Schlagwort: park chan-wook

  • park chan-wook – lady vengeance

    park chan-wook – lady vengeance

    mit dem abschlussfilm der rache-trilogie öffnet park chan-wook das koreanische kino in die moderne und zeigt einmal mehr, wie innovativ und kunstvoll das medium film sein kann. die figur der sich blutig rächenden frau wird gebrochen durch die motive der barmherzigkeit und weitet sich zu einer feministischen fabel über die möglichkeiten eines selbstbestimmten lebens für eine frau im modernen korea/in der westlichen welt. lady vengeance (2005) ist komplex erzählt und ebenso wie seine hauptfigur wünderschön und düster – und setzt damit den ton für spätere filme.

    der femizid ist in den 2000er jahren wiederholt thema in koreas kino, sei es in memories of murder, the chaser oder frühling, sommer, herbst, winter … und frühling. dass jedoch derart elegant wie in lady vengeance gegen das patriarchat rebelliert werden würde, war selbst in zeiten von kill bill 1+2 so nicht erwartet worden. im gegensatz nämlich zu tarantinos beatrix kiddo und ihrer japanischen ahnin lady snowblood ist lee geum-ja keine übertrainierte einzelkämpferin, sondern stützt sich auf ein solidarisches netzwerk für ihren racheplan.

    in nichtchronologischer folge erzählt lady vengeance, dessen original-titel die gutherzige frau geum-ja heißt, von eben jener lee geum-ja, die mit 19 für einen mord an einem 5jährigen zu 13 jahren haft verurteilt wurde. in einem frauengefängnis erarbeitet sie sich schnell den ruf eines gutherzigen engels und schafft es, sich unter den mithäftlingen ein vertrauensvolles netzwerk aufzubauen, auf das sie nach ihrer entlassung zurückgreifen kann. sie verfolgt konsequent und in aller ruhe den plan, sich an mr. baek zu rächen. bei ihrem ehemaligen klassenlehrer hatte sie zuflucht wegen einer ungewollten schwangerschaft gefunden, mr. baek zwang sie allerdings, sein eigenes verbrechen der kindesentführung und -tötung mit lösegelderpressung auf sich zu nehmen, andernfalls würde sie ihr eigenes kind auch verlieren. nach dem ende der haftstrafe sucht sie ihre von einem australischen paar adoptierte tochter jenny, diese aber erzwingt gegen den wunsch der eltern die gemeinsame reise nach seoul. über eine ehemalige mitgefangene macht geum-ja mr. baek ausfindig, kidnapt ihn und bringt ihn in eine leerstehende schule. als geum-ja herausfindet, dass mr. baek noch weitere kinder getötet und die morde auf video aufgezeichnet hat, versammelt sie die eltern der getöteten und gibt ihnen ebenfalls die möglichkeit, sich an mr. baek zu rächen. der kommissar, der seinerzeit lee geum-ja als mörderin präsentierte, wohl wissend, dass sie es nicht war, lässt die gruppe gewähren. lee geum-ja bittet schließlich jenny um verzeihung, da sie ihr keine mutter sein konnte und sein wird, mit dieser schuld wird sie leben müssen.

