Schlagwort: korean cinema

  • park chan-wook – oldboy

    park chan-wook – oldboy

    es ist einer der einflussreichsten koreanischen filme überhaupt, dessen szenen ikonisch sind, oft kopiert wurden und als weltweites kulturgut in diversen kontexten erscheinen: oldboy von park chan-wook. (auf das bedeutungslose remake von spike lee braucht hier nicht eingegangen zu werden.) es sind weniger die teilweise äußerst brutalen szenen, sondern insbesondere die komplexe geschichte und ihre bewusst verwirrende erzählweise, die die wirkungsgeschichte des films begründen.

    der inhalt soll kurz umrissen sein: oh dae-su (choi min-sik) wird am 4. geburtstag seiner tochter plötzlich eingesperrt und kommt nach 15 jahren unerwartet wieder frei. den grund seiner freiheitsberaubung soll er selbst herausfinden. mithilfe der jungen hübschen mi-do (kang hye-jeong), einer angestellten eines sushi-restaurants, mit der er eine beziehung beginnt, sinnt er auf rache an seinen peinigern. er kann sowohl den ort seiner haft ausfindig machen als auch die spur zu seiner alten schule finden. dort hatte dae-su seinen mitschüler lee woo-jin (yoo ji-tae) beim inzest mit dessen schwester beobachtet und dies weitererzählt. die schwester, aufgrund des gerüchts. von woo-jin schwanger zu sein, beging suizid. doch nicht als strafe für den tod seiner schwester ließ woo-jin dae-su einsperren, sondern um sich nachfolgend an ihm zu rächen: mi-do ist dae-sus tochter und woo-jin wollte dae-su so manipulieren, dass auch er zum inzest gedrängt wird.

    oldboy ist eine verfilmung eines japanischen manga-comics und der zweite film der lose verknüpften rache-triologie – und ist doch als rache-drama nur unzulänglich beschrieben. 2003 erhielt er in cannes den großen preis der jury unter vorsitz von quentin tarantino, er ist oft mit tarantinos filmen, insbesondere mit kill bill und der verschlungenen erzählweise von pulp fiction verglichen worden. tatsächlich hat oldboy mit tarantino nicht sehr viel gemein. wenn tarantino ästhetisierte gewalt als stilmittel zur unterhaltung und mit distanzierender pop-art einsetzt, so verwendet park die exzessive, brutale gewalt deutlich fatalistischer und wesentlich existenzieller: oh dae-su rächt sich grausam an seinen wächtern – berühmt sind die hammer-szenen im korridor und beim zahnchirurgischen eingriff – und gleichzeitig sind diese szenen auf filmischer ebene ein instrument der emotionalen manipulation des zuschauers. oldboy gewährt keinen moment ruhe und besinnung, der film ist von der allerersten szene verwirrend, hochspannend und aufwühlend: um so im film die manipulation von dae-su durch woo-jin sichtbar zu machen. das, was dort auf der leinwand geschieht, das verspeisen eines lebenden octopus (beim dreh waren es sogar vier), die gewaltexzesse und der zeitdruck, unter dem dae-su steht, das rätsel seiner haft zu lösen, die expressionistischen bilder (dae-sus erwachen aus einem roten koffer auf grünem gras, mi-do mit einer riesigen ameise in der u-bahn etc) und die verwirrend erzählte geschichte bilden die extreme überwältigung ab, die auch dae-su auf seiner rache-achterbahnfahrt erfährt. so sehr, dass er schließlich die gleichen worte der verlorenen selbstachtung und verzweiflung gebraucht, wie der selbstmörder, dem er zu beginn des films bzw nach seiner unerwarteten haftbefreiung auf dem dach eines hochhauses traf: auch wenn ich keinen deut besser bin als ein wildes tier, so habe ich doch ein recht darauf zu leben!

    auf eine äußerst fatalistische weise – nämlich dem fatum der zerstörung, der entwürdigung, der enttäuschung und dem scheitern nicht entkommen zu können – ist oldboy damit weniger tarantino als vielmehr alfred hitchcocks vertigo verwandt. manipulation, verwirrung des realitätssinns, hypnotische, schwindelerregende bilder und perspektiven und die verzweifelte suche nach einer wahrheit bzw selbstbestimmten freiheit: was scottie in vertigo versucht wiederzufinden, nämlich die frau, in die er sich verliebt hat, die sich vor seinen augen tötete, die als schauspielerin wiederkehrt, sodass er einer neuen täuschung madelaine/judy verfällt, das wiederfährt dae-su im motiv des inzestes. täuschung, manipulation und eine vorausgeplante figur zu sein in einem gänzlich anderen plot als vermutet. fatalistisch daran ist vor allem die täuschung, zu glauben man habe sein leben selbst in der hand. so wie woo-jin und seine schwester ihre selbstbestimmung durch die offenbarung des geheimnisses verloren und beide sich letztlich deshalb selbst töteten, so verlieren dae-su und mi-do unter dem einfluss von woo-jin ihre selbstbestimmte handlungsfähigkeit. sie sind vollständig determiniert. nicht umsonst nannte park chan-wook als eigentliches thema des filmes: erlösung.

