Schlagwort: kim ki-duk

  • kim ki-duk 1960-2020

    kim ki-duk 1960-2020

    die corona-pandemie hält trotz aller impfstoff-entwicklungen weiter an und gestern, am 11.12.2020, wenige tage vor seinem 60.geburtstag, verstarb leider auch kim ki-duk an einer covid-19-erkrankung in lettland. für die internationale kino-welt ist dies ein extremer verlust, im koreanischen kino hinterlässt kim eine riesige lücke, auch wenn sein ruf nach (unbestätigten) anschuldigungen sexuellen missbrauchs und gewalt gegen eine schauspielerin seines films moebius gelitten hatte.

    kim gehört unzweifelhaft zu den prägenden regisseuren des koreanischen kinos und des internationalen autorenfilms nach 1990. seine filme sind von extremen situationen und gegensätzen geprägt, gewalt und rohheit gehören ebenso zu seinen stilmitteln wie eine schutzversprechende abgeschiedenheit und stille bis zur völligen stummheit. die individuellen geschichten steigern sich immer wieder zu hochkomplexen symbolischen fabeln über die widersprüchliche verfasstheit der koreanischen gesellschaft und dem in oder außerhalb ihrer einen platz suchenden individuen, vorrangig jugendlichen oder jungen erwachsenen. kims eigene kindheit und sein gewalttätiger, ihn misshandelnder vater finden sich in seinen filmen ebenso verarbeitet wie seine armeezeit und die ihren weg suchende koreanische gesellschaft nach dem ende der militärdiktatur 1990.

    in europa am bekanntesten dürfte der zugängliche und hochkonzentrierte film frühling, sommer, herbst, winter … und frühling von 2003 sein. er ist eine beinah hypnotische reflexion über einen vom kind zum mann heranwachsenden menschen, der seiner schuld auch mit meditativer religiöser anstrengung in strengster einsamkeit und weltferne nicht entkommt. auch wenn die wichtigsten motive kims – strenge, einsamkeitserfahrung, weltabgewandtheit, religiöse motivik – hier kunstvoll versammelt sind, so ist die extreme körperliche gewalt in diesem film weitgehend ausgespart. wie sehr gewalt oder gewaltdrohung in kims filmen die funktion der kommunikation übernehmen, bezeugen der einsatz des titelgebenden bogens in hwal und der ebenfalls im original als titel verwendeten 3er golfschläger in bin-jip – leere häuser (im original 3-iron). dass die (expliziten und psychologischen) gewaltdarstellungen in seinen filmen das zeitgenössische koreanische publikum überforderte, lässt sich an kims ersten wichtigen internationalen erfolg seom – die insel und noch mehr am als skandalös empfundenen bad guy verstehen: kim übertritt alle grenzen der sehgewohnheiten und konfrontiert sein publikum mit archetypen und hochkomplexen ambivalenzen, bildsprache und (oft abwesende) figurensprache sind sich ergänzende kontraste, die verhältnisse und beziehungen der figuren zueinander variieren und wechseln, eindeutigkeiten im sinne einer moralischen klaren lehre sind nicht möglich. trotz aller formen von gewalt – bis hin zu extrem fordernder blutroher schuld-und-rache-erzählung wie in moebius oder vorwürfen des exzesshaften wie in human, space, time and human – bleibt doch immer die erkenntnis, dass kim gewalt erzählt, weil sie teil des menschen und seiner ausdrucksweise ist, er sie doch stets als schockierend ablehnt.