    der film lebt viel weniger vom motiv der rache als der internationale verleihtitel verspricht. die ikonografie zeichnet lee geum-ja als wesentlich definiert vom widerspruch zwischen barmherzigkeit und todesengel, als dass sie wie eine zornig-kalte rächerin gezeigt würde. zwar spielt auch hier der schnee eine motivisch wichtige rolle in diesem farblich sehr genau gearbeiteten film, doch nicht als leinwand für elegante blutfontänen sondern als symbol für einen zustand der reinheit, der sich nicht wiederherstellen oder dauerhaft halten lässt. frau geum-jas plan der rache gerät durch den willen ihrer leiblichen tochter jenny sie zu begleiten durcheinander, da sie sich so der schuld stellen muss, ihr kind frühzeitig verlassen zu haben. wie grandios park diese überlagerung der themen rache und schuld in filmische bilder zu übersetzen weiß, zeigt eine szene in der verlassenen schule: geum-ja lässt mr. baek als englischlehrer ihr geständnis bzw ihre erklärung und entschuldigung an die ebenfalls im raum befindliche jenny ins englische übersetzen, da jenny kein koreanisch kann. so wird der mann, der das leben der beiden frauen vollständig erschüttert und als beziehung zerstört hat, gleichzeitig zum medium und werkzeug, das mutter-tochter-verhältnis sagbar und damit verstehbar, sogar reparierbar erscheinen zu lassen. rache, schuld, misericordia sind in dieser szene unmittelbar zusammengefügt und überlagern sich, so dass es geum-ja nachfolgend nicht schafft, mr. baek zu töten, erst durch die entdeckung der weiteren kindermorde und ihrer beweismaterialien wird der racheplan möglich – indem geum-ja die eltern der anderen kinder so stark emotionalisiert und manipuliert (eine motiv-reminiszenz an den vorgänger oldboy), dass diese mr. baek bereitwillig brutal töten, während geum-ja ihre als tötungswerkzeug konzipierte pistole erst auf den in der grube liegenden toten körper abfeuert. geum-ja hat ihre rache erfolgreich outgesourced unter mithilfe des ehemaligen polizisten, der es sich als persönliche niederlage nicht verzieh, die nachweisbar unschuldige geum-ja damals aufgrund extremer öffentlicher aufmerksamkeit als täterin präsentiert zu haben.

    einen anderen aspekt erzählt lady vengeance außerdem, und hier ist parks film gradezu visionär: er zeichnet das bild eines sich gegenseitig stützenden, schützenden netzwerks von frauen, die ihre souveränität und ihren widerstand gegen die patriarchalen strukturen auf sehr unterschiedliche weisen ausleben, ob als künstlerin, die den judith-mythos für ihre kundinnen stets neu darstellt, ob als unterwürfige hausfrau, die für den richtigen zeitpunkt zum verrat ausharrt oder als outlaw-pärchen, das sich eine nische gefunden hat – sie alle helfen geum-ja bei ihrem rache-vorhaben, so wie sie ihnen während des aufenthalts im frauengefängnis half, und sei es auch, dass sie dafür eine unsolidarische mitgefangene töten muss. der film zeigt somit die notwendigkeit für die schaffung von netzwerken abseits der patriarchalen systemmöglichkeiten, verkörpert vom aufdringlichen, stalkenden priester, dessen rolle es ist, geum-ja ihren platz zur unterordnung zu weisen oder sie, da sie sich wehrt, ans messer zu liefern und sie ermorden zu lassen – was geum-ja abzuwehren weiß. lady vengeance zeigt so eine emanzipierte frauenfigur, psychologisch glaubwürdig und tiefgehend ausgearbeitet, und ihren japanisch-amerikanischen vorläuferinnen weit voraus.

    lady vengeance ist ein vielschichtiger, komplexer, in seiner musikalität, seiner expressivität und im kontext des sowohl koreanischen als auch internationalen kinos außergewöhnlicher film, der den leidens- und befreiungsweg einer frau gegenüber einer misogynen realität nachzeichnet. eine thematik, die park in die taschendiebin aufgriff und noch einmal weiterentwickelte.

    park chan-wook: lady vengeance. südkorea 2005. 115min. fsk 16.

