ein in vielerlei hinsicht besonderer film ist a girl at my door von july jung. die behandelten themen sind im koreanischen film ungewöhnlich. es ist der erste abendfüllende langfilm der regisseurin, die eigentlich jeong ju-ri heißt, es ist zudem einer der wenigen spielfilme südkoreanischer regisseurinnen, die überhaupt in europa bekannt sind. und obwohl er vielfach ausgezeichnet wurde, auf arte und ard immerhin zweimal unter dem titel dohee – weglaufen kann jeder ausgestrahlt wurde, ist er in deutschland bislang nicht als dvd/blueray oder stream erhältlich.
die junge polizistin lee young-nam (bae doo-na) wird in die koreanische küstenstadt yeosu versetzt. dort begegnet sie dem mädchen du-hee (kim sae-ron), das von mitschülern gemobbt und ihrem oft betrunkenen stief-vater und der großmutter schwer misshandelt wird. da der vater park yong-ha einer der wichtigsten arbeitgeber als krabbenfischer in der stadt ist, kann er ungehindert von der polizei agieren. lee jedoch stellt sich gegen park und du-hee sucht bei ihr schutz. lees ehemalige freundin kommt zu besuch, park sieht wie sie sich küssen. als lee schwarzarbeit und illegale beschäftigung bei parks firma entdeckt, zeigt park lee wegen sexueller belästigung seiner stieftochter an. bei der untersuchung lügt do-hee und lee wird verhaftet. daheim bei ihrem vater jedoch täuscht sie eine vergewaltigung ihres vaters vor, so dass dieser schließlich verhaftet wird und lee freikommt.
es sind eine ganze reihe von themen, die in a girl at my door verhandelt werden. in erster linie natürlich das thema häusliche gewalt, unter der du-hee seit jahren leidet und vor der sie in lees obhut flüchten kann. im film sind wiederholt schwere misshandlungen zu sehen, die du-hee ertragen muss, ebenso wie üble beleidigungen, vor denen sie sich nicht verstecken kann. die selbstverständlichkeit und struktur der gewalt gegen das diesem vollkommen ausgelieferte mädchen, was allen in der kleinstadt bekannt ist, von der polizei mit dem status des vaters legitimiert und von den mitschüler*innen zusätzlich ausgenutzt wird, zeigt der film offen doch ohne vojeuristisch zu sein. es ist vielmehr das offensichtliche zeichen für eine gesellschaftliche schieflage, die lees kollege gleich zu beginn des filmes benennt, doch ohne tatsächlich daraus grundsätzliche rückschlüsse zu ziehen: die demografische fehlentwicklung, überalterung und kaum mehr junge leute, so dass migranten gezwungen werden können, die arbeit unter ausbeuterischen bedingungen auszuführen. das arrangement der gesellschaft, die mit den gewalttätigen strukturen gegen als schwach gesehene menschen zu leben gelernt hat, beinhaltet auch die gewalt gegen die schlecht bezahlten und rechtelosen migranten, die nach den worten von lees polizeikollegen aus nordkorea und südchina stammten. tatsächlich begehrt ein verzweifelter mann aus indien auf – und landet unbeachtet im gefängnis. somit beschreibt der film auf engem raum – viel mehr als ein paar wenige gassen und der kleine hafen sind auch in den hellsten landschaftsaufnahmen nicht zu erkennen – einige zentrale soziale probleme innerhalb der koreanischen gesellschaft, die in europa keineswegs unbekannt sind.
die durch das aufdecken der kriminellen strukturen entstehende unruhe wird im friseursalon natürlich lee angelastet, die selbst mit den konsequenzen ihres handelns überfordert und seit langer zeit alkoholikerin ist. der alkoholkonsum als ein problem auch von frauen ist auch in europa kein thema, über das sich ohne weiteres reden ließe. zu sehr wirkt das bild der schönen, reinen, guten, gesunden frau und mutter, als dass es mit exzess, ausgelebter leidenschaft, selbstzerstörung und depression konfrontiert werden könnte. auch im koreanischen kino stellt die darstellung lees als etablierte trinkerin eine absolute ausnahme dar. die patriarchale imagination von der frau als reines und sexy objekt wird im film von park verkörpert, der dabei durchaus dick aufträgt und lee wiederholt verbal sexistisch belästigt – er ist mehr typus als charakter und damit der schwachpunkt des films. wie sehr alkohol aber bei männern als selbstverständlich verharmlost wird, zeigt erneut lees naiver kollege, der auf die prügeleien von park schulterzuckend mit der alkohol ist das problem reagiert. lee hingegen hat sich eine reihe von vertuschungsstrategien zugelegt, etwa den klaren soju-branntwein in wasserflaschen umzufüllen, da für sie offener alkoholkonsum die entlassung zur folge hätte.
so wie auch ihre lesbische beziehung zur versetzung geführt hat und ihre fürsorge für du-hee als sexuelle belästigung ausgelegt werden kann. homosexuelle, lesbische liebe ist im koreanischen kino ebenso keine selbstverständlichkeit. zwar ist homosexualität in südkorea legal, jedoch sind LGBT-partnerschaften rechtlich nicht gleichgestellt, es gibt keine form rechtlicher offizieller partnerschaft. zudem sind homosexuelle vom dienst mit der waffe als abnormal ausgeschlossen. ein weiterer aspekt ist der nach wie vor wirksame diskriminierende artikel 92 des militärstrafrechts, auf den auch a girl at my door für die polizei anspielt, nach dem jegliche gleichgeschlechtliche handlungen als belästigung zu werten sind. lee wird im verhör auf die konsequenzen hingewiesen, sollte sie sich als lesbisch outen: da sie bereits zugegeben hatte, du-hee körperlich berührt zu haben, wird es als sexuelle belästigung minderjähriger gewertet, wenn sie ihre frühere lesbische beziehung in seoul zugibt. lee verweigert die antwort, nicht wissend, dass du-hee sie bereits verraten hat als rache an lees absage, sie nicht dauerhaft bei sich aufzunehmen. aufgrund des homosexuellen themas im film war die finanzierung vom korean film council abhängig und beschränkt auf $300.000, so dass bae und kim auf ihre gage verzichteten.
a girl at my door verbindet diese themen unaufdringlich, eindrücklich und mit einer erzählerischen ruhe, die im koreanischen kino nur von lee chang-dong bekannt ist – es ist keineswegs überraschend, dass eben dieser als produzent des films mitwirkte. die psychologische tiefe der weiblichen figuren, die beeindruckende schauspielerische leistung sowohl von bae doo-na als auch der jungen kim sae-ron, und nicht zuletzt du-hees befreiung von ihrem stiefvater als akt der selbstermächtigung gegen den status als opfer – july jung hat einen berührenden, vielschichtigen debüt-film vorgelegt, der leider dem deutschen publikum, trotz stehender ovationen bei der aufführung in cannes 2014 und diverser auszeichnungen, so wie die meisten filme südkoreanischer regisseurinnen bislang weitgehend vorenthalten blieb.
july jung: a girl at my door. südkorea 2014. 114min.
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