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  • barbenheimer

    barbenheimer

    barbenheimer bezeichnet das phänomen der zeitgleich gestarteten filme barbie von greta gerwig und oppenheimer von christopher nolan vor einem monat. um beide filme entstand gleichzeitig ein enormer hype und erfolg, der so nicht vorzusehen war. insbesondere die vollständige gegensätzlichkeit der beiden filme scheint zu einer lust am widersprüchlichen geführt zu haben, denn konträrer in thematik, gestaltung und tonart könnten zwei filme zur gleichen zeit kaum sein: hier ein überzuckert-flippiger film mit franchise-absicht über ein weltbekanntes spielzeug mit durchaus unterkomplexer feministischer botschaft, dort ein extrem verlangsamtes epos über einen widersprüchlichen wissenschaftler in verschachtelter erzählweise. mehr gegensatz ist im amerikanischen blockbuster wohl unmöglich.

    und doch sind sie eindeutig amerikanische filme über rein us-amerikanische themen. so unterschiedlich die filme sind, so sehr haben sie den gleichen kern: den mythos amerika weitererzählen, mit allen mitteln. greta gerwigs barbie versucht, die als anti-feministische ikone bekannte und verachtete spielzeugpuppe aus dem hause mattel irgendwie für eine doch sinnvolle feministische erzählung neu zu deuten, indem sie die puppe mit der realen welt des patriarchats kollidieren und von drei frauen-generationen – der alten barbie-erfinderin ruth handler, einer desillusionierten frau und mutter und ehemalige barbie-besitzerin in ihren 40ern sowie deren pubertierender tochter und barbie-hasserin – mit feministischer lehre aufladen lässt. christopher nolans in zwei zeitebenen spielender film erzählt anhand der person oppenheimers, der mit enormem aufwand die erste funktionsfähige atombombe entwickelte, die moralische unverlässlichkeit der politischen usa. denn so sehr oppenheimer auch gefördert wird mit hilfe des verteidigungsministeriums, als erste die kaum zu kontrollierende bombe zu haben, während des zweiten weltkrieges und gegen die ebenfalls an der bombe arbeitenden nazis, so sehr wird ihm nach dem krieg und den ersten beiden bombenabwürfen letztlich der prozess wegen verrats gemacht. nolan erzählt zugleich sowohl die faszination an der bombe an sich als auch die politische doppelmoral aus schmutzigen motiven – in einer auf 3 stunden gedehnten ewigkeit.

    barbie bezieht seinen unterhaltungswert aus dem bubblegum-cinema mit hohem tempo und bunten tanzeinlagen, bedient sich dabei eines holzhammer-feminismus mit vorgeführten, bodenlos dummen männergestalten und einer margot robbie als barbie, die wie keine andere schauspielerin derzeit künstliche figuren verkörpern kann – von harley quinn zu barbie ist es nicht weit -, die feministischen themen wirken aber an ihr wie eine weitere kostümierung. hinzu kommt, dass der culture clash von barbie-welt und realer welt nicht mehr offenbart, als dass auch die realen menschen bzw vor allem die männer eigentlich so hohl wie puppen sind. kein wunder, dass die patriarchale welt den heimlich bei barbie mitgereisten ken auf saudumme gedanken bringt und barbie zu tränen rührt, weil sie von der pubertierenden göre als faschistin bzeichnet wurde und an der bushaltestelle eine alte frau gesehen hat. (in beiden szenen verlässt der film ungewollt die figur der barbie und nimmt die perspektive der zuschauerinnen ein: woher weiß barbie, was eine faschistin ist, die in ihrer welt nicht existiert? warum sagt sie der alten frau, dass sie schön ist, obwohl sie falten und zellulitis fürchtet wie die pest und eine gealterte barbie ebenfalls nicht existiert? solche unreflektierten brüche in der figurenzeichnung fallen in all dem bunten treiben schon gar nicht mehr ins gewicht.) der film erzählt somit nur den kulturkampf frauen vs männer und einen feminismus von vor langer zeit, zudem auf materieller ebene: spiel mit barbie, doch spiel mit ihr richtig – aber um himmels willen nicht mit einem anderen spielzeug! das kann man lustig finden oder nervig, barbie ist im wesentlichen eine intellektuelle unterforderung: die frau-werdung von barbie initiiert sich darin, dass sie am schluss – als könnte es nichts schöneres für eine frau geben! – endlich auch zu einem gynäkologen gehen kann. uff.

