Kategorie: kino

filme aus asien mit schwerpunkt korea

  • july jung – a girl at my door

    july jung – a girl at my door

    ein in vielerlei hinsicht besonderer film ist a girl at my door von july jung. die behandelten themen sind im koreanischen film ungewöhnlich. es ist der erste abendfüllende langfilm der regisseurin, die eigentlich jeong ju-ri heißt, es ist zudem einer der wenigen spielfilme südkoreanischer regisseurinnen, die überhaupt in europa bekannt sind. und obwohl er vielfach ausgezeichnet wurde, auf arte und ard immerhin zweimal unter dem titel dohee – weglaufen kann jeder ausgestrahlt wurde, ist er in deutschland bislang nicht als dvd/blueray oder stream erhältlich.

    die junge polizistin lee young-nam (bae doo-na) wird in die koreanische küstenstadt yeosu versetzt. dort begegnet sie dem mädchen du-hee (kim sae-ron), das von mitschülern gemobbt und ihrem oft betrunkenen stief-vater und der großmutter schwer misshandelt wird. da der vater park yong-ha einer der wichtigsten arbeitgeber als krabbenfischer in der stadt ist, kann er ungehindert von der polizei agieren. lee jedoch stellt sich gegen park und du-hee sucht bei ihr schutz. lees ehemalige freundin kommt zu besuch, park sieht wie sie sich küssen. als lee schwarzarbeit und illegale beschäftigung bei parks firma entdeckt, zeigt park lee wegen sexueller belästigung seiner stieftochter an. bei der untersuchung lügt do-hee und lee wird verhaftet. daheim bei ihrem vater jedoch täuscht sie eine vergewaltigung ihres vaters vor, so dass dieser schließlich verhaftet wird und lee freikommt.

    es sind eine ganze reihe von themen, die in a girl at my door verhandelt werden. in erster linie natürlich das thema häusliche gewalt, unter der du-hee seit jahren leidet und vor der sie in lees obhut flüchten kann. im film sind wiederholt schwere misshandlungen zu sehen, die du-hee ertragen muss, ebenso wie üble beleidigungen, vor denen sie sich nicht verstecken kann. die selbstverständlichkeit und struktur der gewalt gegen das diesem vollkommen ausgelieferte mädchen, was allen in der kleinstadt bekannt ist, von der polizei mit dem status des vaters legitimiert und von den mitschüler*innen zusätzlich ausgenutzt wird, zeigt der film offen doch ohne vojeuristisch zu sein. es ist vielmehr das offensichtliche zeichen für eine gesellschaftliche schieflage, die lees kollege gleich zu beginn des filmes benennt, doch ohne tatsächlich daraus grundsätzliche rückschlüsse zu ziehen: die demografische fehlentwicklung, überalterung und kaum mehr junge leute, so dass migranten gezwungen werden können, die arbeit unter ausbeuterischen bedingungen auszuführen. das arrangement der gesellschaft, die mit den gewalttätigen strukturen gegen als schwach gesehene menschen zu leben gelernt hat, beinhaltet auch die gewalt gegen die schlecht bezahlten und rechtelosen migranten, die nach den worten von lees polizeikollegen aus nordkorea und südchina stammten. tatsächlich begehrt ein verzweifelter mann aus indien auf – und landet unbeachtet im gefängnis. somit beschreibt der film auf engem raum – viel mehr als ein paar wenige gassen und der kleine hafen sind auch in den hellsten landschaftsaufnahmen nicht zu erkennen – einige zentrale soziale probleme innerhalb der koreanischen gesellschaft, die in europa keineswegs unbekannt sind.

