Schlagwort: thriller

  • na hong-jin – the yellow sea

    na hong-jin – the yellow sea

    ein intermezzo mit anmerkungen zu ein paar enttäuschungen. na hong-jin hatte 2008 mit seinem düster-beklemmenden thriller the chaser äußerst skeptisch auf südkoreas staatliche ordnungsmächte geblickt. im zwei jahre später folgenden the yellow sea brachte er die beiden hauptdarsteller ha jung-woo und kim yoon-seok erneut in einem thriller gemeinsam vor die kamera, diesmal in umgekehrter gut-böse-verteilung. der film schafft diesmal jedoch nicht den sprung vom genre-drama zum sozial und politisch relevanten kommentar, obwohl er dazu einige möglichkeiten bietet, sondern kippt nach der hälfte in ein ultrahartes gemetzel, das mehr interesse an den schauwerten und einer genretypischen aufdeckung von drahtziehern hat statt an den figuren und ihren kontexten.

    der sich als taxifahrer durchschlagende gu-nam lebt als choseonchok (in china lebende koreaner) in yanbian an der chinesisch-koreanischen grenze.
    er hat seit wochen von seiner zur arbeit nach korea ausgereisten frau nichts mehr gehört, das versprochene geld hat sie nicht geschickt und er befürchtet, dass sie ihn mit einem gut situierten koreaner betrogen hat. die enormen schulden für das visum seiner frau kann er ebensowenig abbauen wie sich um seine kleine tochter kümmern, die von der oma großgezogen wird. der bestens vernetzte kriminelle myun bietet ihm an, seine schulden zu bezahlen, wenn er in seoul für ihn einen mann tötet. gu-nam willigt zögernd ein und begibt sich auf die gefährliche überfahrt nach seoul. hier versucht er sowohl das zukünftige opfer auszuspähen als auch seiner verschwundenen frau auf die spur zu kommen. er findet ihre wohnung verlassen vor, sie scheint opfer eines verbrechens geworden zu sein und ihr vermeintlicher tod raubt gu-nam jeden lebensmut. unerwartet tauchen am tag des geplanten mordes andere männer mit dem gleichen ziel auf, gu-nam gerät unverschuldet unter tatverdacht, sein status als illegaler lässt ihm keine andere wahl als zu flüchten und womöglich herauszufinden, was denn eigentlich wirklich geschehen ist.

    an dieser stelle kippt der film in eine verfolgungsjagd mit extrem blutigen kampfszenen, die thriller-genre in reinform sind, doch mehr als das eben auch nicht. es ist letztlich völlig irrelevant, von wem der mord nun noch alles in auftrag gegeben und durchgeführt wurde – es ist ein upperclass-eifersuchtsmotiv – der film konzentriert sich auf die hetzjagd verschiedener figuren auf gu-nam, der sich neben der polizei auch myun anschließt, der in seoul als einer der letzten schleuser für choseonchok fungiert, außerdem kommt noch der busunternehmer tae-won mit diversen handlangern hinzu, der seinen ermordeten partner rächen will bzw selbst ein motiv für dessen ermordung hat und so myun permanent in die quere kommt. die blutigen kämpfe mit messern und äxten – ein fröhlicher gruß an oldboy – sind beeindruckend choreografiert und absolut entsetzlich, es stellt sich aber die frage, was diese schlachtszenen in der großstadt außer ihre brutalität noch aussagen. ein ähnliches gemetzel zeigt 6 jahre nach the yellow sea allerdings mit narrativer kohärenz asura, das eben jene umbarmherzige blutorgien zum thema hat, um sowohl mythologische als auch politische erzählungen zu verknüpfen und rohes politisches geschäft, korruption, bandenkriminalität und tief empfundenes misstrauen in die politische kultur abzubilden. the yellow sea aber ist fatalistisch aus reiner pose, den genre-regeln folgend, ohne eine zusätzliche erzählebene: die vom auftragsmord in gang gesetzte gewaltspirale führt folgerichtig zu ihrem unausweichlichen ende, vergeblich und tatsächlich sinnlos, da es sich um eine ehebruch-vendetta handelt. der soziale background von gu-nam wird damit vollständig zugunsten von „knallharter action“ aufgegeben. die schwer erträglichen bilder der überfahrt im schiffsbauch, die organisation der schleuser, der rechtliche status von gu-nam und ebenso seiner frau könnten anlass für ein kriminaldrama sein, das sich den belangen der choseonchok widmen würde, doch das hat the yellow sea nicht im sinn. der film verweilt bei messerstechereien und selbst das fsk18-label bewahrte ihn nicht vor signifikanten kürzungen für den deutschen markt. die ausstrahlung anfang juli 2020 bei kabel 1 (wdh am 9.8.) sah den film um über 15min zur originalfassung gekürzt, und bereits nach seiner premiere in cannes wurde im guardian angemerkt, dass der geschichte des films nichts durch deutliche kürzungen der kampfsequenzen genommen würde.

