Schlagwort: song kang-ho

  • park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    der erste film in parks rache-trilogie mit dem auf die rolling stones anspielenden titel sympathy for mr. vengeance ist der schwächste der drei und insgesamt einer der schwächeren seiner filme. die handlung um eine unaufhaltsame gewaltspirale, in gang gesetzt durch gutherzig und stümperhaft agierende figuren, gewinnt in übercolorierten kulissen wenig kontur und wirkt mehr als skizzenblock denn als zusammenhängender film.

    der taubstumme ryu sucht eine niere für seine schwerkranke schwester, die unbedingt eine transplanation braucht. ryu kann ihr selbst keine niere spenden, da der nicht die richtige blutgruppe hat. er wendet sich an eine organhändlerbande und bietet ihnen an, dass sie von ihm eine niere plus 10millionen won erhalten, dafür suchen sie seiner schwester eine passende niere. die bande nimmt lieber nur niere und geld. daraufhin beschließt ryu mit seiner kommunistischen freundin cha, das kind eines reichen zu entführen, um geld für eine legale transplantation zu bekommen. die wahl fällt eher zufällig auf den geschäftsmann park. ryus schwester aber, nach der entführung, lehnt die so erpresste niere ab und bringt sich um. beim begräbnis der schwester ertrinkt das entführte mädchen, woraufhin der geschäftsmann am boden zerstört ist und erst ryus freundin zu tode foltert, während dieser sich an der organhändlerbande grausam rächt, und schließlich auch ryu tötet. park schließlich wird von chas freunden, einer gruppe radikaler kommunisten, am ende getötet, wovor cha ihn gewarnt hatte.

    der film ist anfangs bestimmt von der berührenden fürsorge ryus um seine todkranke schwester, er lässt für sie von einer professionellen sprecherin in einem tonstudio einen brief aufnehmen, um von seinem plan zu erzählen, ihr eine nierentransplantation zu ermöglichen und sich sein ganzes leben um sie zu kümmern, die zudem in einem heruntergekommenen, extrem hellhörigen wohnblock leben muss. auch die beziehung ryus zur gutherzigen und naiven cha, die überall wo sie hinkommt, ihre zuhause gedruckten anti-us-flugblätter verteilt, wirkt glaubhaft und durchaus komisch. der film beginnt mit den organhändlern zu kippen, die bilder erzählen eine komödiantische geschichte, während allmählich immer mehr blut in die handlung läuft. erst erwacht ryu nach der operation völlig nackt mit einer enormen narbe auf der seite. dann massakriert sich ein verzweifelter angestellter von park auf offener straße vor den augen der 7jährigen tochter. lediglich der suizid von ryus schwester wird nicht offen gezeigt und erscheint dadurch geradezu pietätvoll, während die anderen tode und morde – allen voran ryus rache an den organhändlern – ausgiebig ausgestellt werden.

    der film findet dadurch keine balance zwischen der teilweise sehr feinfühligen, teilweise sehr grobkörnigen komik der figuren und ihren naiven, aus den besten oder zumindest nachvollziehbaren motiven verfolgten, jedoch ins desaster führenden handlungen. der film verzichtet zudem bis auf vor- und abspann gänzlich auf musik, die zumeist statische kamera mit den starren und langen einstellungen entdynamisiert das geschehen zusätzlich und lässt die zuschauer mit kühler distanz, beinah mitleidlos, an den schweren schicksalsschlägen der figuren teilhaben. diese kälte der kameraaufnahmen wiederspricht maximal dem hochemotionalen geschehen auf der leinwand, das in langen und detaillierten bildern das leiden, den schmerz und den tod aller beteiligten figuren zeigt, in beinah immer zu stark colorierten umgebungen, wodurch der film zudem noch einen comic-charakter erhält. all diese sich mehr aneinander reibenden als zueinander fügenden elemente, dazu das insgesamt sehr spleenige personal des films – warum muss am fluss, wo ryus schwester beerdigt, parks tochter ertrinkt und schließlich ryu selbst stirbt, ein sehr ausgestellter spastiker herumlaufen, soll das unterhaltsam sein? ich habe allgemein ein problem damit, wenn schauspieler ohne dramaturgische notwendigkeit eine „behinderte“ figur nachspielen, das erscheint mir stets als eine form des blackfacing – all dies macht aus dem film eine stoffsammlung für mögliche spätere arbeiten, sogar berechnung und kunstgewerbe wurde ihm unterstellt. insbesondere das sehr niedrige tempo von mr. vengeance steht in starkem kontrast zur atemlosigkeit des nur ein jahr später folgenden meilensteins oldboy. diese rasanz und ihre hochintelligente filmische umsetzung ist bei mr. vengeance noch nicht absehbar, dafür allerdings das sehr hohe formbewusstsein und das gespür für sehr widersprüchliche kontrastierungen.

