks gehören zum typischen inventar von bong-joon-ho-filmen, sie haben zwar ihr leben offenkundig nicht im griff und werden von den ereignissen hin und hergespült, aber sie ordnen sich nie unter und bewahren so ihre eigenständigkeit. die parks kehren als familie kim in parasite zurück, aus den unteren schichten der gesellschaft kommend, mit dem souveränen charme des zivilen ungehorsams ausgestattet ebenso wie mit dem glück und der sturheit von narren. und einem starken gemeinschaftssinn, füreinander in jeder situation einzustehen und zusammenzuhalten. nachdem das monster hyun-seo in eine art vorratskammer verschleppt hat, überträgt sie dort diese fürsorge auf den vom monster verschleppten waisenjungen se-joo, der schließlich, nachdem das monster hyun-seo doch tötet, an ihrer statt bei den parks leben wird.

    als einstieg in die filmsprache bong joon-ho eignet sich the host vermutlich am besten, da er nicht nur ein außergewöhnlich guter film ist, sondern anschlussfähig an westliche sehgewohnheiten, ohne diese zu repitieren (deshalb fallen seine hollywood-produktionen hinter den koreanischen filmen ab) und zugleich die besondere eigenständigkeit dieses regisseurs im internationalen kino verdeutlicht.

    bong joon-ho: the host. südkorea 2006. 119min. fsk 16.

  • lee chang-dong – secret sunshine

    lee chang-dong – secret sunshine

    lee chang-dongs filme, obwohl sie auf internationalen festivals stets mit auszeichnungen geehrt werden, sind dem europäischen publikum größtenteils unbekannt. in deutschland sind nur zwei seiner sechs filme überhaupt auf dvd erschienen, lediglich sein bisher letzter film burning lief 2019 in ausgewählten programmkinos. das mag auch mit lee selbst zu tun haben, der sich 2007 gegen kommerzielles kino wandte, kulturminister südkoreas war, und filme in einem sich dem hochgeschwindigkeitsbilderrausch des zeitgenössischen kinos widersetzenden tempo dreht, für die man sich tatsächlich zeit nehmen sollte – lees filme sind in ihrer trügerischen ruhe doppelbödige dramen, die sich nicht schon beim ersten sehen erschließen.

    secret sunshine von 2007 ist bereits im titel schwer zu fassen, eine widersprüchliche naturmetapher, in der eigentümlich tröstendes verborgen zu sein scheint. mit dem blick in die natur, in den blauen himmel über einem tal, aus einem liegengebliebenen auto, beginnt der film: in dieser harmlosen landschaft wartet shin-ae mit ihrem kleinen sohn auf jemanden, der sie mitnimmt nach miryang, eine stadt im südosten koreas, wo sie als klavierlehrerin ein neues leben beginnen will. denn ihr mann, der vater des sohnes, ist verstorben und ihm zu gedenken zieht sie in seine geburtsstadt – deren name secret sunshine bedeutet, wo sie übergangsweise in eine kleine wohnung zieht und eigentlich ein baugrundstück sucht. doch der so entworfene neuanfang scheitert, als der sohn entführt und schließlich ermordet wird – und shin-ae den verlust und die trauer versucht, mit hilfe einer evangelikanen kirchengemeinde zu verarbeiten. sie entwickelt sich zu einer überzeugten gläubigen und ist schließlich sogar bereit, dem mörder ihres sohnes bei einem besuch im gefängnis zu vergeben. doch der mann zeigt sich ebenfalls bekehrt, von gott erleuchtet und zu vergebung und frieden gefunden zu haben – ein schock, den shin-ae kaum verkraftet.

    secret sunshine ist ein intensives, außergewöhnliches drama um verlust, trauer, vergebung und eine frau, die kaum die kraft findet, sich ihrem schmerz zu stellen, zudem ständig in begleitung von jong-chan, der sie am anfang auf der landstraße aufsammelt und mit aufdringlicher hilfsbereitschaft ihre nähe sucht. doch schon der umzug nach miryang lässt sich ebenso wie der eintritt in die religiöse gemeinschaft als flucht lesen, ihr sie besuchender bruder konfrontiert sie mit der tatsache, dass ihr mann sie betrogen hat, und nicht nur ihr kind wurde ihr grausam entrissen, auch um den glauben fühlt sie sich letztlich betrogen, so dass sie eine messe unter freiem himmel mit einem song stört, der über die gebetsstimme des freikirchlichen priesters laut „lüge, lüge, lüge“ schreit. als ein „in vielen nuancen funkelndes, stilles juwel“ wurde der film beschrieben, der mit „beeindruckender beiläufigkeit“ und „unerbittlicher logik ohne künstliche beschleunigungen oder verzögerungen shin-ae’s passionsgeschichte“ erzählt. insbesondere jeon do-yeon beeindruckt in ihrer darstellung, die in cannes als beste hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde und lange zeit zweifel hatte, ob sie fähig wäre, die figur shin-ae glaubhaft zu vermitteln.