    so bleibt the yellow sea letztlich nur ein zwar handwerklich gekonnter und spannender, gleichwohl bedeutungsloser film voll monotoner beinharter männlichkeit und einem üblen kampf um ehre und dergleichen; die traurige geschichte von gu-nam, der in all dem chaos seinen lebensmut verliert, geht darin ziemlich unter wie die bei der illegalen überfahrt gestorbenen im chinesisch-koreanischen gelben meer. gu-nams frau übrigens, wie könnte es anders sein, hat davon in ihrer bahnreise zurück zur tochter nach china nichts mitbekommen.

    na hong-jin: the yellow sea. südkorea 2010. 137min. fsk 18.

  • yishai sarid – limassol

    yishai sarid – limassol

    im vergangenen frühjahr war monster von yishai sarid eines der herausragenden bücher, die erzählung eines orientierungslosen israeli, der in yad vashem zum holocaustforscher, nachfolgend begehrter reiseleiter durch konzentrationslager und davon immer mehr überfordert wird. das monster erinnerung und das monster mensch in einem soghaften monolog. mit seinem zweiten roman limassol wurde der autor 2009 international bekannt. in der rückschau wirkt dieser text aber, ganz anders als zu seinem erscheinen, wie ein durchschnittlicher beitrag zum geheimdienstthriller-genre.

    es geht um genau das, was als klappentext auf dem rücktitel des buches steht:

    Ein israelischer Geheimdienstler soll mithilfe der attraktiven Schriftstellerin Daphna einen Terrorverdächtigen aufspüren. Doch je tiefer er ins Geschehen eintaucht, desto mehr gerät sein Weltbild ins Wanken. In Limassol auf Zypern muss er schließlich entscheiden: Kann er an seinem Auftrag festhalten, oder wechselt er die Seiten?

    selbstverständlich ist der suspense, bezogen auf die frage, sehr gering. und was noch wichtiger ist: diese handlungsebene ist für den roman selbst vergleichsweise bedeutungslos. es ist der teil des buches, der zum genre gehört und an dem man die genreregeln sehr gut studieren kann: spannung im text entsteht vor allem deshalb, da der geheimdienstler gegenüber der daphna und damit auch dem leser nicht mit offenen karten spielen kann. wüssten wir von anfang an seinen auftrag, wäre das genre hinfällig. daphna, um den plot dennoch zu erzählen, dient als kontaktmöglichkeit zu einem todkranken palästinenser, einem befreundeten autor, der nach israel gebracht werden soll zur behandlung, um so an dessen sohn zu kommen, der als einer der hauptakteure im antiisraelischen terrornetzwerk gilt. interessanterweise ist der abfall vom glauben des aus der perspektive des geheimdienstmitarbeiters erzählten romans nicht grundsätzlichen erkenntnissen geschuldet, sondern vorrangig der tatsache, dass die operation auf limassol wesentlich von den amerikanern bestimmt und vorbereitet wurde, was ihn in seiner selbstbestimmung kränkt.

    wesentlich interessanter als diese etwas vorhersehbare secret-service-story ist die figur des namenlosen erzählers: dieser ist so sehr mit seiner arbeit und berufsmäßigen paranoia verwachsen, dass er ein normal bürgerliches familienleben nicht mehr realisieren kann, überall mögliche bedrohungen vermutet und aus wut über einen nicht gefassten selbstmordattentäter dessen bruder brutal tötet. der erzähler ist ein sehr genretypischer, desillusionierter, überambitionierter, intelligent-naiver verlierer, ihm entgleitet sein leben ebenso wie seine arbeit. seine frau verlässt ihn recht früh im roman und nimmt den kleinen sohn, den er eigentlich liebt, aber sich viel zu selten zeit für ihn nimmt, mit nach amerika. für den totschlag im folterkeller der zentrale wird er vorübergehend suspendiert. der erzähler ist das signum einer unter ständiger bedrohung und angriffen lebender und westliche standards aufrecht erhaltender gesellschaft, eine erholungspause ist unter diesen bedingungen selbst im abgelegendsten wellness-hotel nicht möglich.