    zur vollständigkeit von park chan-wooks werken sollte man sympathy for mr. vengeance gesehen haben, als teil des frühwerks ist es umso faszinierender zu erleben, welch außergewöhnliche arbeiten diesem film nachgefolgt sind.

    park chan-wook: sympathy for mr. vengeance. südkorea 2002. 121min. fsk 16.

  • bong joon-ho – memories of murder

    bong joon-ho – memories of murder

    angesichts eines offenkundig rachegetriebenen innenministers, zweier polizeigewerkschaften, diversester medien und freunde rassistischen handelns, die alle zugleich jagd auf eine poc-autorin machen wegen einer bös treffenden kolumne, denn Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen was für alle beteiligten in staatlichen gewalt-monopol-positionen selbstverständlich keine grundlage zu strafanzeigen gegen nazis und sonstige afd-parteigänger bedeutet – – – angesichts eines bewussten übertönens relativierens verdrängens einer debatte über staatliche gewalt und strukturellen rassismus unserer armen ungeliebten freund&helfer-polizei bundeswehr ksk etc, habe ich mich entschieden, einige filme bereits jetzt zu besprechen.

    brutale gewalt und selbstgefällige unfähigkeit von polizisten ist ein genrebildender topos im koreanischen kino. es gibt eine vielzahl von filmen, die ein tiefes misstrauen gegen die staatliche ordnungsmacht ausdrücken. geprägt von den wechselhaften erfahrungen des 20.jhd mit besatzung, krieg, nachkrieg, militärdiktaturen, attentaten, putsch-versuchen und enormer korruption, baute sich wenig vertrauen zu staatlichen institutionen auf. das kino der frühen 2000er jahre bildet diese tiefe skepsis offen anklagend in zum teil verstörenden bildern ab. diese phase eines offen geführten diskurses über staatliche gewalt immedium der kunst scheint jüngst jedoch vorüber. das heutige action-kino ist erneut problematisch geworden, da es versucht, verlorene reputation aus den davor liegenden jahrzehnten mit hanebüchenen plots, hollywoodesken schauwerten und klaren gut-böse-konstellationen ideologisch zurückzugewinnen. (ein paar ausgewählte filme dieses modernsten action-genres, wie etwa the suspect, sollen hier dennoch raum erhalten, der vollständigkeit halber.) doch hier sollen polizeikrimis betrachtet werden, die wesentlich substantieller sind und immer auch wieder deutlich über das genre hinausweisen, den leichtesten einstieg bietet bong joon-ho mit memories of murder: es ist eine geschichte aus der spätzeit der militärdiktatur der 1980er jahre, sie handelt von extremer gewalt und staatlicher unfähigkeit, diese zu begreifen und zu verfolgen, da sie selbst von gewalt und unverstand komplett korrumpiert ist.

    in der südkoreanischen provinz werden zwei frauenleichen entdeckt, vergewaltigt und grausam getötet. der lokale polizeikommissar park sieht sich technisch unterlegen, die spurensicherung ist ein desaster, als erkenntnismethode behauptet park, den menschen schuld im gesicht ablesen zu können. der aus seoul angereiste spezialbeauftragte seo, der auf rationale moderne methoden vertraut, soll bei den ermittlungen helfen. unter den willkürlich ausgewählten verdächtigen ist der geistig behinderte baek, von dem park mittels seines aggressiven mitarbeiters cho ein geständnis herausprügeln lässt, da er seo für zu weich hält. nach weiteren getöteten frauen entdeckt seo mehrere muster, tat bei regen, rotes kleid, ein spezielles lied im radio als ankündigung. doch die ermittlungsfehler, die weitere frauenmorde und schließlich auch baeks tod zur folge haben, nehmen nicht ab, so dass am ende der fall ungelöst bleibt.