    christopher nolans oppenheimer ist erwartbar komplexer und anspruchsvoller, und doch ist es wieder nur ein typischer nolan-film, der sich selbst sehr gern reden hört, perfekte bilder zelebriert – und wie in jedem guten nolan-film mit einem groß gefilmten countdown aufwartet: es macht die bombe 3 – 2 – 1 – bumm. oppenheimer geht den langen weg des überdehnten epos und zeigt geballte männlichkeit, die frauenfiguren sind randerscheinungen, es gibt nur männer in opulenten und an sich selbst berauschten bildern. die figur oppenheimer wird wie in der buchvorlage mit dem zivilisationsbringer prometheus überhöht, die grenzüberschreitung des feuerbringens ist hier mit der zerstörungskraft der atombombe parallel gesetzt. die manie nolans, einen realistischen film zu schaffen, konterkariert er immer wieder mit aussagen der figuren, die um ihre deutung der nachgeborenen wissen. „…weil es hier um das verdammt nochmal wichtigste ereignis in der weltgeschichte geht“ sagt matt demons lieutenant general leslie groves einmal und der satz wirkt komplett ahistorisch und deplatziert, wie andere ähnliche bemerkungen, die auf die interpretation der geschehnisse verweisen. selbstverständlich war den am manhattan project beteiligten klar, was sie taten, aber nicht im sinne der welthistorischen nachbedeutung, sondern in erster linie, um einer atombombe der nazis zuvor zu kommen. die deutung und bedeutung wurde auch einem oppenheimer erst nach den abwürfen über hiroshima und nagasaki klar, zuvor hatte er hingegen die befürchtung, mit der bombe augenblicklich in einer kettenreaktion die gesamte atmosphäre zu verbrennen. nolan arbeitet mit solchen ahistorischen verschiebungen seinem eigenen realismus-fetisch zuwider, bei dem alles so „echt“ und „wahr“ wie nur möglich aussehen und das fiktive zum verschwinden bringen soll. es ist ein grotesker irrtum in dieser überlangen biografie, die hauptsächlich den weg bis zum erfolgreichen bombenbau sowie den späteren verratsprozess der mccarthy-ära erzählt, den restlichen lebensweg hingegen ausblendet. nolans arbeitsweise wie filmschaffender irrtum ist der extreme hang zu einem hyperrealismus, der in oppenheimer zum spleen wird: jede kulisse ist eine exakte kopie des originals, die bombenexplosion soll echter als echt aussehen und alles soll vor allem beeindrucken – dabei war nolan schon einmal bedeutend weiter:

    was im fantastischen genre des comicfilms mit der dark knight trilogie herausragend funktionierte, eben weil es KEIN realistisches kino war, sondern die comic-fiktion mit der kino-fiktion kombinierte, wie ein realer bruce wayne / batman heute aussehen könnte: es entstand ideale cineastische illusion, weil die filme räume öffneten für das imaginäre – es ist außergewöhnliches kino. jedoch ist eine filmische biografie über eine reale persönlichkeit trotz aller realistischer engführung immer auch fiktion, eben weil es eine erzählung ist, die seine gestalterischen und wertenden elemente nie wird leugnen können, warum sollte sie auch. nolan aber versucht genau das in seinem hyperrealismus zu ignorieren, obwohl er sich auf der filmischen ebene genau dieser fiktionalisierenden mittel – farbe vs s/w – interpretierend bedient. die frage ist also: wozu dieser allzu eifrige realismus, als „echtheit“ missverstanden? nolans kino möchte das handwerkliche betonen gegenüber dem beliebig computergenerierten bild und so einen moralischen mehrwert der erzählung hinzufügen. das ist einerseits sympathisch, andererseits aber ebenso eitel, da nolans ästhetik die der perfektion ist, es soll echt, wahr und sauber sein (umso verwunderlicher die schnittfehler im finalen gespräch oppenheimer-einstein). nolan schafft dabei andächtige und perfekte Bilder, die nach fotografien von oppenheimer komponiert sind, und doch bleibt es eine absurd künstliche wirklichkeit, so wie auch die stadt los alamos in der wüste new mexicos nichts als ein künstliches gebilde war. nolan aber versucht sie fotorealistisch nachzubilden: es ist diese art der beeindruckung durch makellose oberfläche, die in den vergangenen nolan-filmen stets zu verfolgen war. das bild triumphiert über seinen inhalt.