    konterkariert wird dieser abgehetzte und letztlich gescheiterte erzähler von der schriftstellerin daphna und ihrem ehemaligen liebhaber und autor hani. sie haben eine ihm unbegreifliche eleganz und würde bewahrt, was auf ihn äußerst attraktiv wirkt. dass sich daraus sogar eine liebesbeziehung mit daphna entwickelt, gehört zu den unglaubwürdigen film-noir-elementen des romans, denn daphna mag den erzähler zwar auch ein bisschen, aber hauptsächlich blickt sie spöttisch auf ihn herab. hani wiederum hat krebs im endstadium und verblüfft den erzähler vor allem damit, nicht seinem bild des zornigen, gewaltbereiten und antiisraelischen palästinensers zu entsprechen.

    „Kaum zu glauben, dass Sie uns nicht hassen“, sagte ich. […] „Warum sollte ich Sie hassen?“ Hani lachte und drehte mir von unten sein Gesicht zu. „Ich kann nicht hassen. Vielleicht bin ich kein richtiger Mann. Rachegelüste sind mir fremd. Unter euch gibt es etliche Missetäter, doch für einen Menschen wie Daphna würde ich mein Leben lassen.“

    dies ist im grunde alles, was in limassol über den sog. nahost-konflikt zu erfahren ist, und das ist auch absolut in ordnung, denn beileibe nicht jedes buch von israelischen autor*innen muss nach seinem beitrag zu israel-palästina abgeklopft werden. zumal sarid seinen thriller nur strukturell angelegt hat, tatsächlich sich viel mehr für das moralische dilemma seiner hauptfigur interessiert, einen jungen araber so zu misshandeln, dass dieser stirbt, gleichzeitig eine persönliche nähe zu hani und daphna nur vorzuspielen bzw aufgrund eben dieser nähe den sohn hanis zu retten. dieses motiv dominiert letztlich den roman, der dadurch auch das genre thriller verlässt: den sohn retten.

    bzw genauer: den fremden sohn retten. den eigenen sohn konnte der erzähler schließlich nicht bei sich halten. also rettet er letztlich hanis sohn vor der erschießung, und – wesentlich breiter erzählt – den drogenabhängigen gemeinsamen sohn von daphna und hani, der fern von der mutter in einer heruntergekommenen hütte am strand wohnt und den daphna wieder bei sich haben möchte. diese eigentümliche rettungsaktionen sind allerdings im roman sehr schwach motiviert und daher wenig plausibel, gen ende gleitet der roman in ein entzugsszenario in daphnas wohnung ab, das einem nur noch behaupteten familienidyll gefährlich nahe kommt. das motiv der geretteten fremden söhne soll vermutlich im privaten das kompensieren, was ihm beruflich für ganz israel nicht gelungen ist und scheint schuldhaft zum verlust der eigenen familie zu stehen – allerdings sind die motive zu wenig ausgearbeitet und die pathetische familienmetapher drängt sich etwas schief in den text. der roman verliert an spannung und tempo in dem moment, in dem daphnas sohn in die handlung aufgenommen wird und der erzähler versucht, seine verloren gegangene vaterrolle auszufüllen.

    so entstehen zwei gegensätzliche romane, die des geheimdienstlers im klassischen genre-outfit, und die des gescheiterten vaters, der eine neue familie findet, ein bürgerlicher stoff, der sich seltsamerweise mit dem agentenkrimi nicht besonders gut versteht und der sich besonders in der zweiten hälfte als ein eher farbloser thriller liest, von dem heute, 10 jahre nach seinem erscheinen, nicht mehr allzu viele spuren im gedächtnis bleiben.

    yishai sarid: limassol. aus dem hebräischen von helene seidler. kein und aber, 206 s, 16,90€.