    kim selbst wurde von einer angedrohten gewalttat derart schockiert, dass er 2008 in eine tiefe krise und depression verfiel, nachdem sich eine schauspielerin für seinen film dream das leben nehmen wollte. nach 12 jahren ununterbrochener schaffenszeit und insgesamt 15 filmen zog sich kim in die einsamkeit zurück. drei jahre später veröffentlichte er das äußerst intime selbstporträt dieser krise: arirang. die radikalität von kim ki-duk und seinem kino ist in diesem sowie dem nachfolgenden film pieta, der in venedig den goldenen löwen gewann, eindrücklich festgehalten. es sind filme von überwindungen, bezwingungen, nur allerdings gänzlich unheroisch, ohne naturmystik oder heldenkitsch, sondern so roh und intim und hochverletztlich wie nur möglich. in arirang quält sich kim und ringt mit sich selbst, ohne dass es je larmoyant und eitel würde. in pieta muss sich ein brutaler schuldeneintreiber seiner eigenen schuld stellen, als unerwartet seine lang verlorene mutter bei ihm auftaucht. das stets komplexe hochemotionale verhältnis der geschlechter und generationen gleichermaßen zueinander ist ein weiteres zentrales motiv in kims filmen, sei es in pieta der sohn und die ihn bergende mutter, in hwal die kindhafte frau und der alte mann, oder in samaria die jugendliche sich prostituierende tochter und der überforderte vater.

    kims arbeit an den erzählungen der archetypen ist nun unvermittelt abgebrochen, sein einfluss auf das gegenwärtige kino zwar gering, doch als „außenseiter“ mit einer sowohl radikalen bildsprache als auch eigener lebensführung haben seine filme das kino nachhaltig bereichert. niemand hat so klar wie ambivalent, leise wie grausam von den psychologischen untiefen erzählt wie kim. eine revision seines werkes steht aus, doch dazu müssten seine filme überhaupt erst einmal in deutschland verfügbar sein, derzeit sind lediglich pieta, moebius, seom und arirang als stream abrufbar, dvds von filmen der frühen 2000er-phase nur noch antiquarisch. und viele sind bis heute in deutschland gar nicht erschienen, darunter der als einer seiner wichtigsten filme geltende adress unknown. auch hier klafft also eine enorme lücke.

  • kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    von den leisen filmen kim ki-duks, die von stillen, einsamen menschen und weltentrückter ferne handeln, ist seom – the isle – die insel sicherlich der herausragendste, ein frühes meisterwerk, eine faszinierene erzählung über die liebe und ihre ebenso zärtliche wie schockierend grausame sprache, in betörend einfachen, doch elementaren bildern und sehr wenigen worten.

    die geschichte spielt auf einem see fernab der städte, eine junge frau, hee-jin, vermietet an ausflügler kleine hausboote für einen kurzen angel-ausflug. die schweigsame frau bietet angelzubehör, kleinigkeiten zu essen und ggf auch liebesdienste an. auch hyun-shik mietet sich dort ein, der aber ein versteck vor der polizei und sich selbst sucht, da er seine frau und ihren liebhaber getötet hat. als er sich selbst ebenfalls töten will, rettet ihn hee-jin, woraus eine besondere beziehung der beiden entsteht. doch erst durch die seelische verletzung hee-jins, die hynun-shik mit einer prostituierten betrügt, und hee-jins eigenem suizid-versuch, finden die beiden aneinander so etwas wie heilung und fliehen mit dem hausboot aus dem see.

    seom ist ein mehrdimensionaler film, der sowohl auf der ebene der rein abbildenden narration als auch in seinen archaisch anmutenden symbolen gelesen werden kann. im zentrum steht dabei die figur des angelns als begehren, körperliches, emotionales begehren. die geliebten und verletzten lebewesen sind sowohl im als auch über dem wasser, so bewegen sich auch menschliche körper auf, im und unter wasser, als seien sie ebenso wie fische. die verletzungen, die durch die haken an den tieren verursacht werden, wiederholen sich ganz konkret körperlich auch an den hauptfiguren, da hyun-shik mehrere angelhaken schluckt, um sich zu töten, und hee-jin ihre verletzungen durch die männer sich selbst zufügt, als sie eben jene angelhaken in ihre vagina einführt – es sind dies drastische, verstörend intensive doch radikale, konsequente ausformulierungen der ambivalenten, paradoxen beziehung, die darin besteht, dass sich hee-jin und hyung-shik sozusagen gegenseitig angeln und zutiefst verletzen. gleichzeitig ist es auch die begründung ihrer sprache der liebe, denn die sprache der fische ist die stummheit, hee-jin sagt im gesamten film kein wort, und sie setzen sich je die haken in die „münder“: die angel wird somit zum werkzeug der kommunikation. einer schmerzhaften, grausamen, ebenso liebevollen kommunikation, da sie sich gegenseitig retten, schützen und verteidigen gegen die ihre beziehung angreifenden personen wie die prostituierte, ihr zuhälter und die polizei. gleichzeitig ist hee-jin als (stumme) nymphe gekennzeichnet, die sowohl die männer betört als diese auch grausam bestraft. die erotische signatur des films ist unübersehbar, die schlusseinstellung – hyung-shik verschwindet in einer schilf-insel, die sich überblendet als schambehaarung der unter wasser ruhenden hee-jin – versinnbildlicht dies noch einmal als thema des films.