    Barbie verfolgt den exakt gegensätzlichen Ansatz: offensive Fiktionalisierung und ausgestellte Imagination. So gelingt Greta Gerwig in der ersten halben Stunde ein tatsächlich aufregendes Kinoereignis, weil hier alles vollkommen künstlich ist, und doch sind die Puppenfiguren wie im Imaginationsraum eines spielenden Kindes lebendig und agil. Barbie duscht zB mit Duschgeräuschen aber ohne Wasser – und auch ihr Erschrecken darüber, dass eben dieses inexistente fiktive Wasser plötzlich eiskalt ist, ist absolut glaubwürdig. Nolans Oppenheimer hingegen ist gerade aufgrund des hyperrealistischen Ansatzes oft genug nicht glaubwürdig, weil immer wieder das interpretierende Medium Film das behauptete „Echte“ und „so war es wirklich“ durchstreicht. Nolans Film ist sich seiner Künstlichkeit oftmals erstaunlich wenig bewusst, etwa wenn „Wissenschaft“ gezeigt wird: Ein „echter“ Physiker wie Oppenheimer hat an einer Tafel zu stehen und in hoher Geschwindigkeit unbegeifliche Formeln an diese zu schreiben. Oder: Oppenheimer ist Wissenschaftler bis zur Nerdigkeit, also übersetzt er sogar beim Sex noch für die Geliebte Texte aus dem Sanskrit. Und ein böser Charakter wie Robert Downey Jr.s Lewis Strauss neigt von Anfang an zur Besserwisserei und ist so a priori unsympathisch, also zu keinem Zeitpunkt mögliche Identifikationsfigur. Von solcherlei stereotypen, bis zur Lächerlichkeit bekannten Bildern ist der Film voll, und natürlich ist es dem unantastbaren Wissenschaftsidol Einstein vorbehalten, das alles erklärende Schlusswort zu halten. Es sind einfache und wenig herausfordernde Bildwelten in einem Film, der sich selbst einmal mehr verliebt beim Dozieren über Wissenschaft zuhört, und das mit Realismus verwechselt.

    Barbie, interessanterweise, scheitert filmisch aber ebenso an Fiktion und Realität, denn in dem Moment, wo Barbie und Ken in der „realen Welt“ erscheinen und später „echte“ Menschen in Barbies Spielzeugwelt, in diesem Moment verliert der Film sein hyper-unrealistisches Konzept des Puppen-Spiels und kippt ins Belehrende und Beliebige und ebenso Unglaubwürdige. Er findet für die hochmoralische feministische Erzählung keine kohärente Filmsprache mehr außer einer überbetonten pädagogischen Albernheit, die so tiefschürfend ist wie ein Popsong, von denen es bezeichnenderweise gleich mehrere inklusive ihrer Music-TV-Videos in voller Länge gibt.

    Dort, wo Barbie eifrig belehrend wird, wird Oppenheimer trivial und selbstverliebt – und vor allem langweilig. Beide Filme finden keinen Rhythmus und formulieren ihre moralisierenden Aussagen – das Patriarchat ist Scheiße bzw die Atombombe war ne miese Idee – in sehr unsubtilen Bildern. Es ist dann eben doch Hollywood, das seinen Zuschauern stets alles erklärt, was auf der Leinwand zu sehen ist. Und es tut mir wirklich leid, aber mich ödet Nolans Kino inzwischen maximal an. Greta Gerwig hat wenigstens für selbstverliebte Langeweile schlicht viel zu viel Humor. Barbenheimer bleibt aber vor allem deshalb interessant, weil es ein Sommer-Ereignis war und darüberhinaus wenig bedeutsam.