    Mir gefällt es nicht, wie die Gesellschaft den Menschen die Idee verkauft, dass jeder Einzelne in der modernen Gesellschaft alle Probleme lösen kann, wenn er sich nur anstrengt oder seine Talente zum Einsatz bringt. […] Im Film glauben die Figuren ebenfalls, sie würden ihre Handlungen aus freiem Willen ausführen. Erst später finden wir heraus, dass alles von etwas Unausweichlichem kontrolliert wird und es keine Zufälle gibt. – Park Chan-wook

    diese art der determiniertheit, fremdbestimmung und manipulation findet in oldboy formal und filmisch auf allen ebenen ihre entsprechung, nicht zufällig tritt an signifikanten momenten eine hypnotiseurin auf, die einen wechsel des zustands und damit befreiung verspricht. doch als erlösung scheint in oldboy lediglich – suizid. von einer solch düsteren parabel ist tarantino meilenweit entfernt, hitchcocks vertigo (und ebenso sein lieblingsthema aus vielen filmen: ein unbeteiligter gerät fälschlicherweise unter verdacht) jedoch formuliert einen ganz ähnlichen pessimismus. es gibt nichts echtes außer der täuschung, die das wesen der kunst (des films) ist. nur ist oldboy äußerst destruktiv in seinen künstlerischen mitteln. aber ebenso großartig.

    park chan-wook: oldboy. südkorea 2003. 120min. fsk 16.

  • statt deutsche prosa : korean cinema

    statt deutsche prosa : korean cinema

    seit einigen wochen denke ich darüber nach, diesen eintrag zu verfassen. in den vergangenen monaten habe ich kein buch gelesen, das mich gereizt hätte zu einer rezension. und vor den kommenden corona-prosa-werken graut mir vom ersten tagebucheintrag an. tatsächlich hatte ich auch keinen besonderen bedarf an der sich stapelnden literatur, die debatten über kulturelle soziale politische themen [den gesamten identitätenpodcast durchhören bitte] waren interessanter und anregender als die zwischen homeschooling und homeoffice doch quälend langsame langatmige ermüdende lektüre eines großteils der gegenwartsprosa. stattdessen entschied ich mich, lange ungesehene filme des asiatischen kinos abends per kleinbeamer zu schauen – und entdeckte das, was mir in den meisten literarischen texten fehlt: ein wirkliches formenbewusstsein und erzählerische kraft, ohne zu erklären, ohne zu dozieren.

    vor zwei monaten ungefähr notierte ich:

    die streaming dienste sind bestens ausgelastet und das perfekt in die katatstrophe gelaunchte disney+ portal erfreut sich sensationeller beliebtheit. wirklich, disney? ein konzern, der als image nostalgie behauptet und im hauptgeschäft eiskalt ideologische und reaktionäre filmwelten verkauft, deren antisoziales vormodernes gesellschaftsbild offenbar überall anschlussfähig scheint, es kommt eben stets unterhaltsam im märchengewand dahergetänzelt. disney ist der illusionist einer gesellschaft, die nach anschlussfähigen (kapitalistischen großbürgerlichen reaktionären) wunschwelten ausschau hält, denn kino ist immer auch eskapismus und suspendierung einer überhand nehmenden wirklichkeit.

    doch hier ist ein traumloses plädoyer für das kino als kulturform und kunst. wenn also streaming in diesem tagen, dann folgt vor einem beliebigen disneystreifen unbedingt das gegenmodell: modernes koreanisches kino. es gibt seit mindestens 17 jahren nichts aufregenderes zu sehen als filme von kim ki-duk, park chan-wook und natürlich bong joon-ho. was in der zeit nach dem 2. weltkrieg im hollywood von alfred hitchcock oder orson welles und noch viel stärker im new hollywood cinema erzählt wurde, eine gesellschaft aus subjektiver sicht mit stets gesamtheitlicher perspektive, an den brüchen zur entsubjektivierenden moderne, das wird seit einigen jahren im kroeanischen kino konsequent weiter geführt und zu neuen radikalen ausdrucksformen gebracht.

    insgesamt habe ich in den letzten wochen über 50 filme aus asien gesehen, von denen ich ab sofort in der kategorie kino die filme vorstellen möchte, mir am interessantesten erschienen. und auch eine top-ten der besten südkoreanischen filme wird es geben.

    als einstieg eignen sich folgende links für einen überblick:

    korean new wave: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkoreanischer_Film

    aus dem wunderbaren filmmagazin ray https://ray-magazin.at/koreanisches-kino-zwischen-kommerz-und-provokation/

    aus der zeitschrift epd film https://www.epd-film.de/themen/koreanisches-kino

    unbedingt sehenswert ist auch kino aus thailand: https://en.wikipedia.org/wiki/Cinema_of_Thailand

    NACHTRAG: jüngere filme aus südkorea, die in den vergangenen 5 jahren entweder direkt als hollywood-kooperationen entstanden und/oder im bereich actionfilm anzusiedeln sind, werde ich nur eingeschränkt behandeln. der grund ist ihre auf meist bekannte schauwerte reudzierte ästhetik mit geringer inhaltlicher tiefe und schablonenartiger figurenzeichnung, zudem trivialer bis propagandistischer ausrichtung. als symptomatisch mag dafür kim jee-woons the age of shadows gelten, den ich später hier besprechen werde.