    die durch das aufdecken der kriminellen strukturen entstehende unruhe wird im friseursalon natürlich lee angelastet, die selbst mit den konsequenzen ihres handelns überfordert und seit langer zeit alkoholikerin ist. der alkoholkonsum als ein problem auch von frauen ist auch in europa kein thema, über das sich ohne weiteres reden ließe. zu sehr wirkt das bild der schönen, reinen, guten, gesunden frau und mutter, als dass es mit exzess, ausgelebter leidenschaft, selbstzerstörung und depression konfrontiert werden könnte. auch im koreanischen kino stellt die darstellung lees als etablierte trinkerin eine absolute ausnahme dar. die patriarchale imagination von der frau als reines und sexy objekt wird im film von park verkörpert, der dabei durchaus dick aufträgt und lee wiederholt verbal sexistisch belästigt – er ist mehr typus als charakter und damit der schwachpunkt des films. wie sehr alkohol aber bei männern als selbstverständlich verharmlost wird, zeigt erneut lees naiver kollege, der auf die prügeleien von park schulterzuckend mit der alkohol ist das problem reagiert. lee hingegen hat sich eine reihe von vertuschungsstrategien zugelegt, etwa den klaren soju-branntwein in wasserflaschen umzufüllen, da für sie offener alkoholkonsum die entlassung zur folge hätte.

    so wie auch ihre lesbische beziehung zur versetzung geführt hat und ihre fürsorge für du-hee als sexuelle belästigung ausgelegt werden kann. homosexuelle, lesbische liebe ist im koreanischen kino ebenso keine selbstverständlichkeit. zwar ist homosexualität in südkorea legal, jedoch sind LGBT-partnerschaften rechtlich nicht gleichgestellt, es gibt keine form rechtlicher offizieller partnerschaft. zudem sind homosexuelle vom dienst mit der waffe als abnormal ausgeschlossen. ein weiterer aspekt ist der nach wie vor wirksame diskriminierende artikel 92 des militärstrafrechts, auf den auch a girl at my door für die polizei anspielt, nach dem jegliche gleichgeschlechtliche handlungen als belästigung zu werten sind. lee wird im verhör auf die konsequenzen hingewiesen, sollte sie sich als lesbisch outen: da sie bereits zugegeben hatte, du-hee körperlich berührt zu haben, wird es als sexuelle belästigung minderjähriger gewertet, wenn sie ihre frühere lesbische beziehung in seoul zugibt. lee verweigert die antwort, nicht wissend, dass du-hee sie bereits verraten hat als rache an lees absage, sie nicht dauerhaft bei sich aufzunehmen. aufgrund des homosexuellen themas im film war die finanzierung vom korean film council abhängig und beschränkt auf $300.000, so dass bae und kim auf ihre gage verzichteten.

    a girl at my door verbindet diese themen unaufdringlich, eindrücklich und mit einer erzählerischen ruhe, die im koreanischen kino nur von lee chang-dong bekannt ist – es ist keineswegs überraschend, dass eben dieser als produzent des films mitwirkte. die psychologische tiefe der weiblichen figuren, die beeindruckende schauspielerische leistung sowohl von bae doo-na als auch der jungen kim sae-ron, und nicht zuletzt du-hees befreiung von ihrem stiefvater als akt der selbstermächtigung gegen den status als opfer – july jung hat einen berührenden, vielschichtigen debüt-film vorgelegt, der leider dem deutschen publikum, trotz stehender ovationen bei der aufführung in cannes 2014 und diverser auszeichnungen, so wie die meisten filme südkoreanischer regisseurinnen bislang weitgehend vorenthalten blieb.

    july jung: a girl at my door. südkorea 2014. 114min.

  • park chan-wook – lady vengeance

    park chan-wook – lady vengeance

    mit dem abschlussfilm der rache-trilogie öffnet park chan-wook das koreanische kino in die moderne und zeigt einmal mehr, wie innovativ und kunstvoll das medium film sein kann. die figur der sich blutig rächenden frau wird gebrochen durch die motive der barmherzigkeit und weitet sich zu einer feministischen fabel über die möglichkeiten eines selbstbestimmten lebens für eine frau im modernen korea/in der westlichen welt. lady vengeance (2005) ist komplex erzählt und ebenso wie seine hauptfigur wünderschön und düster – und setzt damit den ton für spätere filme.