    liebe, sex, begehren, verletzungen und grausamkeit, dazu eine wortlose, über gesten und handlungen geleitete kommunikation, dies alles in einem idyllischen setting: um dem allzu banalen satz stille wasser sind tief hat kim ki-duk mit seom einen außergewöhnlichen, streng komponierten, geradlinig erzählten film geformt, der in seiner ruhigen erzählweise von den deftigen momenten jäh zerschnitten wird, dass es bei der aufführung in cannes zu ohnmachtsanfällen kam.

    kim ki-duk: seom – the isle – die insel. südkorea 2000. 90min. fsk 16.

  • kim ki-duk – hwal / der bogen

    kim ki-duk – hwal / der bogen

    bleiben wir noch ein wenig bei kim ki-duk, dessen filme der frühen 2000er jahre wesentlich von starken gegensätzen bestimmt sind, etwa in kommunikation, räumen, besetzung und beziehung. in konzentrierter und sehr poetischer form lässt sich dies an hwal – der bogen (2005) nachzeichnen, der zu den zugänglichen filmen kims zählt.

    ein mädchen (han yeo-reum) lebt mit einem älteren mann (jeon seong-hwang) seit mehr als 10 jahren auf einem boot in einiger entfernung der küste, das der mann für hobbyangler zur verfügung stellt. sobald sie 17 jahre als wird, soll geheiratet werden, das datum ist breit im kalender vermerkt und traditionell hochzeitliche kleidung ist auch besorgt. vor den hobbyanglern schirmt der alte sein mädchen mit seinem bogen ab, der auch als orakel genutzt wird, ebenso als musikinstrument. doch als ein junger mann das boot besucht, entscheidet sich das mädchen neu und bringt die welt des alten aus dem gleichklang.

    es sind hier elementare und zutiefst widersprüchliche bedingungen geschaffen für einen film mit reichlich symbolik – der alte und die junge schöne, die auf der schwelle vom kind zur frau steht, von der gewohnt-geliebten behütung zum eigensinn sich entwickelnd, während die altväterliche fürsorge in trotz, gier, aggression und verlustangst umzuschlagen droht. es ist die extreme enge ihrer gemeinschaft auf dem kleinen fischerboot inmitten eines unendich großen raumes, das zu einem gefängnis wird – variationen dieses räumlichen gegensatzes wären mit deutlich höherem technischen aufwand und spiegelglatter optik im sci-fi-genre zu suchen (gravity oder passengers). es ist die wortlose kommunikation des ungleichen paares, die sich hauptsächlich über blicke verständigen. und nicht zuletzt der titelgebende bogen selbst, der als „figur“ verschiedene rollen übernimmt, als orakel, als waffe, als musikinstrument – und dient damit ebenfalls wesentlich der kommunikation und symbolisiert die vielschichtigkeit der beziehung, die der alte und das mädchen führen. die abwesenheit verbaler kommunikation ist bei kim aus vielen filmen bekannt, schon in die insel war die weibliche hauptfigur stumm, in bin-jip sagt eine der beiden hauptfiguren erst am ende zwei sätze, die andere bleibt schweigend, und in frühling… war das gespräch des meisters mit seinem schüler ebenfalls sehr reduziert und vom gegensatz weite natur – enge behausung geprägt. die betonung des nicht-redens als theatrales element, zudem vielen nahaufnahmen von gesichtern wie aus der stummfilmzeit bekannt, lässt in der bogen auch mit sehgewohnheiten und dem medium film spielen – wobei kim die abwesenheit von sprache erst in moebius auf die spitze trieb, da dort während des gesamten films nicht gesprochen wird (alle genannten filme werden in den kommenden tagen besprochen). und nicht zuletzt verhandelt der film natürlich die besondere spannung zwischen den geschlechtern und lebensaltern gleichermaßen, die von zärtlich und liebevoll bis gewalttätig und sadistisch reicht, die hierarchie zwischen den figuren dabei wankend, kippend, umstürzend: als der alte schließlich erkennen muss, dass er gegen die entscheidung der nun jungen frau nicht ankämpfen kann, halten sie zwar die vereinbarte hochzeit, an dessen ende aber er sie schließlich frei lässt.