    Nachtrag 26.8.23: angesichts der unglaublichen Ereignisse seit dem sexuellen Übergriff des spanischen Verbandspräsidenten Rubiales gegenüber der frisch gekürten Fußball-Weltmeisterin Jenni Hermoso – Rubiales‘ trotzige, uneinsichtige Nicht-Entschuldigung, der enormen nationalen und internationalen Solidarisierung mit Hermoso bis zum umfangreichen Boykott der Nationalmannschaft, der angekündigten unfassbaren Klage gegen Hermoso und der Suspendierung von Rubiales durch die FIFA – zeigt sich das Patriarchat keineswegs lustig oder voller geistig minderbegabter Deppen sondern maximal autoritär und aggressiv: die sich wehrende Frau soll bestraft werden, nicht der übergriffige und komplett uneinsichtige Mann. So hätte die Geschichte von Barbie und Ken auch aussehen können, vllt sogar müssen…. #feminism

  • christopher nolan – tenet

    christopher nolan – tenet

    es ist über einen monat her seit der letzten besprechung, dazwischen lagen für mich ereignisreiche intensive anstregende kraftzehrende tage – doch jetzt möchte ich die gesponnenen fäden des kinos und der literatur wieder aufnehmen: an gänzlich unerwarteter stelle, nämlich beim amerikanischen blockbusterfilm tenet von christopher nolan, von dem sich nicht weniger als die von corona pausierte, streamdienstkonzentrierte saalverlassene wiederauferstehung des kinos als erlebnis versprochen wird, denn tenet startet ausschließlich in den sälen und nicht im internet. doch es ist die wiederkehr eines typus, der eigentlich mit avengers endgame sein finale erreicht hatte: des überwältigungsfilms.

    der namenlose amerikanische protagonist ist darauf angesetzt, undercover einen gegenstand bei einer russischen geheimoperation in der vollbesetzten kiewer oper (ja ganz genau so) zu bergen. während er glaubt, dass im gegenstand plutonium sei, stellt sich heraus, dass es was anderes ist und mit der seltsamen munition zu tun hat, die ihm rückwärts um die ohren flog. eine wissenschaftlerin erklärt ihm wortreich paradox, dass es in der zukunft gelungen ist, für dinge und menschen den zeitlauf umzukehren, sie können sich also rückwärts durch die zeit bewegen – man nennt das inversion. die spur führt über eine waffenhändlerin in indien zu einem russen auf einem boot vor sizilien und vor allem dessen frau, an die heranzukommen es instruktionen eines engländers benötigt. die frau wiederum ist kunstexpertin und hat durch einen fehler den groll ihres mannes erregt, mit dem sie eine fürchterliche beziehung führt und der sie erpresst. über die stationen oslo und tallin finden der protagonist und ein freundlicher begleiter schließlich schlüsselobjekte zu einem gerät zur inversion bzw dem „algorithmus“ und damit die weltvernichtung, denn wenn man durch ein inversionsportal geht – es gibt deren sogar drei – und dann in rückwärtiger richtung sein vorwärtsgehendes ich berührt, negiert bzw zerstört man sich. diese zerstörungskraft wird im film daher auch mit der atombombe verglichen. um schließlich den algorithmus zu zerstören, braucht es eine komplexe militärische operation in der russischen geheimstadt, aus der der böse russe stammt, und mit hohem aufwand gelingt sowohl dies als auch die selbstbefreiung seiner frau von ihm.

    worum also geht es: um zeitreisen, um eine handvoll personen aus dem agentenfilm-arsenal, um technisch hochwertige bilder, um sehr laute musik und inhaltlich um nichts geringeres als die rettung der welt, denn nolans auftrag ist ja auch die rettungs des kinos. genauer: es geht um die rettung der heutigen welt vor der finalen zerstörung, einer nicht in sondern aus der zukunft drohenden zerstörung. so jedenfalls lautet die im film mehrmals wiederholte sci-fi-gefahr, die es von den guten figuren abzuwenden, von den bösen heraufzubeschwören gilt. um die drohung irgendwie zu motivieren, soll eine minimale äußerung des bösewichts gen ende genügen, sie unterstellt der finsteren absicht eine vielleicht verständliche nachvollziehbare wut der zukünftigen auf die heutigen, durch umwelt- und politisch-ökonomische katastrophen den planeten unbewohnbar hinterlassen zu haben, mittels tabula rasa neue möglichkeiten schaffen zu wollen. so in etwa. der hauptbösewicht in der gegenwart hat zudem noch seine eigene missgunst als antrieb, den zukünftigen zu helfen, wo auch immer er die her hat. von der begründung des wutmotivs sehen wir im film nichts, die zerstörung der heutigen erde referiert allein auf ein allgemeines draußen vor den kinosälen, in den nachrichten, man weiß ja wovon die rede ist. während der bekannteste angriff aus der zukunft – terminator – immer auch bildmotive aufruft, die das kampfgeschehen mit der vorausgegangenen, zukünftigen katastrophe kurzschließen, bleibt tenet ganz in der gegenwart seiner protagonisten und damit in engem radius – die zukunft bleibt ebenso behauptung wie die anderen weitschweifenden erklärungen der figuren zum geschehen auf der leinwand – es ist kein textlastiger film, dafür einer mit großer freude am dozieren. und damit ist es ein typischer nolan-film.