    der femizid ist in den 2000er jahren wiederholt thema in koreas kino, sei es in memories of murder, the chaser oder frühling, sommer, herbst, winter … und frühling. dass jedoch derart elegant wie in lady vengeance gegen das patriarchat rebelliert werden würde, war selbst in zeiten von kill bill 1+2 so nicht erwartet worden. im gegensatz nämlich zu tarantinos beatrix kiddo und ihrer japanischen ahnin lady snowblood ist lee geum-ja keine übertrainierte einzelkämpferin, sondern stützt sich auf ein solidarisches netzwerk für ihren racheplan.

    in nichtchronologischer folge erzählt lady vengeance, dessen original-titel die gutherzige frau geum-ja heißt, von eben jener lee geum-ja, die mit 19 für einen mord an einem 5jährigen zu 13 jahren haft verurteilt wurde. in einem frauengefängnis erarbeitet sie sich schnell den ruf eines gutherzigen engels und schafft es, sich unter den mithäftlingen ein vertrauensvolles netzwerk aufzubauen, auf das sie nach ihrer entlassung zurückgreifen kann. sie verfolgt konsequent und in aller ruhe den plan, sich an mr. baek zu rächen. bei ihrem ehemaligen klassenlehrer hatte sie zuflucht wegen einer ungewollten schwangerschaft gefunden, mr. baek zwang sie allerdings, sein eigenes verbrechen der kindesentführung und -tötung mit lösegelderpressung auf sich zu nehmen, andernfalls würde sie ihr eigenes kind auch verlieren. nach dem ende der haftstrafe sucht sie ihre von einem australischen paar adoptierte tochter jenny, diese aber erzwingt gegen den wunsch der eltern die gemeinsame reise nach seoul. über eine ehemalige mitgefangene macht geum-ja mr. baek ausfindig, kidnapt ihn und bringt ihn in eine leerstehende schule. als geum-ja herausfindet, dass mr. baek noch weitere kinder getötet und die morde auf video aufgezeichnet hat, versammelt sie die eltern der getöteten und gibt ihnen ebenfalls die möglichkeit, sich an mr. baek zu rächen. der kommissar, der seinerzeit lee geum-ja als mörderin präsentierte, wohl wissend, dass sie es nicht war, lässt die gruppe gewähren. lee geum-ja bittet schließlich jenny um verzeihung, da sie ihr keine mutter sein konnte und sein wird, mit dieser schuld wird sie leben müssen.

    der film lebt viel weniger vom motiv der rache als der internationale verleihtitel verspricht. die ikonografie zeichnet lee geum-ja als wesentlich definiert vom widerspruch zwischen barmherzigkeit und todesengel, als dass sie wie eine zornig-kalte rächerin gezeigt würde. zwar spielt auch hier der schnee eine motivisch wichtige rolle in diesem farblich sehr genau gearbeiteten film, doch nicht als leinwand für elegante blutfontänen sondern als symbol für einen zustand der reinheit, der sich nicht wiederherstellen oder dauerhaft halten lässt. frau geum-jas plan der rache gerät durch den willen ihrer leiblichen tochter jenny sie zu begleiten durcheinander, da sie sich so der schuld stellen muss, ihr kind frühzeitig verlassen zu haben. wie grandios park diese überlagerung der themen rache und schuld in filmische bilder zu übersetzen weiß, zeigt eine szene in der verlassenen schule: geum-ja lässt mr. baek als englischlehrer ihr geständnis bzw ihre erklärung und entschuldigung an die ebenfalls im raum befindliche jenny ins englische übersetzen, da jenny kein koreanisch kann. so wird der mann, der das leben der beiden frauen vollständig erschüttert und als beziehung zerstört hat, gleichzeitig zum medium und werkzeug, das mutter-tochter-verhältnis sagbar und damit verstehbar, sogar reparierbar erscheinen zu lassen. rache, schuld, misericordia sind in dieser szene unmittelbar zusammengefügt und überlagern sich, so dass es geum-ja nachfolgend nicht schafft, mr. baek zu töten, erst durch die entdeckung der weiteren kindermorde und ihrer beweismaterialien wird der racheplan möglich – indem geum-ja die eltern der anderen kinder so stark emotionalisiert und manipuliert (eine motiv-reminiszenz an den vorgänger oldboy), dass diese mr. baek bereitwillig brutal töten, während geum-ja ihre als tötungswerkzeug konzipierte pistole erst auf den in der grube liegenden toten körper abfeuert. geum-ja hat ihre rache erfolgreich outgesourced unter mithilfe des ehemaligen polizisten, der es sich als persönliche niederlage nicht verzieh, die nachweisbar unschuldige geum-ja damals aufgrund extremer öffentlicher aufmerksamkeit als täterin präsentiert zu haben.