    zwar erreicht der bogen nicht die emotionale kraft anderer filme kims, da ihm gerade die wiederholung bereits bekannter themen vorgeworfen werden kann, dennoch ist die unaufdringliche erzählung, die ausformulierte symbolsprache und ihre tatsächliche weltferne ein gelungener, ruhiger kinogenuss.

    kim ki-duk: hwal – der bogen. südkorea 2005. 89min.

  • kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    nach den blicken in die moralischen und gewalttätigen abgründe, in denen tiefes misstrauen gegenüber staatlichem ordnungsversprechen entstanden ist, könnte nun der kontrast augenscheinlich nicht größer sein. kim ki-duk definierte vor allem in europa mit frühling, sommer, herbst, winter… und frühling das jüngere fernost-asiatische kino, vor allem da der von buddhistischen lehren geprägte film fernost-asiatische bilder (kontemplativ, spirituell, kreis des lebens, schönheit) zu bestätigen scheint. dabei ist der erhabenheit und weisheit eine beunruhigende erzählung eingeschrieben, die sich gegen die friedlich-spirituelle lesart sperrt.

    auf einem kleinen see inmitten bewaldeter berge lebt ein mönch mit einem kind als sein schüler, ob es sein eigenes ist oder woher es kommt, bleibt unbekannt. jeder jahreszeit im filmtitel sind einzelne lebens- und lernphasen des aufwachsenden schülers zugeordnet. so muss er als frühlings-kind einen demütigen umgang mit tieren und der natur lernen, im sommer erfährt er seine erwachenden leidenschaften, als eine junge frau von ihrer mutter zur heilung in die einöde gebracht wird, im herbst kehrt der junge mann voller zorn auf die frau zurück, da sie ihn für einen anderen verließ und er sie daraufhin tötete, im winter kommt er erneut zurück nach einer langen haftstrafe für seine tat, der meister hat seinem leben ein ende gesetzt, eine unbekannte frau bringt nachts ein baby in die einöde und ertrinkt im see, im neuen frühling ist das kind nun der novize und der ehemalige schüler hat den platz des meisters eingenommen.