    nolans filme hören sich selbst gern reden wie inception, ihr hang zur belehrenden geschwätzigkeit war bereits in der dark knight trilogie zu beobachten mit lehrsätzen und zu statuierenden exempeln an der bevölkerung. nun also ein sci-fi-action-movie, bei dem es wie in interstellar oder memento um zeit geht, die zeit als waffe. es ist DAS nolan-thema, stets ist zeit und zeitlichkeit bedrohlich, kaum ein nolan-film kommt ohne countdown und halbphilosophische tempus-betrachtungen aus. in tenet findet das thema zu sich selbst, denn es geht um zeitreisen, ein beliebtes kino-sujet hollywoods. (in avengers endgame zählt ant-man eine kleine liste von zeitreise-filmen herunter, der film ist selbst auch einer). tenet variiert das thema dahingehend, dass nicht die zeit ein raum ist, den man durchreist, sondern der lauf der zeit selbst umkehrbar ist, sich dinge und lebewesen sowohl vorwärts aus auch rückwärts in der zeit bewegen. das wird inversion genannt und sieht einfach wie ein rückwärts abgespielter film aus, technisch hochwertig umgesetzt. die grundannahme für das jamesbond-element der weltzerstörung ist das aufeinandertreffen der gleichen person in anderer zeitrichtung. interessanterweise ist auch diese extreme bedrohung bloße behauptung, gezeigt wird das im film nie. der protagonist trifft zwar auf sich selbst und kämpft gegen sich, annehmend ein feind zu sein, doch steckt das rückwärts-ich im schutzanzug wie ein raumfahrer, die umgekehrte zeit schafft feindliche atmosphäre.

    typisch ist allerdings auch seine optische brillianz, tenet sieht absolut grandios aus, stehts top gekleidete figuren, makellos komponierte und choreografierte bilder – das verhör auf dem rangierbahnhof mit den symmetrisch vorbeifahrenden zügen exakt zu timen, dass auf keinen fall peinliche schnittfehler offensichtlich sind, die verfolgungsjagd mit ihren sich atypisch bewegenden autos – die unendliche welt des cgi in kombination mit klassischem filmmaking ist eines von nolans markenzeichen, eine auch in tenet beeindruckend gelungene melange. dass man seinen filmen spätestens seit the dark knight (der sich überschlagende truck) immer auch das streberhafte bemühen ansieht, im neuen film noch mehr zu beeindrucken durch noch mehr optischen bombast und feinschliff gleichermaßen und sich somit in immer gefährlichere nähe zum reinen feuerwerksspektakel ohne sinnvollen inhalt zu bringen, belegt nolan mit tenet einmal mehr. trotz aller bilderflut bleibt es ein rein visuelles, oberflächliches vergnügen, bei dem die figuren trotz aller theoretischen aufwendungen und physikalischen exkurse – ob die dann korrekt sind, soll nicht interessieren – einfach nicht durchdringen, nicht sichtbar werden. der protagonist ist ein durchtrainierter killer, den wir als gut erfahren, weil er sowohl die welt als auch die weiße frau rettet, die böse indische waffenhändlerin aber eiskalt töten darf. der finstere russe ist deshalb böse, weil er ein finsterer russe ist. und der showdown ist eine shooter-games sequenz mit vielen gesichtslosen feinden. warum und wie diese in einer lebensfeindlichen wüste leben – egal, draufhalten und losballern. der namenlose protagonist befindet sich im wesentlichen auf einer bewegung von station zu station, die er nach und nach abschreitet, manche zweimal, erst vorwärts dann rückwärts, um im showdown wie im endlevel eines 1990er pc-games zu bestehen. figurenentwicklung ist in tenet nicht vorgesehen.