  • park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    der erste film in parks rache-trilogie mit dem auf die rolling stones anspielenden titel sympathy for mr. vengeance ist der schwächste der drei und insgesamt einer der schwächeren seiner filme. die handlung um eine unaufhaltsame gewaltspirale, in gang gesetzt durch gutherzig und stümperhaft agierende figuren, gewinnt in übercolorierten kulissen wenig kontur und wirkt mehr als skizzenblock denn als zusammenhängender film.

    der taubstumme ryu sucht eine niere für seine schwerkranke schwester, die unbedingt eine transplanation braucht. ryu kann ihr selbst keine niere spenden, da der nicht die richtige blutgruppe hat. er wendet sich an eine organhändlerbande und bietet ihnen an, dass sie von ihm eine niere plus 10millionen won erhalten, dafür suchen sie seiner schwester eine passende niere. die bande nimmt lieber nur niere und geld. daraufhin beschließt ryu mit seiner kommunistischen freundin cha, das kind eines reichen zu entführen, um geld für eine legale transplantation zu bekommen. die wahl fällt eher zufällig auf den geschäftsmann park. ryus schwester aber, nach der entführung, lehnt die so erpresste niere ab und bringt sich um. beim begräbnis der schwester ertrinkt das entführte mädchen, woraufhin der geschäftsmann am boden zerstört ist und erst ryus freundin zu tode foltert, während dieser sich an der organhändlerbande grausam rächt, und schließlich auch ryu tötet. park schließlich wird von chas freunden, einer gruppe radikaler kommunisten, am ende getötet, wovor cha ihn gewarnt hatte.

    der film ist anfangs bestimmt von der berührenden fürsorge ryus um seine todkranke schwester, er lässt für sie von einer professionellen sprecherin in einem tonstudio einen brief aufnehmen, um von seinem plan zu erzählen, ihr eine nierentransplantation zu ermöglichen und sich sein ganzes leben um sie zu kümmern, die zudem in einem heruntergekommenen, extrem hellhörigen wohnblock leben muss. auch die beziehung ryus zur gutherzigen und naiven cha, die überall wo sie hinkommt, ihre zuhause gedruckten anti-us-flugblätter verteilt, wirkt glaubhaft und durchaus komisch. der film beginnt mit den organhändlern zu kippen, die bilder erzählen eine komödiantische geschichte, während allmählich immer mehr blut in die handlung läuft. erst erwacht ryu nach der operation völlig nackt mit einer enormen narbe auf der seite. dann massakriert sich ein verzweifelter angestellter von park auf offener straße vor den augen der 7jährigen tochter. lediglich der suizid von ryus schwester wird nicht offen gezeigt und erscheint dadurch geradezu pietätvoll, während die anderen tode und morde – allen voran ryus rache an den organhändlern – ausgiebig ausgestellt werden.

    der film findet dadurch keine balance zwischen der teilweise sehr feinfühligen, teilweise sehr grobkörnigen komik der figuren und ihren naiven, aus den besten oder zumindest nachvollziehbaren motiven verfolgten, jedoch ins desaster führenden handlungen. der film verzichtet zudem bis auf vor- und abspann gänzlich auf musik, die zumeist statische kamera mit den starren und langen einstellungen entdynamisiert das geschehen zusätzlich und lässt die zuschauer mit kühler distanz, beinah mitleidlos, an den schweren schicksalsschlägen der figuren teilhaben. diese kälte der kameraaufnahmen wiederspricht maximal dem hochemotionalen geschehen auf der leinwand, das in langen und detaillierten bildern das leiden, den schmerz und den tod aller beteiligten figuren zeigt, in beinah immer zu stark colorierten umgebungen, wodurch der film zudem noch einen comic-charakter erhält. all diese sich mehr aneinander reibenden als zueinander fügenden elemente, dazu das insgesamt sehr spleenige personal des films – warum muss am fluss, wo ryus schwester beerdigt, parks tochter ertrinkt und schließlich ryu selbst stirbt, ein sehr ausgestellter spastiker herumlaufen, soll das unterhaltsam sein? ich habe allgemein ein problem damit, wenn schauspieler ohne dramaturgische notwendigkeit eine „behinderte“ figur nachspielen, das erscheint mir stets als eine form des blackfacing – all dies macht aus dem film eine stoffsammlung für mögliche spätere arbeiten, sogar berechnung und kunstgewerbe wurde ihm unterstellt. insbesondere das sehr niedrige tempo von mr. vengeance steht in starkem kontrast zur atemlosigkeit des nur ein jahr später folgenden meilensteins oldboy. diese rasanz und ihre hochintelligente filmische umsetzung ist bei mr. vengeance noch nicht absehbar, dafür allerdings das sehr hohe formbewusstsein und das gespür für sehr widersprüchliche kontrastierungen.