    der film beruht auf der realen mordserie in hwaseong zwischen 1986 und 1991, wo es ebenfalls zu ermittlungsfehlern und falschen tatverdächtigen und mit folter erpressten geständnissen kam. erst 2019 konnte diese serie aufgeklärt werden. memories of murder erzählt die untersuchungen aus sicht des selbstgefälligen und unfähigen park (einmal mehr von song kang-ho gespielt), der sich der rationalen aufklärungsarbeit von seo verweigert und damit den blick offenbart auf ein abgrundtiefes misstrauen und unverständnis gegenüber den realen verhältnissen in der gesellschaft. so sitzen park und cho beim fadenspiel, während im hintergrund seo mit dutzenden polizisten eine wiese nach einer frauenleiche absucht. gleichzeitig verweist die enorme grausamkeit, mit der die frauen vergewaltigt und getötet werden, auf die der patriarchalen gesellschaft zugrunde liegende gewalttätige haltung gegenüber frauen: so wie park und cho mit dem wehrlosen baek brutal und rücksichtslos umspringen, so werden die machtverhältnisse gegen frauen in den leichenfunden – gefesselt, wehrlos – grausam präsentiert. das versagen der staatlichen gewalt, die bürgerliche ordnung wieder herzustellen und sicherheit zu gewährleisten, ist somit den strukturen patriarchaler macht inhärent als herrschaft und verfügungsgewalt über als schwach gesehene menschen. mit seiner titelgebung memories bezeugt bong diese gewalt als sowohl vergangen als auch nach wie vor aktiv, da die mordserie im film eben nicht aufgeklärt ist und park am ende zum fundort der ersten leiche zurückkehrt und von einem schulkind die auskunft bekommt, ein ganz normal aussehender mann habe kürzlich ebenfalls hier nachgeschaut: die normalen männer sind aber eigentlich alle, die serienmorde, der femizid scheint unabschließbar. diese unabschließbarkeit wird damit im film als signatur des landes gezeigt: die verbrechen sind nicht aufgearbeitet, nicht nachgeforscht und nicht gesühnt, wir, das land, die gesellschaft sind gezeichnet von tiefen wunden. so wird memories zu einem psychogramm der modernen südkoreanischen gesellschaft, ein land voll unaufgearbeiteter, unverstandener, noch immer wirksamer gewaltverbrechen. die morde und die katastrophal gescheiterte polizeiarbeit wirken bis ins jetzt fort.

    memories of murder ist ein film über nicht aufgearbeitete, gewaltfördernde, inhumane patriarchale strukturen und mechanismen in einer gesellschaft und ihren staatlichen exekutiv-insitutionen. die farbgebung im historischen teil der erzählung ist schmutzig grün und erinnert an albtraumhafte, traumatische erscheinungen, die in der kurzen rahmenhandlung in der filmischen jetzt-zeit längst nicht verblasst, sondern im gegenteil weiterhin wirksam. bongs film ist daher nicht nur ein äußerst spannender kriminalfilm, zugleich auch das psychogramm einer dysfunktionalen, hierarchischen gesellschaft.

    bong joon-ho: memories of murder. südkorea 2003. 131min. fsk 16.

  • bong joon-ho – the host

    bong joon-ho – the host

    kommen wir zum derzeit bekanntesten und erfolgreichsten filmemacher koreas: bong joon-ho. wie populär er allerspätestens seit den 4 oscar-auszeichnungen 2020 für parasite ist, lässt sich auch daran ablesen, dass (mit ausnahme von hunde die bellen, beißen nicht) alle seine filme auf gängigen streaming-plattformen verfügbar sind. internationale aufmerksamkeit und anerkennung erfuhr bong joon-ho mit seinem dritten film the host, der 2006 in korea rekorde brach, den über ein viertel der bevölkerung im kino sahen und von der filmzeitschrift cahiers du cinéma zu den drei besten filmen des jahres gezählt wird.

    so unterschiedlich in der thematik die filme bongs sind, so sind es im kern erzählungen über fragile soziale strukturen, die aufgrund einer extremen oder monströsen bedrohung aufbrechen: in hunde sind es für den arbeitslosen professor eben bellende hunde, in memories of murder ist es eine entsetzliche mordserie an frauen, in mother wird die unerschütterliche mutterliebe von der gefahr aktiviert, ihren sohn verurteilt zu sehen, in snowpiercer ist die natur selbst monströs und lebensfeindlich geworden, okja verhandelt die kapitalistische fleischproduktion anhand gigantischer zuchtschweine (grüße an tönnies und consorten), parasite bildet die extreme sozialer ungleichheit und verdrängung ab und in the host terrorisiert ein ganz reales monster seoul.