    secret sunshine ist nicht zuletzt dank ihrer darstellung ein herausragender und herausfordernder, vielschichtiger, konsequenter film, der vehemente kritik an den gebaren der christlichen kirchen südkoreas formuliert, von seinen darsteller*innen und dem gänzlich entschleunigten erzähltempo lebt. und von der tatsache, dass die figuren nie erklärt werden in ihren handlungen, wodurch sie trotz der großen nähe auch der kamera doch unerwartet-rätselhaft und fern bleiben, im verdeckten sonnenlicht.

    lee chang-dong: secret sunshine. südkorea 2007. 142min.

  • kim ki-duk – the coast guard

    kim ki-duk – the coast guard

    ursprünglich hatte ich einen anderen film kim ki-duks als ersten seiner filme vorstellen wollen, angesichts aber der besorgniserregenden realen ereignisse an der entmilitarisierten zone habe ich mich für the coast guard (2002) entschieden. er gehört zu den weniger bekannten filmen kim ki-duks, der hierzulande vor allem mit frühling, sommer, herbst, winter… und frühling bekannt wurde und zu den prägendsten, kontroversesten und radikalsten filmemachern nicht nur in südkorea gehört. seine filme sind stets herausforderungen und in jeder hinsicht konsequent, auch dann, wenn sie wie the coast guard filmisch nicht vollends überzeugen können.

    der junge soldat kang gehört zu einer armee-einheit, die an der küste nach aus dem norden kommenden spionen ausschau halten und diese augenblicklich erschießen sollen. bei tötung eines spions oder als spion angenommener person ist ehrenvolle entlassung zu erwarten. kang und seine gesamte einheit verbringen ihre zeit mit körperlich schindenden übungen, kampf-wettspielen und dem hoffen auf einen nächtlichen eindringling. bei der bevölkerung der umgebung werden sie als störend empfunden. als kang eines nachts ein paar für nordkoreanische feinde hält und den mann brutal tötet, ist er von seiner tat zutiefst geschockt und mi-yeong, die junge frau, die den tod ihres geliebten miterleben musste, schwerst traumatisiert. der ehrenvolle heimurlaub wird zur tortour, bei seiner rückkehr zur truppe wird er als untauglich entlassen. mi-yeong, verrückt geworden und auf der suche nach ihrem toten geliebten, gibt sich wahllos den soldaten hin und wird schwanger. kang wiederum beginnt die einheit zu terrorisieren und flüchtet schließlich nach seoul, wo er in einer belebten einkaufsstraße einen passanten tötet und von der polizei gestellt wird. mi-yeong, nach einer von den soldaten durchgeführten abtreibung zur vertuschung der vergewaltigungen, bleibt allein zurück, nachdem ihr bruder beim versuch, die schwester zu rächen, verhaftet wurde.