    zur vollständigkeit von park chan-wooks werken sollte man sympathy for mr. vengeance gesehen haben, als teil des frühwerks ist es umso faszinierender zu erleben, welch außergewöhnliche arbeiten diesem film nachgefolgt sind.

    park chan-wook: sympathy for mr. vengeance. südkorea 2002. 121min. fsk 16.

  • park chan-wook – oldboy

    park chan-wook – oldboy

    es ist einer der einflussreichsten koreanischen filme überhaupt, dessen szenen ikonisch sind, oft kopiert wurden und als weltweites kulturgut in diversen kontexten erscheinen: oldboy von park chan-wook. (auf das bedeutungslose remake von spike lee braucht hier nicht eingegangen zu werden.) es sind weniger die teilweise äußerst brutalen szenen, sondern insbesondere die komplexe geschichte und ihre bewusst verwirrende erzählweise, die die wirkungsgeschichte des films begründen.

    der inhalt soll kurz umrissen sein: oh dae-su (choi min-sik) wird am 4. geburtstag seiner tochter plötzlich eingesperrt und kommt nach 15 jahren unerwartet wieder frei. den grund seiner freiheitsberaubung soll er selbst herausfinden. mithilfe der jungen hübschen mi-do (kang hye-jeong), einer angestellten eines sushi-restaurants, mit der er eine beziehung beginnt, sinnt er auf rache an seinen peinigern. er kann sowohl den ort seiner haft ausfindig machen als auch die spur zu seiner alten schule finden. dort hatte dae-su seinen mitschüler lee woo-jin (yoo ji-tae) beim inzest mit dessen schwester beobachtet und dies weitererzählt. die schwester, aufgrund des gerüchts. von woo-jin schwanger zu sein, beging suizid. doch nicht als strafe für den tod seiner schwester ließ woo-jin dae-su einsperren, sondern um sich nachfolgend an ihm zu rächen: mi-do ist dae-sus tochter und woo-jin wollte dae-su so manipulieren, dass auch er zum inzest gedrängt wird.

    oldboy ist eine verfilmung eines japanischen manga-comics und der zweite film der lose verknüpften rache-triologie – und ist doch als rache-drama nur unzulänglich beschrieben. 2003 erhielt er in cannes den großen preis der jury unter vorsitz von quentin tarantino, er ist oft mit tarantinos filmen, insbesondere mit kill bill und der verschlungenen erzählweise von pulp fiction verglichen worden. tatsächlich hat oldboy mit tarantino nicht sehr viel gemein. wenn tarantino ästhetisierte gewalt als stilmittel zur unterhaltung und mit distanzierender pop-art einsetzt, so verwendet park die exzessive, brutale gewalt deutlich fatalistischer und wesentlich existenzieller: oh dae-su rächt sich grausam an seinen wächtern – berühmt sind die hammer-szenen im korridor und beim zahnchirurgischen eingriff – und gleichzeitig sind diese szenen auf filmischer ebene ein instrument der emotionalen manipulation des zuschauers. oldboy gewährt keinen moment ruhe und besinnung, der film ist von der allerersten szene verwirrend, hochspannend und aufwühlend: um so im film die manipulation von dae-su durch woo-jin sichtbar zu machen. das, was dort auf der leinwand geschieht, das verspeisen eines lebenden octopus (beim dreh waren es sogar vier), die gewaltexzesse und der zeitdruck, unter dem dae-su steht, das rätsel seiner haft zu lösen, die expressionistischen bilder (dae-sus erwachen aus einem roten koffer auf grünem gras, mi-do mit einer riesigen ameise in der u-bahn etc) und die verwirrend erzählte geschichte bilden die extreme überwältigung ab, die auch dae-su auf seiner rache-achterbahnfahrt erfährt. so sehr, dass er schließlich die gleichen worte der verlorenen selbstachtung und verzweiflung gebraucht, wie der selbstmörder, dem er zu beginn des films bzw nach seiner unerwarteten haftbefreiung auf dem dach eines hochhauses traf: auch wenn ich keinen deut besser bin als ein wildes tier, so habe ich doch ein recht darauf zu leben!