    einen anderen aspekt erzählt lady vengeance außerdem, und hier ist parks film gradezu visionär: er zeichnet das bild eines sich gegenseitig stützenden, schützenden netzwerks von frauen, die ihre souveränität und ihren widerstand gegen die patriarchalen strukturen auf sehr unterschiedliche weisen ausleben, ob als künstlerin, die den judith-mythos für ihre kundinnen stets neu darstellt, ob als unterwürfige hausfrau, die für den richtigen zeitpunkt zum verrat ausharrt oder als outlaw-pärchen, das sich eine nische gefunden hat – sie alle helfen geum-ja bei ihrem rache-vorhaben, so wie sie ihnen während des aufenthalts im frauengefängnis half, und sei es auch, dass sie dafür eine unsolidarische mitgefangene töten muss. der film zeigt somit die notwendigkeit für die schaffung von netzwerken abseits der patriarchalen systemmöglichkeiten, verkörpert vom aufdringlichen, stalkenden priester, dessen rolle es ist, geum-ja ihren platz zur unterordnung zu weisen oder sie, da sie sich wehrt, ans messer zu liefern und sie ermorden zu lassen – was geum-ja abzuwehren weiß. lady vengeance zeigt so eine emanzipierte frauenfigur, psychologisch glaubwürdig und tiefgehend ausgearbeitet, und ihren japanisch-amerikanischen vorläuferinnen weit voraus.

    lady vengeance ist ein vielschichtiger, komplexer, in seiner musikalität, seiner expressivität und im kontext des sowohl koreanischen als auch internationalen kinos außergewöhnlicher film, der den leidens- und befreiungsweg einer frau gegenüber einer misogynen realität nachzeichnet. eine thematik, die park in die taschendiebin aufgriff und noch einmal weiterentwickelte.

    park chan-wook: lady vengeance. südkorea 2005. 115min. fsk 16.

  • park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    park chan-wook – sympathy for mr. vengeance

    der erste film in parks rache-trilogie mit dem auf die rolling stones anspielenden titel sympathy for mr. vengeance ist der schwächste der drei und insgesamt einer der schwächeren seiner filme. die handlung um eine unaufhaltsame gewaltspirale, in gang gesetzt durch gutherzig und stümperhaft agierende figuren, gewinnt in übercolorierten kulissen wenig kontur und wirkt mehr als skizzenblock denn als zusammenhängender film.

    der taubstumme ryu sucht eine niere für seine schwerkranke schwester, die unbedingt eine transplanation braucht. ryu kann ihr selbst keine niere spenden, da der nicht die richtige blutgruppe hat. er wendet sich an eine organhändlerbande und bietet ihnen an, dass sie von ihm eine niere plus 10millionen won erhalten, dafür suchen sie seiner schwester eine passende niere. die bande nimmt lieber nur niere und geld. daraufhin beschließt ryu mit seiner kommunistischen freundin cha, das kind eines reichen zu entführen, um geld für eine legale transplantation zu bekommen. die wahl fällt eher zufällig auf den geschäftsmann park. ryus schwester aber, nach der entführung, lehnt die so erpresste niere ab und bringt sich um. beim begräbnis der schwester ertrinkt das entführte mädchen, woraufhin der geschäftsmann am boden zerstört ist und erst ryus freundin zu tode foltert, während dieser sich an der organhändlerbande grausam rächt, und schließlich auch ryu tötet. park schließlich wird von chas freunden, einer gruppe radikaler kommunisten, am ende getötet, wovor cha ihn gewarnt hatte.