    zurecht kann man dem film die plakative figurenzeichnung vorwerfen, sowohl kang als auch mi-yeong wirken letztlich nicht ausgearbeitet. und insbesondere die nebenfiguren entwickeln kaum eigenständigkeit und bleiben oft bei klischeehaft starrem verhalten, etwa miteinander kämpfen, sich schlagen und sich fast durchweg anschreien (kims film ist auch eine betrachtung über südkoreanische männlichkeitsbilder und deren grotesker gegenstandslosigkeit). seltsamerweise scheint mir aber genau das vollkommen beabsichtigt und von kim ganz bewusst eingesetzt: die figuren sind in ihren handlungen und möglichkeiten bis zur erstarrung eingeschränkt. kim imaginiert diese erstarrung bzw die suche nach lebendigkeit im eng begrenzten wiederholt in verschiedenen bildern: so kämpfen die jungen soldaten in einer art boxring im wasser, wobei die begrenzenden seile aus stacheldraht sind. oder sie vertreiben sich die zeit mit einem fußballspiel auf kleinstem feld, auf dem mit weißen steinen die umrisse südkoreas nachgezeichnet sind, als müssten sie sich ihre bedeutung fürs land tagtäglich vor augen halten, um sie nicht zu vergessen. oder sie verstärken ohne anlass die sowieso bereits stark befestigten grenzzäune durch flaschensplitter und engen damit auch ihre eigene bewegungsfreiheit ein. die gespräche der soldaten sind entweder gebrüllte befehle, oft nur befehlswiederholungen der vorgesetzten, oder eher belanglose sätze, denen so gut wie nichts persönliches anhaftet. die soldaten sind zudem alle in etwa gleichem alter und wirken in ihrem muskelgeprotze und ihrer bereitschaft, auch erniedrigenden befehlen hierarchiebewusst zu folgen, wie jugendliche in einem militärischen ferienlager. mit seinem eifer, tatsächlich einen spion zu töten und damit der beste sein zu wollen, wirkt kang wie ein fremdkörper unter sonst von den ehr-versprechungen des militärs wenig herausgeforderten jungen, die ihren dienst normal ableisten oder lieber mit hübschen touristinnen aus der hauptstadt im sperrgebiet erinnerungsfotos machen.

    filme über soldaten neigen dazu, stets ähnliche bilder zu wiederholen, die die entindividualisierung zeigen ebenso wie die absurdität und unmenschlichkeit des krieges. auch in diesem film ist das nicht grundsätzlich anders, obwohl es kein anti-kriegsfilm ist, eher ein anti-militär-film, bei dem stets stanley kubricks full metal jacket als subtext mitgelesen werden muss. doch the coast guard versucht keine allgemeingültige aussage über die grotesk-perverse grausamkeit des innerkoreanischen konflikts oder soldaten und krieg an sich zu treffen, wie es etwa park chan-wook in joint security area beeindruckend gelingt (auch zu diesem film wird es hier eine besprechung geben).

    the coast guard ist zutiefst pazifistisch mit einer ganz anderen erzählung: die eines landes im waffenstillstand, das eigentlich nicht mehr weiß, wofür es seinen militärischen aufwand einst begonnen hat. das militärische narrativ von abzuwehrenden spionen aus dem norden, mit dem die jungen rekruten für ihre nachtwachen bei laune gehalten werden, erweist sich als leere formel, umso mehr im augenblick der fatalen verwechslung. the coast guard erzählt somit, wie die stets anwesende angst vor dem von außen eindringenden tödlichen feind zu einem eigenen trauma geworden ist: einen realen nordkoreanischen eindringling gibt es im gesamten film nicht zu sehen, nur den wahnhaft und schließlich gespenstgleich agierenden kang, der als amokläufer für die zivilgesellschaft ebenso wie für seine kameraden die einzige reale bedrohung ist. gleichzeitig – und deshalb ist die einheitlichkeit der altersstruktur im film besonders verstörend – fehlen beim militär jede art psychiologischer betreuung und verständnis. die von der tötung des mannes schwer traumatisierten kang und mi-yeong werden am nächsten morgen von jungen protokollanten am strand neben der zerstückelten leiche über den tathergang ausgefragt, während gleichzeitig die um den toten trauernden, auf das militär wütenden angehörigen in die befragungen platzen. kang wird eine woche erholungsurlaub wie eine trophäre gewährt, er wird allein in einen bus gesetzt und hat keine möglichkeit, mit seiner ihn völlig überfordernden tat fertig zu werden, so dass er gegen einen kleinen jungen handgreiflich wird.

    und nicht zuletzt beschreibt der film die tiefe entfremdung der zivilbevölkerung vom militär, die eigentlich mit dörflicher oder großstädtischer verachtung auf die im dreck knienden soldaten blickt – und die soldaten mit ebenso viel unverständnis auf das gewöhnliche leben schauen bzw dort völlig deplaziert sind. the coast guard greift damit eine thematik auf, die 2008 in the hurt locker von kathryn bigelow ebenso angesprochen wurde: die nach geleistetem kriegsdienst unbegleitete und damit unmögliche wiedereingliederung in den bürgerlichen alltag. in bigelows film ist der krieg ein quasi-natürliches habitat und die droge des sergeanten william james, in kims film wird kang die rückkehr verwehrt und dies für ihn zum potenzierten trauma, was ihn zur zerstörung treibt. bleibt die durch seine tat seelisch zerstörte mi-yeong zunächst am strand in der hilflosen obhut ihres bruders zurück, so geht sie am schluss im beisein der soldaten ins meer. in the coast guard variiert kim eines seiner zentralen themen: die unheilbaren seelischen verwundungen, hier vor dem hintergrund eines anwesenden militärischen konfliktes, der zum selbstverständnis südkoreas gehört – und das kim ki-duk mit seinem film grundsätzlich in frage stellt.