    auf eine äußerst fatalistische weise – nämlich dem fatum der zerstörung, der entwürdigung, der enttäuschung und dem scheitern nicht entkommen zu können – ist oldboy damit weniger tarantino als vielmehr alfred hitchcocks vertigo verwandt. manipulation, verwirrung des realitätssinns, hypnotische, schwindelerregende bilder und perspektiven und die verzweifelte suche nach einer wahrheit bzw selbstbestimmten freiheit: was scottie in vertigo versucht wiederzufinden, nämlich die frau, in die er sich verliebt hat, die sich vor seinen augen tötete, die als schauspielerin wiederkehrt, sodass er einer neuen täuschung madelaine/judy verfällt, das wiederfährt dae-su im motiv des inzestes. täuschung, manipulation und eine vorausgeplante figur zu sein in einem gänzlich anderen plot als vermutet. fatalistisch daran ist vor allem die täuschung, zu glauben man habe sein leben selbst in der hand. so wie woo-jin und seine schwester ihre selbstbestimmung durch die offenbarung des geheimnisses verloren und beide sich letztlich deshalb selbst töteten, so verlieren dae-su und mi-do unter dem einfluss von woo-jin ihre selbstbestimmte handlungsfähigkeit. sie sind vollständig determiniert. nicht umsonst nannte park chan-wook als eigentliches thema des filmes: erlösung.

    Mir gefällt es nicht, wie die Gesellschaft den Menschen die Idee verkauft, dass jeder Einzelne in der modernen Gesellschaft alle Probleme lösen kann, wenn er sich nur anstrengt oder seine Talente zum Einsatz bringt. […] Im Film glauben die Figuren ebenfalls, sie würden ihre Handlungen aus freiem Willen ausführen. Erst später finden wir heraus, dass alles von etwas Unausweichlichem kontrolliert wird und es keine Zufälle gibt. – Park Chan-wook

    diese art der determiniertheit, fremdbestimmung und manipulation findet in oldboy formal und filmisch auf allen ebenen ihre entsprechung, nicht zufällig tritt an signifikanten momenten eine hypnotiseurin auf, die einen wechsel des zustands und damit befreiung verspricht. doch als erlösung scheint in oldboy lediglich – suizid. von einer solch düsteren parabel ist tarantino meilenweit entfernt, hitchcocks vertigo (und ebenso sein lieblingsthema aus vielen filmen: ein unbeteiligter gerät fälschlicherweise unter verdacht) jedoch formuliert einen ganz ähnlichen pessimismus. es gibt nichts echtes außer der täuschung, die das wesen der kunst (des films) ist. nur ist oldboy äußerst destruktiv in seinen künstlerischen mitteln. aber ebenso großartig.

    park chan-wook: oldboy. südkorea 2003. 120min. fsk 16.

  • park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    über die liebe erzählt park chan-wook ebenfalls auf seine sehr eigene weise, der nach abschluss seiner wenig humorvollen rache-trilogie 2006 die quietschbunt verspielt-naiv-komische geschichte einer jungen frau auf die leindwand brachte, die sich selbst für eine maschine hält: i’m a cyborg, but that’s ok könnte in keinem größeren kontrast zu seinen vorherigen werken stehen und ist doch ein auszeichen dafür, mit welch absurder komik und mit wieviel einfühlungsvermögen und überraschender zärtlichkeit von liebe und zuneigung erzählt werden kann.

