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  • yishai sarid – limassol

    yishai sarid – limassol

    im vergangenen frühjahr war monster von yishai sarid eines der herausragenden bücher, die erzählung eines orientierungslosen israeli, der in yad vashem zum holocaustforscher, nachfolgend begehrter reiseleiter durch konzentrationslager und davon immer mehr überfordert wird. das monster erinnerung und das monster mensch in einem soghaften monolog. mit seinem zweiten roman limassol wurde der autor 2009 international bekannt. in der rückschau wirkt dieser text aber, ganz anders als zu seinem erscheinen, wie ein durchschnittlicher beitrag zum geheimdienstthriller-genre.

    es geht um genau das, was als klappentext auf dem rücktitel des buches steht:

    Ein israelischer Geheimdienstler soll mithilfe der attraktiven Schriftstellerin Daphna einen Terrorverdächtigen aufspüren. Doch je tiefer er ins Geschehen eintaucht, desto mehr gerät sein Weltbild ins Wanken. In Limassol auf Zypern muss er schließlich entscheiden: Kann er an seinem Auftrag festhalten, oder wechselt er die Seiten?

    selbstverständlich ist der suspense, bezogen auf die frage, sehr gering. und was noch wichtiger ist: diese handlungsebene ist für den roman selbst vergleichsweise bedeutungslos. es ist der teil des buches, der zum genre gehört und an dem man die genreregeln sehr gut studieren kann: spannung im text entsteht vor allem deshalb, da der geheimdienstler gegenüber der daphna und damit auch dem leser nicht mit offenen karten spielen kann. wüssten wir von anfang an seinen auftrag, wäre das genre hinfällig. daphna, um den plot dennoch zu erzählen, dient als kontaktmöglichkeit zu einem todkranken palästinenser, einem befreundeten autor, der nach israel gebracht werden soll zur behandlung, um so an dessen sohn zu kommen, der als einer der hauptakteure im antiisraelischen terrornetzwerk gilt. interessanterweise ist der abfall vom glauben des aus der perspektive des geheimdienstmitarbeiters erzählten romans nicht grundsätzlichen erkenntnissen geschuldet, sondern vorrangig der tatsache, dass die operation auf limassol wesentlich von den amerikanern bestimmt und vorbereitet wurde, was ihn in seiner selbstbestimmung kränkt.

    wesentlich interessanter als diese etwas vorhersehbare secret-service-story ist die figur des namenlosen erzählers: dieser ist so sehr mit seiner arbeit und berufsmäßigen paranoia verwachsen, dass er ein normal bürgerliches familienleben nicht mehr realisieren kann, überall mögliche bedrohungen vermutet und aus wut über einen nicht gefassten selbstmordattentäter dessen bruder brutal tötet. der erzähler ist ein sehr genretypischer, desillusionierter, überambitionierter, intelligent-naiver verlierer, ihm entgleitet sein leben ebenso wie seine arbeit. seine frau verlässt ihn recht früh im roman und nimmt den kleinen sohn, den er eigentlich liebt, aber sich viel zu selten zeit für ihn nimmt, mit nach amerika. für den totschlag im folterkeller der zentrale wird er vorübergehend suspendiert. der erzähler ist das signum einer unter ständiger bedrohung und angriffen lebender und westliche standards aufrecht erhaltender gesellschaft, eine erholungspause ist unter diesen bedingungen selbst im abgelegendsten wellness-hotel nicht möglich.

    konterkariert wird dieser abgehetzte und letztlich gescheiterte erzähler von der schriftstellerin daphna und ihrem ehemaligen liebhaber und autor hani. sie haben eine ihm unbegreifliche eleganz und würde bewahrt, was auf ihn äußerst attraktiv wirkt. dass sich daraus sogar eine liebesbeziehung mit daphna entwickelt, gehört zu den unglaubwürdigen film-noir-elementen des romans, denn daphna mag den erzähler zwar auch ein bisschen, aber hauptsächlich blickt sie spöttisch auf ihn herab. hani wiederum hat krebs im endstadium und verblüfft den erzähler vor allem damit, nicht seinem bild des zornigen, gewaltbereiten und antiisraelischen palästinensers zu entsprechen.