    als mischung aus monsterfilm, familiendrama, komödie und gesellschaftssatire ist the host beschrieben worden und damit ist recht gut eingefangen, wie offen und auf wie vielen ebenen der film gelesen werden kann. insbesondere besticht er durch das lustvolle zitieren von genretypischen elementen des monsterfilms, die er aber sämtlich unterläuft, ironisch bricht und ad absurdum führt. wie in allen monsterfilmen ist die story simpel bis zur albernheit, doch die art, wie bong dies erzählt, ist einzigartig und überragend: ein bösartiges monster taucht plötzlich in seoul auf, verschleppt die tochter eines ladenbesitzers, der sich auf die suche macht, sie zu retten und am ende das monster besiegt. das monströse tier selbst ist eine melange aus weißer hai (wasser), king kong (mädchen verschleppen), godzilla (mutiert), alien (bewegungen) und was der assoziationen mehr sind – doch wenn diese giganten aufgrund ihrer bedrohlichen gestalt ehrfurcht-einflößend wirkten, so ist bongs monster zwar ebenso grausam, doch vor allem irrsinnig hässlich, eine verunglückte kreuzung aus fisch und saurier, die zu anfangs noch wie ein zootier von den freizeitgästen am flussufer gefüttert wird.

    auch die klassischen monsterjäger sind versammelt, eine identifikationsfamilie, das militär und sonstige staatsgewalten, ärzte und wissenschaftler – und sie agieren allesamt lächerlich tölpelhaft, unterlaufen den genreeigenen primitiven heroismus. für heroische kämpfe gegen die verunstaltete kreatur ist hier wenig platz, sie wird am ende profan von einem verkehrsschild erschlagen. die behörden agieren zu keiner zeit vertrauenswürdig, planen zum schluss sogar die verseuchung des hangang, um das monster zu töten – und damit die tat zu wiederholen, durch die es entstand. es ist die böse pointe des films, dass das monster gänzlich unsubtil als kommentar zu u.s.-amerikanischer politik gelesen werden soll, wie bong selbst sagte. die illegale entsorgung von chemikalien, mit der der film einsetzt, geht zurück auf einen realen fall im jahr 2000 in einer u.s.-militärbasis, die zu südkoreanischen protesten führte. und die chemikalie, die das monster besiegen soll, wird „agent yellow“ genannt, eine anspielung auf den im vietnam-krieg eingesetzten chemischen kampfstoff „agent orange“. dieser politische subtext kombiniert sich in the host und noch viel deutlicher in bongs hollywood-produktionen snowpiercer und okja zu einer anklage gegen rücksichtslosen umgang mit der umwelt: während monsterfilme mit politischer botschaft meist nur als ergebnis des umwelteingriffs reale gigantische wesen präsentieren (die ameisen in formicula oder godzilla selbst z.b. sind durch nuklearunfälle entstandene riesen-mutationen), zeigt bong ein völlig verunstaltetes wesen mit deformierungen, die an fehlbildungen bei geburten nach realen chemieunfällen gemahnen.

    dass the host neben horror-elementen vorwiegend als komödie funktioniert, liegt in erster linie an den hauptfiguren: familie park betreibt einen imbiss-wohn-wagen am ufer des hangang, sie sind antihelden im eigentlichen sinn, sympathische loser, die sich recht ziellos durch ihr leben navigieren. der trottelige familienvater kang-du (gespielt einmal mehr von song kang-ho, der mit bong in drei weiteren filmen zusammenarbeitete) schläft gern mal bei der arbeit ein, ergreift auf der flucht vor dem monster die hand des falschen schulkindes und verliert im chaos seine tochter hyun-seo (gespielt von ko ah-seong, die mit song in tochter-vater-konstellation in snowpiercer wiederkehrt), ihre tante nam-ju versagt bei der meisterschaft im bogenschießen, ihr onkel nam-il hat zwar studiert, ist dennoch arbeitslos, und ihr großvater hie-bong versucht, den laden irgendwie zusammen zu halten. die parks gehören zum typischen inventar von bong-joon-ho-filmen, sie haben zwar ihr leben offenkundig nicht im griff und werden von den ereignissen hin und hergespült, aber sie ordnen sich nie unter und bewahren so ihre eigenständigkeit. die parks kehren als familie kim in parasite zurück, aus den unteren schichten der gesellschaft kommend, mit dem souveränen charme des zivilen ungehorsams ausgestattet ebenso wie mit dem glück und der sturheit von narren. und einem starken gemeinschaftssinn, füreinander in jeder situation einzustehen und zusammenzuhalten. nachdem das monster hyun-seo in eine art vorratskammer verschleppt hat, überträgt sie dort diese fürsorge auf den vom monster verschleppten waisenjungen se-joo, der schließlich, nachdem das monster hyun-seo doch tötet, an ihrer statt bei den parks leben wird.

    als einstieg in die filmsprache bong joon-ho eignet sich the host vermutlich am besten, da er nicht nur ein außergewöhnlich guter film ist, sondern anschlussfähig an westliche sehgewohnheiten, ohne diese zu repitieren (deshalb fallen seine hollywood-produktionen hinter den koreanischen filmen ab) und zugleich die besondere eigenständigkeit dieses regisseurs im internationalen kino verdeutlicht.

    bong joon-ho: the host. südkorea 2006. 119min. fsk 16.