    die geschichte selbst ist dabei nicht wesentlich: young-goon, gespielt mit den größten augen seit audrey tatous amélie von lim su-jeong, glaubt eine maschine zu sein und schließt sich an eine steckdose an. in einer nervenheilanstalt beschließt sie, auf nahrung zu verzichten und sich durch lecken an batterien aufzuladen, wodurch sie immer stärker abmagert. einzig il-sun, der sich für einen meisterdieb hält und den patienten ihre eigenschaften stehlen kann, findet einen zugang zu young-goon. il-sun baut ihr eine reismaschine ein, die essen in elektrische energie umwandeln kann, wodurch er sie rettet.

    i’m a cyborg, but that’s ok lebt von seiner erzählweise: es ist ein film, der stilistisch und formal herausragt und in seinen bildern, seiner grellen farbgebung, seinen völlig entrückten figuren und der kameraführung ganz wesentlich die geschichte definiert – es ist entscheidend, wie sie erzählt ist. cyborg ist ein äußerst detailreicher, kauziger film, der seine liebe zu den sonderlingen und ihrer nicht-nützlichen weltbeziehung rigoros ausstellt: ein film, den tim burton immer machen wollte, aber sich nie getraut hat. die optik ist grotesk übertrieben, allein die credits des vorspanns, die in die filmhandlung übergehen und wundervoll arrangiert sind, bezeugen eine verspieltheit und genauigkeit, die den film prägen. hinzu kommen extreme nahaufnahmen, eine übersättigung der farben und eine schier unendliche fülle an einfällen zur bebilderung der entrücktheit und des weltschmerzes, die young-goon prägen. das geht so weit, dass sogar vor einer üblen massaker-phantasie nicht halt gemacht wird, die absurde actionfilm-ästhetik à la matrix / terminator aufnimmt und eigentlich ein wüstes gemetzel darstellt, das deutlich zu weit geht – die übersteigerung ist allerdings hier programm.

    young-goons eigentliches trauma, der verlust der ebenfalls psychisch instabilen oma in eine ähnliche nervenheilanstalt, zeichnet der film mit ihrer absurden parallelwirklichkeit nach und findet in der beziehung zu il-sun eine lösung. im schlusstableau nach einem nächtlichen regen zeichnet der neue morgen ein überzuckert scheinendes bild mit regenbogen und nachcoloriertem sonnenaufgang, und doch fügt sich dieser deutlich zu dick aufgetragene neue morgen eben genau so harmonisch und glaubhaft in den gesamten film, ohne ansatzweise lächerlich zu sein. im gegenteil scheint hier nun ein ruhezustand erreicht nach einer emotionalen wildwasserfahrt, und das alles im beengten gelände eines irrenhauses. der topos der nervenheilanstalt, im kino grundsätzlich definiert von einer flog übers kuckucksnest, ist in parks cyborg jedoch kein gefängnis, sondern ein ort der maximalen individuellen freiheit, da die insassen ihre spleens und sonderbegabungen wie in einem schutzraum ausleben können. so versagt sich cyborg auch trivialer zivilisationskritik an der feindlichen normierenden finsteren kapitalismuswelt, sondern feiert die jeweils vorhandene individuelle persönlichkeit mit all ihren verrenkungen, brüchen, knacksen und albernheiten, um letztlich doch vertrauen und gemeinschaft zu finden. i’m a cyborg, but that’s ok sagt schon im titel lakonisch und lebensbejahend: ich bin zwar ein anderes wesen als ihr vielleicht denkt, aber das geht so völlig in ordnung und muss niemandem angst machen.

    tröstlicher, irrwitziger, unterhaltsamer wurde lange nicht von liebe erzählt.

    park chan-wook: i’m a cyborg, but that’s ok. südkorea 2006. 105min.