    „Kaum zu glauben, dass Sie uns nicht hassen“, sagte ich. […] „Warum sollte ich Sie hassen?“ Hani lachte und drehte mir von unten sein Gesicht zu. „Ich kann nicht hassen. Vielleicht bin ich kein richtiger Mann. Rachegelüste sind mir fremd. Unter euch gibt es etliche Missetäter, doch für einen Menschen wie Daphna würde ich mein Leben lassen.“

    dies ist im grunde alles, was in limassol über den sog. nahost-konflikt zu erfahren ist, und das ist auch absolut in ordnung, denn beileibe nicht jedes buch von israelischen autor*innen muss nach seinem beitrag zu israel-palästina abgeklopft werden. zumal sarid seinen thriller nur strukturell angelegt hat, tatsächlich sich viel mehr für das moralische dilemma seiner hauptfigur interessiert, einen jungen araber so zu misshandeln, dass dieser stirbt, gleichzeitig eine persönliche nähe zu hani und daphna nur vorzuspielen bzw aufgrund eben dieser nähe den sohn hanis zu retten. dieses motiv dominiert letztlich den roman, der dadurch auch das genre thriller verlässt: den sohn retten.

    bzw genauer: den fremden sohn retten. den eigenen sohn konnte der erzähler schließlich nicht bei sich halten. also rettet er letztlich hanis sohn vor der erschießung, und – wesentlich breiter erzählt – den drogenabhängigen gemeinsamen sohn von daphna und hani, der fern von der mutter in einer heruntergekommenen hütte am strand wohnt und den daphna wieder bei sich haben möchte. diese eigentümliche rettungsaktionen sind allerdings im roman sehr schwach motiviert und daher wenig plausibel, gen ende gleitet der roman in ein entzugsszenario in daphnas wohnung ab, das einem nur noch behaupteten familienidyll gefährlich nahe kommt. das motiv der geretteten fremden söhne soll vermutlich im privaten das kompensieren, was ihm beruflich für ganz israel nicht gelungen ist und scheint schuldhaft zum verlust der eigenen familie zu stehen – allerdings sind die motive zu wenig ausgearbeitet und die pathetische familienmetapher drängt sich etwas schief in den text. der roman verliert an spannung und tempo in dem moment, in dem daphnas sohn in die handlung aufgenommen wird und der erzähler versucht, seine verloren gegangene vaterrolle auszufüllen.

    so entstehen zwei gegensätzliche romane, die des geheimdienstlers im klassischen genre-outfit, und die des gescheiterten vaters, der eine neue familie findet, ein bürgerlicher stoff, der sich seltsamerweise mit dem agentenkrimi nicht besonders gut versteht und der sich besonders in der zweiten hälfte als ein eher farbloser thriller liest, von dem heute, 10 jahre nach seinem erscheinen, nicht mehr allzu viele spuren im gedächtnis bleiben.

    yishai sarid: limassol. aus dem hebräischen von helene seidler. kein und aber, 206 s, 16,90€.

  • holocaust gedenken literatur

    holocaust gedenken literatur

    zum 75. jahrestag der befreiung des kz auschwitz, dem tag des gedenkens an die opfer des nationalsozialismus, auch hier einige wenige, zu wenige der lesenswerten literarischen auseinandersetzungen mit dem nicht abschließbaren. es ist mehr eine aufzählung und dringende leseempfehlung für alle, die glauben, dass die beschäftigung mit dem nationalsozialistischen deutschland und seinen verbrechen irgendwie zu wichtig genommen würde.