    der film stellt seinen aufbau offen aus, für jedes der fünf kapitel betreten die zuschauenden den bereich des sees durch ein sich öffnendes hölzernes tor wie durch einen theatervorhang, um dann noch den weg zur im zentrum des sees schwimmenden behausung zurückzulegen. die ruhe der umgebenden natur, in die sich das leben von meister und schüler einfügt, wird ebenso breit ausgestellt und rhythmisiert den film. das tor als konkretes zeichen, obwohl es daneben keine zäune gibt, wiederholt sich im hausinneren als abtrennung von schlaf- und gebetsbereich, und obwohl es im inneren des hauses keine wände gibt, muss auch dieses tor unbedingt durchschritten werden, es gehört zum ordnungsprinzip des filmes und der vom meister verkörperten buddhistischen lehre. in dem moment des sommers, als der jugendliche schüler mit der jungen frau nachts das tor ignoriert, um gemeinsam im ruderboot sex zu haben, ist für den meister die ordnung so weit gestört, dass er das im boot treibende paar mit ihrem leben bedroht und das boot untergehen lassen möchte. die regelverletzung muss strafend geahndet werden, der pädagogische eingriff entspringt einem tiefen misstrauen gegenüber einem auf besitz und beherrschung basierenden modernen lebensstil, wie es der meister selbst formuliert. auffällig ist, dass alle fünf kapitel um einen explizit gewalttätigen akt der regelverletzung angelegt sind. im ersten frühling quält der sehr junge schüler einen fisch, einen frosch und eine schlange, indem er ihnen jeweils steine umbindet. zur buße bindet der meister seinem schlafenden schüler ebenfalls einen schweren stein um. im herbst liegt die gewalt vor dem kapitel, denn der schüler hat seine frau getötet und wird am ende von der polizei verhaftet. was den lehrer dazu bewegt, sich selbst zu töten. im winter stirbt die verhüllte frau im see, nachdem sie ihr baby zur hütte gebracht hat. und im neuen frühling wiederholt der neue junge schüler die grausamkeiten des damals jungen meisters an den drei tieren – wobei anzumerken ist, dass die szenen der tierquälerei nicht im deutschen kino zu sehen waren und auf der dvd in den extras als „alternatives ende“ zu finden ist.

    was der meister seinem schüler mitzugeben versucht, ist eine abkehr von der gier und damit von der konsumgesellschaft. allerdings scheitert der meister mit seinen pädagogischen versuchen, da der schüler in seiner sexuellen leidenschaft auch besitzanspruch auf die junge frau erhebt und sich nach seiner ungeheuerlichen tat noch immer uneinsichtig darin zeigt, dass ihm ein mensch nicht gehören kann, eine frau nicht sein eigentum ist. das scheitern des meisters liegt zudem in der kreisstruktur des filmes begründet, denn die beiden frühlinge als anfänge des zirkularen lebens beinhalten einen zwar gereiften meister (der neue meister ab dem winter-kapitel wird von kim ki-duk selbst gespielt), dem es aber nicht gelingen wird, den kreislauf maskuliner herrschaft, des von besitz und gewalt und seiner pädagogischen strafe geprägten, sich immer wiederholenden lebens auch in der buddhistischen einsamkeit zu durchbrechen. die filmstruktur legt weiterhin nahe, dass der alte schüler ebenso ein waisenkind wie der neue schüler ist, dessen mutter verstarb und dessen geburtsumstände unklar sind, womöglich auf eine vergewaltigung zurückgehen, denn welche frau würde anonym (im film trägt sie ein tuch über das gesicht gebunden) ihr kind weggeben, wenn es nicht außerhalb der waldsee-einsiedelei repressionen ausgesetzt wäre. der versuch des neuen meisters, gemäß buddhistischer lehre heilung zu finden, um das leiden zu mindern, wird jedoch sehr wahrscheinlich erneut scheitern.

    so spendet frühling, sommer, herbst, winter… und frühling zwar trost, doch so vorbehaltlos lyrisch und nirgends ein Schockbild, vielmehr Schwelgen in Schönheit ist eine zu oberflächliche lesart eines films, der vielmehr eine fluchtbewegung verhandelt und damit viel mehr mit henry david thoreau bzw jon krakauers und sean penns into the wild als mit bloß schön anzusehendem, buddhistischen religionsunterricht für europäer zu tun hat.

    kim ki-duk: frühling, sommer, herbst, winter… und frühling. südkorea 2003. 102min (internationale, geschnittene fassung).