  • park chan-wook – durst

    park chan-wook – durst

    park chan-wook erzählt komplexe dramen, die an klassische bühnenstücke erinnern, mit allerlei fallstricken und doppelten böden, und stets politisch. zentrale motive bei park sind rache, moralität und radikale befreiung des individuums, körperlich, intellektuell, sozial. sein in der westlichen kultursphäre vermutlich bekanntester film ist old boy von 2003, der auch als einer der prägenden filme des modernen südkoreanischen kinos gilt, doch zu diesem film später ausführlicher. in durst von 2009 wird auf unerwartete weise der vampirmythos aufgegriffen und grandios variiert.

    vampire sind auch in der koreanischen populärkultur vertraut. während im hollywood-kino vorrangig die blutig-mörderische seite für den mythos von den menschlichen blutsaugern interessant scheinen, stellt park chan-wook in durst das erotische, sexuelle und die körperlichkeit ins zentrum seines film – und die frage nach moral.

    der pater sang-hyeon (song kang-ho), der sich für experimente zur verfügung gestellt hat, um ein gegenmittel gegen ein tödliches virus zu finden, infiziert sich jedoch dabei mit einer art vampirvirus und ernährt sich fortan von blut. diese grundbedingung der figur wird im film immer weiter entwickelt: er handelt falsch aus ihm richtig scheinenden motiven. so glaubt er tae-joo, die frau seines jugendfreundes kang-woo, mit der er ein verhältnis beginnt, vor ihrem brutalen mann beschützen zu müssen und sie ertränken ihn gemeinsam. die mutter von kang-woo erleidet darauf einen schweren schlaganfall. die schuld belastet sang-hyeon so schwer, dass er letztlich auch tae-joo tötet, nachdem sie ihm offenbart hat, dass sie sich selbst verletzt hat und nicht kang-woo. aus erneuter schuld macht er tae-joo zum vampir. während er aber als priester sein eigenes vampir-dasein ablehnt, genießt sie es vollkommen.

    durst thematisiert in der beziehung von sang-hyeon und tae-joo neben dem widersprüchlichen verhältnis von moralischem handeln und schuld bzw entschuldung auch körper und lust. so sehr er tae-joo auch begehrt, so stößt ihn ihr blutdurst und mordlust als vampir schließlich ab. für ihn ist das vampirsein eine bürde, die sein moralisches selbstbild als christ stört. sie versteht das vampirsein als lustvolle erlösung von einer starren, engen bürgerlichkeit. der vampir ist damit eine körpermetapher für das, was im nicht-vampir-körper vorher falsch gelaufen ist und nun nicht mehr eingehegt werden kann: sang-hyeon hat als priester enthaltsam gelebt und ist als vampir gezwungen, sein begehren und das töten anzuerkennen. für tae-joo stellt es sich umgekehrt dar, sie musste vorher nüchtern und angeödet leben und kann sich nun über die stränge schlagend nach sang-hyeons ansicht frei entfalten.

    dadurch „fehlen“ dieser vampir-erzählung eine reihe typischer motive wie etwa burggruften, särge und sonstige schauer-elemente. überhaupt ist durst weitab vom horrorgenre, durch sein überschaubares personal hat der film beinah kammerspiel-charakter und konzentriert sich im wesentlichen auf amour-fou und schuldaspekte der ungleichen hauptfiguren. dies ist auch der zusammenhang zu emile zolas roman thérèse raquin, den park als bezugsquelle für durst angab: der niedergang eines paares aufgrund eines verbrechens, bei park jedoch ins koreanische normalbürgertum der gegenwart versetzt und in surrealen genremitteln überformt. daher entfallen auch sämtliche vampirjagd-themen, die in hollywood-filmen gern und bildreich auserzählt werden. im gegenteil ist parks film fast schon zärtlich und stellt sich als film selbst lustvoll aus: in seiner ästhetik, seiner farblichen gestaltung und seinen amüsierten genreüberscheitungen, in denen sich der eigentlich selbst bemitleidende priester herumtreiben muss.

    park chan-wook: durst. südkorea 2009. 133min.