    kim ki-duk: the coast guard. südkorea 2002. 96 minuten. fsk 16.

  • park chan-wook – durst

    park chan-wook – durst

    park chan-wook erzählt komplexe dramen, die an klassische bühnenstücke erinnern, mit allerlei fallstricken und doppelten böden, und stets politisch. zentrale motive bei park sind rache, moralität und radikale befreiung des individuums, körperlich, intellektuell, sozial. sein in der westlichen kultursphäre vermutlich bekanntester film ist old boy von 2003, der auch als einer der prägenden filme des modernen südkoreanischen kinos gilt, doch zu diesem film später ausführlicher. in durst von 2009 wird auf unerwartete weise der vampirmythos aufgegriffen und grandios variiert.

    vampire sind auch in der koreanischen populärkultur vertraut. während im hollywood-kino vorrangig die blutig-mörderische seite für den mythos von den menschlichen blutsaugern interessant scheinen, stellt park chan-wook in durst das erotische, sexuelle und die körperlichkeit ins zentrum seines film – und die frage nach moral.

    der pater sang-hyeon (song kang-ho), der sich für experimente zur verfügung gestellt hat, um ein gegenmittel gegen ein tödliches virus zu finden, infiziert sich jedoch dabei mit einer art vampirvirus und ernährt sich fortan von blut. diese grundbedingung der figur wird im film immer weiter entwickelt: er handelt falsch aus ihm richtig scheinenden motiven. so glaubt er tae-joo, die frau seines jugendfreundes kang-woo, mit der er ein verhältnis beginnt, vor ihrem brutalen mann beschützen zu müssen und sie ertränken ihn gemeinsam. die mutter von kang-woo erleidet darauf einen schweren schlaganfall. die schuld belastet sang-hyeon so schwer, dass er letztlich auch tae-joo tötet, nachdem sie ihm offenbart hat, dass sie sich selbst verletzt hat und nicht kang-woo. aus erneuter schuld macht er tae-joo zum vampir. während er aber als priester sein eigenes vampir-dasein ablehnt, genießt sie es vollkommen.

    durst thematisiert in der beziehung von sang-hyeon und tae-joo neben dem widersprüchlichen verhältnis von moralischem handeln und schuld bzw entschuldung auch körper und lust. so sehr er tae-joo auch begehrt, so stößt ihn ihr blutdurst und mordlust als vampir schließlich ab. für ihn ist das vampirsein eine bürde, die sein moralisches selbstbild als christ stört. sie versteht das vampirsein als lustvolle erlösung von einer starren, engen bürgerlichkeit. der vampir ist damit eine körpermetapher für das, was im nicht-vampir-körper vorher falsch gelaufen ist und nun nicht mehr eingehegt werden kann: sang-hyeon hat als priester enthaltsam gelebt und ist als vampir gezwungen, sein begehren und das töten anzuerkennen. für tae-joo stellt es sich umgekehrt dar, sie musste vorher nüchtern und angeödet leben und kann sich nun über die stränge schlagend nach sang-hyeons ansicht frei entfalten.

    dadurch „fehlen“ dieser vampir-erzählung eine reihe typischer motive wie etwa burggruften, särge und sonstige schauer-elemente. überhaupt ist durst weitab vom horrorgenre, durch sein überschaubares personal hat der film beinah kammerspiel-charakter und konzentriert sich im wesentlichen auf amour-fou und schuldaspekte der ungleichen hauptfiguren. dies ist auch der zusammenhang zu emile zolas roman thérèse raquin, den park als bezugsquelle für durst angab: der niedergang eines paares aufgrund eines verbrechens, bei park jedoch ins koreanische normalbürgertum der gegenwart versetzt und in surrealen genremitteln überformt. daher entfallen auch sämtliche vampirjagd-themen, die in hollywood-filmen gern und bildreich auserzählt werden. im gegenteil ist parks film fast schon zärtlich und stellt sich als film selbst lustvoll aus: in seiner ästhetik, seiner farblichen gestaltung und seinen amüsierten genreüberscheitungen, in denen sich der eigentlich selbst bemitleidende priester herumtreiben muss.

    park chan-wook: durst. südkorea 2009. 133min.