  • kim ki-duk – the coast guard

    kim ki-duk – the coast guard

    ursprünglich hatte ich einen anderen film kim ki-duks als ersten seiner filme vorstellen wollen, angesichts aber der besorgniserregenden realen ereignisse an der entmilitarisierten zone habe ich mich für the coast guard (2002) entschieden. er gehört zu den weniger bekannten filmen kim ki-duks, der hierzulande vor allem mit frühling, sommer, herbst, winter… und frühling bekannt wurde und zu den prägendsten, kontroversesten und radikalsten filmemachern nicht nur in südkorea gehört. seine filme sind stets herausforderungen und in jeder hinsicht konsequent, auch dann, wenn sie wie the coast guard filmisch nicht vollends überzeugen können.

    der junge soldat kang gehört zu einer armee-einheit, die an der küste nach aus dem norden kommenden spionen ausschau halten und diese augenblicklich erschießen sollen. bei tötung eines spions oder als spion angenommener person ist ehrenvolle entlassung zu erwarten. kang und seine gesamte einheit verbringen ihre zeit mit körperlich schindenden übungen, kampf-wettspielen und dem hoffen auf einen nächtlichen eindringling. bei der bevölkerung der umgebung werden sie als störend empfunden. als kang eines nachts ein paar für nordkoreanische feinde hält und den mann brutal tötet, ist er von seiner tat zutiefst geschockt und mi-yeong, die junge frau, die den tod ihres geliebten miterleben musste, schwerst traumatisiert. der ehrenvolle heimurlaub wird zur tortour, bei seiner rückkehr zur truppe wird er als untauglich entlassen. mi-yeong, verrückt geworden und auf der suche nach ihrem toten geliebten, gibt sich wahllos den soldaten hin und wird schwanger. kang wiederum beginnt die einheit zu terrorisieren und flüchtet schließlich nach seoul, wo er in einer belebten einkaufsstraße einen passanten tötet und von der polizei gestellt wird. mi-yeong, nach einer von den soldaten durchgeführten abtreibung zur vertuschung der vergewaltigungen, bleibt allein zurück, nachdem ihr bruder beim versuch, die schwester zu rächen, verhaftet wurde.

    zurecht kann man dem film die plakative figurenzeichnung vorwerfen, sowohl kang als auch mi-yeong wirken letztlich nicht ausgearbeitet. und insbesondere die nebenfiguren entwickeln kaum eigenständigkeit und bleiben oft bei klischeehaft starrem verhalten, etwa miteinander kämpfen, sich schlagen und sich fast durchweg anschreien (kims film ist auch eine betrachtung über südkoreanische männlichkeitsbilder und deren grotesker gegenstandslosigkeit). seltsamerweise scheint mir aber genau das vollkommen beabsichtigt und von kim ganz bewusst eingesetzt: die figuren sind in ihren handlungen und möglichkeiten bis zur erstarrung eingeschränkt. kim imaginiert diese erstarrung bzw die suche nach lebendigkeit im eng begrenzten wiederholt in verschiedenen bildern: so kämpfen die jungen soldaten in einer art boxring im wasser, wobei die begrenzenden seile aus stacheldraht sind. oder sie vertreiben sich die zeit mit einem fußballspiel auf kleinstem feld, auf dem mit weißen steinen die umrisse südkoreas nachgezeichnet sind, als müssten sie sich ihre bedeutung fürs land tagtäglich vor augen halten, um sie nicht zu vergessen. oder sie verstärken ohne anlass die sowieso bereits stark befestigten grenzzäune durch flaschensplitter und engen damit auch ihre eigene bewegungsfreiheit ein. die gespräche der soldaten sind entweder gebrüllte befehle, oft nur befehlswiederholungen der vorgesetzten, oder eher belanglose sätze, denen so gut wie nichts persönliches anhaftet. die soldaten sind zudem alle in etwa gleichem alter und wirken in ihrem muskelgeprotze und ihrer bereitschaft, auch erniedrigenden befehlen hierarchiebewusst zu folgen, wie jugendliche in einem militärischen ferienlager. mit seinem eifer, tatsächlich einen spion zu töten und damit der beste sein zu wollen, wirkt kang wie ein fremdkörper unter sonst von den ehr-versprechungen des militärs wenig herausgeforderten jungen, die ihren dienst normal ableisten oder lieber mit hübschen touristinnen aus der hauptstadt im sperrgebiet erinnerungsfotos machen.