    der film ist anfangs bestimmt von der berührenden fürsorge ryus um seine todkranke schwester, er lässt für sie von einer professionellen sprecherin in einem tonstudio einen brief aufnehmen, um von seinem plan zu erzählen, ihr eine nierentransplantation zu ermöglichen und sich sein ganzes leben um sie zu kümmern, die zudem in einem heruntergekommenen, extrem hellhörigen wohnblock leben muss. auch die beziehung ryus zur gutherzigen und naiven cha, die überall wo sie hinkommt, ihre zuhause gedruckten anti-us-flugblätter verteilt, wirkt glaubhaft und durchaus komisch. der film beginnt mit den organhändlern zu kippen, die bilder erzählen eine komödiantische geschichte, während allmählich immer mehr blut in die handlung läuft. erst erwacht ryu nach der operation völlig nackt mit einer enormen narbe auf der seite. dann massakriert sich ein verzweifelter angestellter von park auf offener straße vor den augen der 7jährigen tochter. lediglich der suizid von ryus schwester wird nicht offen gezeigt und erscheint dadurch geradezu pietätvoll, während die anderen tode und morde – allen voran ryus rache an den organhändlern – ausgiebig ausgestellt werden.

    der film findet dadurch keine balance zwischen der teilweise sehr feinfühligen, teilweise sehr grobkörnigen komik der figuren und ihren naiven, aus den besten oder zumindest nachvollziehbaren motiven verfolgten, jedoch ins desaster führenden handlungen. der film verzichtet zudem bis auf vor- und abspann gänzlich auf musik, die zumeist statische kamera mit den starren und langen einstellungen entdynamisiert das geschehen zusätzlich und lässt die zuschauer mit kühler distanz, beinah mitleidlos, an den schweren schicksalsschlägen der figuren teilhaben. diese kälte der kameraaufnahmen wiederspricht maximal dem hochemotionalen geschehen auf der leinwand, das in langen und detaillierten bildern das leiden, den schmerz und den tod aller beteiligten figuren zeigt, in beinah immer zu stark colorierten umgebungen, wodurch der film zudem noch einen comic-charakter erhält. all diese sich mehr aneinander reibenden als zueinander fügenden elemente, dazu das insgesamt sehr spleenige personal des films – warum muss am fluss, wo ryus schwester beerdigt, parks tochter ertrinkt und schließlich ryu selbst stirbt, ein sehr ausgestellter spastiker herumlaufen, soll das unterhaltsam sein? ich habe allgemein ein problem damit, wenn schauspieler ohne dramaturgische notwendigkeit eine „behinderte“ figur nachspielen, das erscheint mir stets als eine form des blackfacing – all dies macht aus dem film eine stoffsammlung für mögliche spätere arbeiten, sogar berechnung und kunstgewerbe wurde ihm unterstellt. insbesondere das sehr niedrige tempo von mr. vengeance steht in starkem kontrast zur atemlosigkeit des nur ein jahr später folgenden meilensteins oldboy. diese rasanz und ihre hochintelligente filmische umsetzung ist bei mr. vengeance noch nicht absehbar, dafür allerdings das sehr hohe formbewusstsein und das gespür für sehr widersprüchliche kontrastierungen.

    zur vollständigkeit von park chan-wooks werken sollte man sympathy for mr. vengeance gesehen haben, als teil des frühwerks ist es umso faszinierender zu erleben, welch außergewöhnliche arbeiten diesem film nachgefolgt sind.

    park chan-wook: sympathy for mr. vengeance. südkorea 2002. 121min. fsk 16.