    so ist tenet wie schon inception ein film mit allerhand versatzstücken aus diversen genres und hat auch keine vorbehalte, sich mcguffins zu bedienen: jage einem ding hinterher, das reicht als handlungsbegründung. tenet möchte in erster linie beeindrucken, und ist in zweiter linie eine erneut grandiose bastelarbeit aus der technik-ag bis zur selbstpersiflage. davon abgesehen ist der film sehr aufwändig leer. die anfängliche begeisterung über die kinorettung und rückgewinnung von normalität schlug, nachdem der aufgewirbelte staub sich gelegt hatte, doch bald in nüchternheit angesichts hollywoodesker effekte in überlänge und unterkomplexer, abstrakter figuren um: hollywood kann nicht mehr erzählen.

    christopher nolan: tenet. usa 2020. 150min.

  • der erfolg

    der erfolg

    es lagen gerade einmal 9 tage zwischen dem auch im thüringer landtag begangenen gedenktag der opfer des nationalsozialismus und der wahl eines bis dahin bedeutungslosen fdp-karrieristen mithilfe von faschisten zum ministerpräsidenten thüringens. die reaktionen auf diesen politischen zivilisationsbruch bezeugen die fassungslosigkeit in weiten teilen der gesellschaft über diesen unverzeihlichen vorgang – und ebenso die erzreaktionäre freude dass alles besser sei als eine linke regierung. bodo ramelow brachte den zusammenhang mit einem inzwischen gelöschten tweet auf den punkt: mit zwei fotos und einem zitat adolf hitlers, dessen nsdap durch eine ganz ähnliche wahl zur entscheidenden politischen kraft aufstieg, vor 90 jahren, in thüringen. ( die erwartbare empörung über diesen hindenburg-vergleich mit kemmerich hielt sich bei einem ähnlichen tweet des europäischen liberalen guy verhofstadt, der seine abscheu der kemmerichwahl gegenüber ausdrückte, naturgemäß in grenzen. )

    der tabubruch dieser wahl – der liberal-konservative pakt mit völkisch-nationalen faschisten – ist offenkundig lange vorbereitet worden, sowohl in thüringen selbst, als auch deutlich früher. karl-eckhard hahn, u.a. leiter des wissenschaftlichen dienstes der cdu-fraktion im thüringer landtag, fantasierte im the european wenige tage vor der wahl über genau jenes szenario

    Doch was ist, wenn eine Regierung mit Stimmen von AfD-Abgeordneten ins Amt kommt? Die Frage ist durch die Ankündigung der FDP Thüringen, über einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag nachzudenken, wieder virulent geworden. […] Ein solcher Ministerpräsident hätte keine geringere demokratische Legitimation als ein Ministerpräsident Bodo Ramelow auch.

    hahn steht weit im rechten lager der cdu, die benannte position ist konsens im rechtsnationalen verein werteunion für dessen vorstandsvorsitzenden alexander mitsch alles besser ist als ein linker ministerpräsident – also auch eine regierung, die von einem nazi gewählt wurde, wie der thüringer cdu-vorsitzende mohring noch vor der landtagswahl bernd (!) höcke betitelte. noch einmal: für teile der konservativen partei ist die strategische zusammenarbeit mit nazis besser als eine linksbürgerliche regierung : dies ist der eigentliche zivilisationsbruch – die wahl kemmerichs war kein ergebnis politischer naivität, wie es manche fdp-politiker darstellen möchten, sondern ganz offenkundig vorbereitet und bewusst durchgeführt. und nicht nur in thüringen : die gedankenspiele einer zusammenarbeit mit der afd sind im vergangenen sommer vom cdu-vorsitzenden in sachsen-anhalt ulrich thomas ganz offen geäußert worden – mit folgenden worten:

    Es muss wieder gelingen, das Nationale mit dem Sozialen zu versöhnen.