  • statt deutsche prosa : korean cinema

    statt deutsche prosa : korean cinema

    seit einigen wochen denke ich darüber nach, diesen eintrag zu verfassen. in den vergangenen monaten habe ich kein buch gelesen, das mich gereizt hätte zu einer rezension. und vor den kommenden corona-prosa-werken graut mir vom ersten tagebucheintrag an. tatsächlich hatte ich auch keinen besonderen bedarf an der sich stapelnden literatur, die debatten über kulturelle soziale politische themen [den gesamten identitätenpodcast durchhören bitte] waren interessanter und anregender als die zwischen homeschooling und homeoffice doch quälend langsame langatmige ermüdende lektüre eines großteils der gegenwartsprosa. stattdessen entschied ich mich, lange ungesehene filme des asiatischen kinos abends per kleinbeamer zu schauen – und entdeckte das, was mir in den meisten literarischen texten fehlt: ein wirkliches formenbewusstsein und erzählerische kraft, ohne zu erklären, ohne zu dozieren.

    vor zwei monaten ungefähr notierte ich:

    die streaming dienste sind bestens ausgelastet und das perfekt in die katatstrophe gelaunchte disney+ portal erfreut sich sensationeller beliebtheit. wirklich, disney? ein konzern, der als image nostalgie behauptet und im hauptgeschäft eiskalt ideologische und reaktionäre filmwelten verkauft, deren antisoziales vormodernes gesellschaftsbild offenbar überall anschlussfähig scheint, es kommt eben stets unterhaltsam im märchengewand dahergetänzelt. disney ist der illusionist einer gesellschaft, die nach anschlussfähigen (kapitalistischen großbürgerlichen reaktionären) wunschwelten ausschau hält, denn kino ist immer auch eskapismus und suspendierung einer überhand nehmenden wirklichkeit.

    doch hier ist ein traumloses plädoyer für das kino als kulturform und kunst. wenn also streaming in diesem tagen, dann folgt vor einem beliebigen disneystreifen unbedingt das gegenmodell: modernes koreanisches kino. es gibt seit mindestens 17 jahren nichts aufregenderes zu sehen als filme von kim ki-duk, park chan-wook und natürlich bong joon-ho. was in der zeit nach dem 2. weltkrieg im hollywood von alfred hitchcock oder orson welles und noch viel stärker im new hollywood cinema erzählt wurde, eine gesellschaft aus subjektiver sicht mit stets gesamtheitlicher perspektive, an den brüchen zur entsubjektivierenden moderne, das wird seit einigen jahren im kroeanischen kino konsequent weiter geführt und zu neuen radikalen ausdrucksformen gebracht.

    insgesamt habe ich in den letzten wochen über 50 filme aus asien gesehen, von denen ich ab sofort in der kategorie kino die filme vorstellen möchte, mir am interessantesten erschienen. und auch eine top-ten der besten südkoreanischen filme wird es geben.

    als einstieg eignen sich folgende links für einen überblick:

    korean new wave: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkoreanischer_Film

    aus dem wunderbaren filmmagazin ray https://ray-magazin.at/koreanisches-kino-zwischen-kommerz-und-provokation/

    aus der zeitschrift epd film https://www.epd-film.de/themen/koreanisches-kino

    unbedingt sehenswert ist auch kino aus thailand: https://en.wikipedia.org/wiki/Cinema_of_Thailand

    NACHTRAG: jüngere filme aus südkorea, die in den vergangenen 5 jahren entweder direkt als hollywood-kooperationen entstanden und/oder im bereich actionfilm anzusiedeln sind, werde ich nur eingeschränkt behandeln. der grund ist ihre auf meist bekannte schauwerte reudzierte ästhetik mit geringer inhaltlicher tiefe und schablonenartiger figurenzeichnung, zudem trivialer bis propagandistischer ausrichtung. als symptomatisch mag dafür kim jee-woons the age of shadows gelten, den ich später hier besprechen werde.