    filme über soldaten neigen dazu, stets ähnliche bilder zu wiederholen, die die entindividualisierung zeigen ebenso wie die absurdität und unmenschlichkeit des krieges. auch in diesem film ist das nicht grundsätzlich anders, obwohl es kein anti-kriegsfilm ist, eher ein anti-militär-film, bei dem stets stanley kubricks full metal jacket als subtext mitgelesen werden muss. doch the coast guard versucht keine allgemeingültige aussage über die grotesk-perverse grausamkeit des innerkoreanischen konflikts oder soldaten und krieg an sich zu treffen, wie es etwa park chan-wook in joint security area beeindruckend gelingt (auch zu diesem film wird es hier eine besprechung geben).

    the coast guard ist zutiefst pazifistisch mit einer ganz anderen erzählung: die eines landes im waffenstillstand, das eigentlich nicht mehr weiß, wofür es seinen militärischen aufwand einst begonnen hat. das militärische narrativ von abzuwehrenden spionen aus dem norden, mit dem die jungen rekruten für ihre nachtwachen bei laune gehalten werden, erweist sich als leere formel, umso mehr im augenblick der fatalen verwechslung. the coast guard erzählt somit, wie die stets anwesende angst vor dem von außen eindringenden tödlichen feind zu einem eigenen trauma geworden ist: einen realen nordkoreanischen eindringling gibt es im gesamten film nicht zu sehen, nur den wahnhaft und schließlich gespenstgleich agierenden kang, der als amokläufer für die zivilgesellschaft ebenso wie für seine kameraden die einzige reale bedrohung ist. gleichzeitig – und deshalb ist die einheitlichkeit der altersstruktur im film besonders verstörend – fehlen beim militär jede art psychiologischer betreuung und verständnis. die von der tötung des mannes schwer traumatisierten kang und mi-yeong werden am nächsten morgen von jungen protokollanten am strand neben der zerstückelten leiche über den tathergang ausgefragt, während gleichzeitig die um den toten trauernden, auf das militär wütenden angehörigen in die befragungen platzen. kang wird eine woche erholungsurlaub wie eine trophäre gewährt, er wird allein in einen bus gesetzt und hat keine möglichkeit, mit seiner ihn völlig überfordernden tat fertig zu werden, so dass er gegen einen kleinen jungen handgreiflich wird.

    und nicht zuletzt beschreibt der film die tiefe entfremdung der zivilbevölkerung vom militär, die eigentlich mit dörflicher oder großstädtischer verachtung auf die im dreck knienden soldaten blickt – und die soldaten mit ebenso viel unverständnis auf das gewöhnliche leben schauen bzw dort völlig deplaziert sind. the coast guard greift damit eine thematik auf, die 2008 in the hurt locker von kathryn bigelow ebenso angesprochen wurde: die nach geleistetem kriegsdienst unbegleitete und damit unmögliche wiedereingliederung in den bürgerlichen alltag. in bigelows film ist der krieg ein quasi-natürliches habitat und die droge des sergeanten william james, in kims film wird kang die rückkehr verwehrt und dies für ihn zum potenzierten trauma, was ihn zur zerstörung treibt. bleibt die durch seine tat seelisch zerstörte mi-yeong zunächst am strand in der hilflosen obhut ihres bruders zurück, so geht sie am schluss im beisein der soldaten ins meer. in the coast guard variiert kim eines seiner zentralen themen: die unheilbaren seelischen verwundungen, hier vor dem hintergrund eines anwesenden militärischen konfliktes, der zum selbstverständnis südkoreas gehört – und das kim ki-duk mit seinem film grundsätzlich in frage stellt.

    kim ki-duk: the coast guard. südkorea 2002. 96 minuten. fsk 16.