    die deutschsprachige nachkriegsliteratur ist geprägt von den erfahrungen des krieges und vom wiederaufbau, nimmt die systematische verfolgung und ermordung aller von der rassenideologie der nazis ausgeschlossenen und die systematische vernichtung der europäischen juden nicht in den blick. erzählungen, berichte, gedichte über oder gar von überlebenden aus den lagern sind selten. primo levis berühmter autobiografischer bericht ist das ein mensch? aus dem kz auschwitz wurde beim erscheinen 1947 kaum beachtet. in deutschland mühte man sich, nicht an zurückliegendes zu denken ( ein großartiger film zu diesem bemühen ist christian petzolds phoenix ) und startete je nach blickwinkel aus der kapitulation bei stunde null ( nach roberto rossellinis film ) bzw nach der befreiung der zukunft zugewandt – die offiziellen bezeichnungen des 8. mai in den beiden neugegründeten deutschen staaten könnten sich kaum stärker voneinander unterscheiden .

    die konzentrations- und vernichtungslager rücken erst 15 jahre nach kriegsende ins bewusstsein, der berühmte prozess gegen adolf eichmann und hannah arendts bericht und die auschwitzprozesse in frankfurt am main, wesentlich vorbereitet vom hessischen staatsanwalt fritz bauer, nehmen den holocaust erstmals in den blick. 1962 erscheint mit dem buch lebensläufe das debüt von alexander kluge darin die sehr kurze und wahrscheinlich bekannteste geschichte von ihm ein liebesversuch ( die er später auch als 13minütiges video bearbeitete ) über stattgefundenen medizinische experimente an kz-häftlingen . 2014 veröffentlichte kluge in gedenken an fritz bauer eine sammlung von 48 geschichten für ihn : wer ein wort des trostes spricht ist ein verräter .

    die literarischen publikationen zum holocaust ( als weit gefasster terminus für alle opfergruppen der nationalsozialistischen rassen-, verfolgungs- und vernichtungspolitik, um die einmaligkeit der planmäßigen vernichtung der europäischen juden einzeln zu erfassen steht der begriff shoah ) sind kaum aufzuzählen, vom roman eines schicksalslosen bis zu den wohlgesinnten, hinzukommend literatur aus den ghettos wie etwa jakob der lügner oder gedichte des beim aufstand im warschauer ghetto getöteten polnischen autors władisław szlengel – eine mögliche anlaufstelle zu publikationen der sogenannten holocaustliteratur ist die arbeitsstelle holocaust der justus-liebig-universität gießen .

    doch nicht nur das ( literarische ) gedenken an die opfer ist insbesondere in diesem jahr in die debatte geraten, auch das gedenken selbst rückt mehr und mehr in den blickpunkt angesichts rassistischen und offen antisemitischen gedanken worten taten terror . und nicht zuletzt aufgrund der politischen vereinnahmung und damit verkehrung verharmlosung nationalisierung des gedenkens . eines der stärksten bücher zu eben diesem thema war 2019 yishai sarids erzählung monster – ein junger israeli ohne allzu viele ambitionen fürs leben wird widerwillig zum historiker in der israelischen gedenkstätte yad vashem und später tourguide in deutschen vernichtungslagern insbesondere auschwitz maidanek treblinka und darin sehr erfolgreich – so erfolgreich dass ihn ein deutscher filmregisseur schließlich manipuliert : das oder die monster der erinnerung – des verbrechens – der schülergruppen – der absurden gedenkspektakel – – – in der als bericht der hauptfigur gefassten erzählung gerät vieles für den namenlosen erzähler monströs und auswegslos überhandnehmend und welche der deutungen des unfassbaren verbrechens sind zulässig unter all den möglichen ? monster ist eines der stärksten bücher sowohl über die shoah als auch das ringen der nachfolgenden und heutigen generationen sich mit ihr zu beschäftigen und dieser beschäftigung nicht entkommen zu können, denn der holocaust geht nicht weg .