  • lee chang-dong – secret sunshine

    lee chang-dong – secret sunshine

    lee chang-dongs filme, obwohl sie auf internationalen festivals stets mit auszeichnungen geehrt werden, sind dem europäischen publikum größtenteils unbekannt. in deutschland sind nur zwei seiner sechs filme überhaupt auf dvd erschienen, lediglich sein bisher letzter film burning lief 2019 in ausgewählten programmkinos. das mag auch mit lee selbst zu tun haben, der sich 2007 gegen kommerzielles kino wandte, kulturminister südkoreas war, und filme in einem sich dem hochgeschwindigkeitsbilderrausch des zeitgenössischen kinos widersetzenden tempo dreht, für die man sich tatsächlich zeit nehmen sollte – lees filme sind in ihrer trügerischen ruhe doppelbödige dramen, die sich nicht schon beim ersten sehen erschließen.

    secret sunshine von 2007 ist bereits im titel schwer zu fassen, eine widersprüchliche naturmetapher, in der eigentümlich tröstendes verborgen zu sein scheint. mit dem blick in die natur, in den blauen himmel über einem tal, aus einem liegengebliebenen auto, beginnt der film: in dieser harmlosen landschaft wartet shin-ae mit ihrem kleinen sohn auf jemanden, der sie mitnimmt nach miryang, eine stadt im südosten koreas, wo sie als klavierlehrerin ein neues leben beginnen will. denn ihr mann, der vater des sohnes, ist verstorben und ihm zu gedenken zieht sie in seine geburtsstadt – deren name secret sunshine bedeutet, wo sie übergangsweise in eine kleine wohnung zieht und eigentlich ein baugrundstück sucht. doch der so entworfene neuanfang scheitert, als der sohn entführt und schließlich ermordet wird – und shin-ae den verlust und die trauer versucht, mit hilfe einer evangelikanen kirchengemeinde zu verarbeiten. sie entwickelt sich zu einer überzeugten gläubigen und ist schließlich sogar bereit, dem mörder ihres sohnes bei einem besuch im gefängnis zu vergeben. doch der mann zeigt sich ebenfalls bekehrt, von gott erleuchtet und zu vergebung und frieden gefunden zu haben – ein schock, den shin-ae kaum verkraftet.

    secret sunshine ist ein intensives, außergewöhnliches drama um verlust, trauer, vergebung und eine frau, die kaum die kraft findet, sich ihrem schmerz zu stellen, zudem ständig in begleitung von jong-chan, der sie am anfang auf der landstraße aufsammelt und mit aufdringlicher hilfsbereitschaft ihre nähe sucht. doch schon der umzug nach miryang lässt sich ebenso wie der eintritt in die religiöse gemeinschaft als flucht lesen, ihr sie besuchender bruder konfrontiert sie mit der tatsache, dass ihr mann sie betrogen hat, und nicht nur ihr kind wurde ihr grausam entrissen, auch um den glauben fühlt sie sich letztlich betrogen, so dass sie eine messe unter freiem himmel mit einem song stört, der über die gebetsstimme des freikirchlichen priesters laut „lüge, lüge, lüge“ schreit. als ein „in vielen nuancen funkelndes, stilles juwel“ wurde der film beschrieben, der mit „beeindruckender beiläufigkeit“ und „unerbittlicher logik ohne künstliche beschleunigungen oder verzögerungen shin-ae’s passionsgeschichte“ erzählt. insbesondere jeon do-yeon beeindruckt in ihrer darstellung, die in cannes als beste hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde und lange zeit zweifel hatte, ob sie fähig wäre, die figur shin-ae glaubhaft zu vermitteln.

    secret sunshine ist nicht zuletzt dank ihrer darstellung ein herausragender und herausfordernder, vielschichtiger, konsequenter film, der vehemente kritik an den gebaren der christlichen kirchen südkoreas formuliert, von seinen darsteller*innen und dem gänzlich entschleunigten erzähltempo lebt. und von der tatsache, dass die figuren nie erklärt werden in ihren handlungen, wodurch sie trotz der großen nähe auch der kamera doch unerwartet-rätselhaft und fern bleiben, im verdeckten sonnenlicht.

    lee chang-dong: secret sunshine. südkorea 2007. 142min.