  • statt deutsche prosa : korean cinema

    statt deutsche prosa : korean cinema

    seit einigen wochen denke ich darüber nach, diesen eintrag zu verfassen. in den vergangenen monaten habe ich kein buch gelesen, das mich gereizt hätte zu einer rezension. und vor den kommenden corona-prosa-werken graut mir vom ersten tagebucheintrag an. tatsächlich hatte ich auch keinen besonderen bedarf an der sich stapelnden literatur, die debatten über kulturelle soziale politische themen [den gesamten identitätenpodcast durchhören bitte] waren interessanter und anregender als die zwischen homeschooling und homeoffice doch quälend langsame langatmige ermüdende lektüre eines großteils der gegenwartsprosa. stattdessen entschied ich mich, lange ungesehene filme des asiatischen kinos abends per kleinbeamer zu schauen – und entdeckte das, was mir in den meisten literarischen texten fehlt: ein wirkliches formenbewusstsein und erzählerische kraft, ohne zu erklären, ohne zu dozieren.

    vor zwei monaten ungefähr notierte ich:

    die streaming dienste sind bestens ausgelastet und das perfekt in die katatstrophe gelaunchte disney+ portal erfreut sich sensationeller beliebtheit. wirklich, disney? ein konzern, der als image nostalgie behauptet und im hauptgeschäft eiskalt ideologische und reaktionäre filmwelten verkauft, deren antisoziales vormodernes gesellschaftsbild offenbar überall anschlussfähig scheint, es kommt eben stets unterhaltsam im märchengewand dahergetänzelt. disney ist der illusionist einer gesellschaft, die nach anschlussfähigen (kapitalistischen großbürgerlichen reaktionären) wunschwelten ausschau hält, denn kino ist immer auch eskapismus und suspendierung einer überhand nehmenden wirklichkeit.

    doch hier ist ein traumloses plädoyer für das kino als kulturform und kunst. wenn also streaming in diesem tagen, dann folgt vor einem beliebigen disneystreifen unbedingt das gegenmodell: modernes koreanisches kino. es gibt seit mindestens 17 jahren nichts aufregenderes zu sehen als filme von kim ki-duk, park chan-wook und natürlich bong joon-ho. was in der zeit nach dem 2. weltkrieg im hollywood von alfred hitchcock oder orson welles und noch viel stärker im new hollywood cinema erzählt wurde, eine gesellschaft aus subjektiver sicht mit stets gesamtheitlicher perspektive, an den brüchen zur entsubjektivierenden moderne, das wird seit einigen jahren im kroeanischen kino konsequent weiter geführt und zu neuen radikalen ausdrucksformen gebracht.

    insgesamt habe ich in den letzten wochen über 50 filme aus asien gesehen, von denen ich ab sofort in der kategorie kino die filme vorstellen möchte, mir am interessantesten erschienen. und auch eine top-ten der besten südkoreanischen filme wird es geben.

    als einstieg eignen sich folgende links für einen überblick:

    korean new wave: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkoreanischer_Film

    aus dem wunderbaren filmmagazin ray https://ray-magazin.at/koreanisches-kino-zwischen-kommerz-und-provokation/

    aus der zeitschrift epd film https://www.epd-film.de/themen/koreanisches-kino

    unbedingt sehenswert ist auch kino aus thailand: https://en.wikipedia.org/wiki/Cinema_of_Thailand

    NACHTRAG: jüngere filme aus südkorea, die in den vergangenen 5 jahren entweder direkt als hollywood-kooperationen entstanden und/oder im bereich actionfilm anzusiedeln sind, werde ich nur eingeschränkt behandeln. der grund ist ihre auf meist bekannte schauwerte reudzierte ästhetik mit geringer inhaltlicher tiefe und schablonenartiger figurenzeichnung, zudem trivialer bis propagandistischer ausrichtung. als symptomatisch mag dafür kim jee-woons the age of shadows gelten, den ich später hier besprechen werde.