    da kann die cdu noch so oft beschlüsse fassen – das gift des erfolges ist schon längst injiziert

    erfolg : versöhnung von nationalem und sozialem, nation und bürgertum, staat und kapital. alles ist besser als linke politik. auch die vogelschiss-relativierung der deutschen verbrechen 1933-45 (gauland) und denkmal-der-schande-verunglimpfung des gedenkens an die opfer der systematischen ermordung der europäischen juden (höcke). das alles ist besser als linke bzw als links imaginierte politik. dies ist politische linie der werteunion, mag sich die cdu noch so sehr von ihr abgrenzen wollen, es ist auch politische linie darüberhinaus, hahn und thomas gehören der werteunion nicht an.

    die wahl kemmerichs zum ministerpräsident wird also nicht die letzte wahl einer regierung mit afd-beteiligung gewesen sein, sofern cdu und fdp und konservative medien ihr verhältnis zur linkspartei nicht versachlichen. was nicht geschehen wird – die angst vor dem gespenst des kommunismus ist nach wie vor derart übermächtig, dass man lieber den erfolg mit faschisten und nazis sucht als sich zu therapieren.

    wie erfolgreich eine konservativ-nationalistische symbiose gegen das gespenst des kommunismus sein kann, hat 1930 lion feuchtwanger in seinem vermutlich besten zeitgeschichtlichen roman erfolg beschrieben. dieser spielt in münchen und beschreibt in seinem sittengemälde des landes bayern u.a. den aufhaltsamen aufstieg der wahrhaft deutschen von rupert kutzner : der roman […]

    […] betont besonders, wie die breite Bevölkerung Kutzner unterstützt, wie aber auch die konservativen Kräfte in Bayern die Kutzner-Bewegung benutzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, womit sie aber erst Kutzners Aufstieg ermöglichen.

    genau dies ist die aktuelle situation in thüringen – das willfährige paktieren mit den höcke-faschisten aus egoistischem machtinteresse, woraus der aufstieg der afd zur entscheidenden politischen kraft wesentlich befördert wird, eine partei, die sich seit ihrer gründung und fortschreitenden radikalisierung nie glaubhaft von militanten nazis distanzierte, völkisches und rassistisches und antisemitisches denken förderte, ebenso aggression gegen kritiker*innen der eigenen positionen, und verachtung gegenüber der liberalen demokratie. diese förderung des aufstiegs einer rassistischen völkisch-nationalistischen antidemokratischen partei durch die kemmerich-wahl ist offenkundig noch lange in der cdu nicht verstanden worden.

    das kommunistische gespenst treibt seit seiner ersten sichtung wirtschaftsliberale und konservative politiker zu höchstleistungen auf dem antidemokratischen sektor. die wesentlichen grundzüge amerikanischer politik sind von der abwehr des kommunistischen gespenstes geprägt : die militärischen hilfen nationalistischer und faschistischer regierungen in mittel- und südamerika gegen die kommunistischen guerilleros sind dafür wohl der grausamste beleg.

    gespenster gehören zu paranormalen phänomenen und damit zu denen der einbildung und imaginierung ergo sinnestäuschung. dennoch führen imaginierungen, insbesondere solche aus angst, zu sehr realen handlungen. ein geradezu perfektes imago eines kommunistischen gespenstes hat – sehr zu vermuten wohl unfreiwillig – christopher nolan in the dark knight rises mit der figur bane erschaffen. er tritt als im tatsächlichen untergrund organisierender in der masse unsichtbarer guerilla-kämpfer maoistischer prägung in erscheinung, okkupiert mit der börse das heiligtum des kapitals, bringt mit einer atombombe ( natürlich von einem russischen wissenschaftler gebaut ! ) die gotham-welt in seine gewalt, organisiert schauprozesse stalinscher art und ist dabei selbst nur wegbereiter einer besseren zukünftigen gesellschaft. bane ist das imago einer westlichen kapitalistischen bürgergesellschaft, das fleischgewordene gespenst der kommunistischen partei, wie es seit 150 jahren durch die westlichen kapitalistischen hirne spukt und diese – angstgetrieben – zu grotesken skrupellosen antisozialen handlungen treibt.

    wie wirkmächtig irreale angstbilder sind, ist anhand der kemmerich-wahl erneut zu beobachten gewesen. armselige, dummdreiste, skrupellose politiker lassen sich lieber von rassisten menschenverächtern antidemokraten wählen als anzuerkennen, dass eine linke regierung tatsächlich überhaupt kein problem darstellt.