  • park chan-wook – durst

    park chan-wook – durst

    park chan-wook erzählt komplexe dramen, die an klassische bühnenstücke erinnern, mit allerlei fallstricken und doppelten böden, und stets politisch. zentrale motive bei park sind rache, moralität und radikale befreiung des individuums, körperlich, intellektuell, sozial. sein in der westlichen kultursphäre vermutlich bekanntester film ist old boy von 2003, der auch als einer der prägenden filme des modernen südkoreanischen kinos gilt, doch zu diesem film später ausführlicher. in durst von 2009 wird auf unerwartete weise der vampirmythos aufgegriffen und grandios variiert.

    vampire sind auch in der koreanischen populärkultur vertraut. während im hollywood-kino vorrangig die blutig-mörderische seite für den mythos von den menschlichen blutsaugern interessant scheinen, stellt park chan-wook in durst das erotische, sexuelle und die körperlichkeit ins zentrum seines film – und die frage nach moral.

    der pater sang-hyeon (song kang-ho), der sich für experimente zur verfügung gestellt hat, um ein gegenmittel gegen ein tödliches virus zu finden, infiziert sich jedoch dabei mit einer art vampirvirus und ernährt sich fortan von blut. diese grundbedingung der figur wird im film immer weiter entwickelt: er handelt falsch aus ihm richtig scheinenden motiven. so glaubt er tae-joo, die frau seines jugendfreundes kang-woo, mit der er ein verhältnis beginnt, vor ihrem brutalen mann beschützen zu müssen und sie ertränken ihn gemeinsam. die mutter von kang-woo erleidet darauf einen schweren schlaganfall. die schuld belastet sang-hyeon so schwer, dass er letztlich auch tae-joo tötet, nachdem sie ihm offenbart hat, dass sie sich selbst verletzt hat und nicht kang-woo. aus erneuter schuld macht er tae-joo zum vampir. während er aber als priester sein eigenes vampir-dasein ablehnt, genießt sie es vollkommen.

    durst thematisiert in der beziehung von sang-hyeon und tae-joo neben dem widersprüchlichen verhältnis von moralischem handeln und schuld bzw entschuldung auch körper und lust. so sehr er tae-joo auch begehrt, so stößt ihn ihr blutdurst und mordlust als vampir schließlich ab. für ihn ist das vampirsein eine bürde, die sein moralisches selbstbild als christ stört. sie versteht das vampirsein als lustvolle erlösung von einer starren, engen bürgerlichkeit. der vampir ist damit eine körpermetapher für das, was im nicht-vampir-körper vorher falsch gelaufen ist und nun nicht mehr eingehegt werden kann: sang-hyeon hat als priester enthaltsam gelebt und ist als vampir gezwungen, sein begehren und das töten anzuerkennen. für tae-joo stellt es sich umgekehrt dar, sie musste vorher nüchtern und angeödet leben und kann sich nun über die stränge schlagend nach sang-hyeons ansicht frei entfalten.

    dadurch „fehlen“ dieser vampir-erzählung eine reihe typischer motive wie etwa burggruften, särge und sonstige schauer-elemente. überhaupt ist durst weitab vom horrorgenre, durch sein überschaubares personal hat der film beinah kammerspiel-charakter und konzentriert sich im wesentlichen auf amour-fou und schuldaspekte der ungleichen hauptfiguren. dies ist auch der zusammenhang zu emile zolas roman thérèse raquin, den park als bezugsquelle für durst angab: der niedergang eines paares aufgrund eines verbrechens, bei park jedoch ins koreanische normalbürgertum der gegenwart versetzt und in surrealen genremitteln überformt. daher entfallen auch sämtliche vampirjagd-themen, die in hollywood-filmen gern und bildreich auserzählt werden. im gegenteil ist parks film fast schon zärtlich und stellt sich als film selbst lustvoll aus: in seiner ästhetik, seiner farblichen gestaltung und seinen amüsierten genreüberscheitungen, in denen sich der eigentlich selbst bemitleidende priester herumtreiben muss.

    park chan-wook: durst. südkorea 2009. 133min.