  • statt deutsche prosa : korean cinema

    statt deutsche prosa : korean cinema

    seit einigen wochen denke ich darüber nach, diesen eintrag zu verfassen. in den vergangenen monaten habe ich kein buch gelesen, das mich gereizt hätte zu einer rezension. und vor den kommenden corona-prosa-werken graut mir vom ersten tagebucheintrag an. tatsächlich hatte ich auch keinen besonderen bedarf an der sich stapelnden literatur, die debatten über kulturelle soziale politische themen [den gesamten identitätenpodcast durchhören bitte] waren interessanter und anregender als die zwischen homeschooling und homeoffice doch quälend langsame langatmige ermüdende lektüre eines großteils der gegenwartsprosa. stattdessen entschied ich mich, lange ungesehene filme des asiatischen kinos abends per kleinbeamer zu schauen – und entdeckte das, was mir in den meisten literarischen texten fehlt: ein wirkliches formenbewusstsein und erzählerische kraft, ohne zu erklären, ohne zu dozieren.

    vor zwei monaten ungefähr notierte ich:

    die streaming dienste sind bestens ausgelastet und das perfekt in die katatstrophe gelaunchte disney+ portal erfreut sich sensationeller beliebtheit. wirklich, disney? ein konzern, der als image nostalgie behauptet und im hauptgeschäft eiskalt ideologische und reaktionäre filmwelten verkauft, deren antisoziales vormodernes gesellschaftsbild offenbar überall anschlussfähig scheint, es kommt eben stets unterhaltsam im märchengewand dahergetänzelt. disney ist der illusionist einer gesellschaft, die nach anschlussfähigen (kapitalistischen großbürgerlichen reaktionären) wunschwelten ausschau hält, denn kino ist immer auch eskapismus und suspendierung einer überhand nehmenden wirklichkeit.

    doch hier ist ein traumloses plädoyer für das kino als kulturform und kunst. wenn also streaming in diesem tagen, dann folgt vor einem beliebigen disneystreifen unbedingt das gegenmodell: modernes koreanisches kino. es gibt seit mindestens 17 jahren nichts aufregenderes zu sehen als filme von kim ki-duk, park chan-wook und natürlich bong joon-ho. was in der zeit nach dem 2. weltkrieg im hollywood von alfred hitchcock oder orson welles und noch viel stärker im new hollywood cinema erzählt wurde, eine gesellschaft aus subjektiver sicht mit stets gesamtheitlicher perspektive, an den brüchen zur entsubjektivierenden moderne, das wird seit einigen jahren im kroeanischen kino konsequent weiter geführt und zu neuen radikalen ausdrucksformen gebracht.

    insgesamt habe ich in den letzten wochen über 50 filme aus asien gesehen, von denen ich ab sofort in der kategorie kino die filme vorstellen möchte, mir am interessantesten erschienen. und auch eine top-ten der besten südkoreanischen filme wird es geben.

    als einstieg eignen sich folgende links für einen überblick:

    korean new wave: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkoreanischer_Film

    aus dem wunderbaren filmmagazin ray https://ray-magazin.at/koreanisches-kino-zwischen-kommerz-und-provokation/

    aus der zeitschrift epd film https://www.epd-film.de/themen/koreanisches-kino

    unbedingt sehenswert ist auch kino aus thailand: https://en.wikipedia.org/wiki/Cinema_of_Thailand

    NACHTRAG: jüngere filme aus südkorea, die in den vergangenen 5 jahren entweder direkt als hollywood-kooperationen entstanden und/oder im bereich actionfilm anzusiedeln sind, werde ich nur eingeschränkt behandeln. der grund ist ihre auf meist bekannte schauwerte reudzierte ästhetik mit geringer inhaltlicher tiefe und schablonenartiger figurenzeichnung, zudem trivialer bis propagandistischer ausrichtung. als symptomatisch mag dafür kim jee-woons the age of shadows gelten, den ich später hier besprechen werde.