  • park chan-wook – oldboy

    park chan-wook – oldboy

    es ist einer der einflussreichsten koreanischen filme überhaupt, dessen szenen ikonisch sind, oft kopiert wurden und als weltweites kulturgut in diversen kontexten erscheinen: oldboy von park chan-wook. (auf das bedeutungslose remake von spike lee braucht hier nicht eingegangen zu werden.) es sind weniger die teilweise äußerst brutalen szenen, sondern insbesondere die komplexe geschichte und ihre bewusst verwirrende erzählweise, die die wirkungsgeschichte des films begründen.

    der inhalt soll kurz umrissen sein: oh dae-su (choi min-sik) wird am 4. geburtstag seiner tochter plötzlich eingesperrt und kommt nach 15 jahren unerwartet wieder frei. den grund seiner freiheitsberaubung soll er selbst herausfinden. mithilfe der jungen hübschen mi-do (kang hye-jeong), einer angestellten eines sushi-restaurants, mit der er eine beziehung beginnt, sinnt er auf rache an seinen peinigern. er kann sowohl den ort seiner haft ausfindig machen als auch die spur zu seiner alten schule finden. dort hatte dae-su seinen mitschüler lee woo-jin (yoo ji-tae) beim inzest mit dessen schwester beobachtet und dies weitererzählt. die schwester, aufgrund des gerüchts. von woo-jin schwanger zu sein, beging suizid. doch nicht als strafe für den tod seiner schwester ließ woo-jin dae-su einsperren, sondern um sich nachfolgend an ihm zu rächen: mi-do ist dae-sus tochter und woo-jin wollte dae-su so manipulieren, dass auch er zum inzest gedrängt wird.

    oldboy ist eine verfilmung eines japanischen manga-comics und der zweite film der lose verknüpften rache-triologie – und ist doch als rache-drama nur unzulänglich beschrieben. 2003 erhielt er in cannes den großen preis der jury unter vorsitz von quentin tarantino, er ist oft mit tarantinos filmen, insbesondere mit kill bill und der verschlungenen erzählweise von pulp fiction verglichen worden. tatsächlich hat oldboy mit tarantino nicht sehr viel gemein. wenn tarantino ästhetisierte gewalt als stilmittel zur unterhaltung und mit distanzierender pop-art einsetzt, so verwendet park die exzessive, brutale gewalt deutlich fatalistischer und wesentlich existenzieller: oh dae-su rächt sich grausam an seinen wächtern – berühmt sind die hammer-szenen im korridor und beim zahnchirurgischen eingriff – und gleichzeitig sind diese szenen auf filmischer ebene ein instrument der emotionalen manipulation des zuschauers. oldboy gewährt keinen moment ruhe und besinnung, der film ist von der allerersten szene verwirrend, hochspannend und aufwühlend: um so im film die manipulation von dae-su durch woo-jin sichtbar zu machen. das, was dort auf der leinwand geschieht, das verspeisen eines lebenden octopus (beim dreh waren es sogar vier), die gewaltexzesse und der zeitdruck, unter dem dae-su steht, das rätsel seiner haft zu lösen, die expressionistischen bilder (dae-sus erwachen aus einem roten koffer auf grünem gras, mi-do mit einer riesigen ameise in der u-bahn etc) und die verwirrend erzählte geschichte bilden die extreme überwältigung ab, die auch dae-su auf seiner rache-achterbahnfahrt erfährt. so sehr, dass er schließlich die gleichen worte der verlorenen selbstachtung und verzweiflung gebraucht, wie der selbstmörder, dem er zu beginn des films bzw nach seiner unerwarteten haftbefreiung auf dem dach eines hochhauses traf: auch wenn ich keinen deut besser bin als ein wildes tier, so habe ich doch ein recht darauf zu leben!

    auf eine äußerst fatalistische weise – nämlich dem fatum der zerstörung, der entwürdigung, der enttäuschung und dem scheitern nicht entkommen zu können – ist oldboy damit weniger tarantino als vielmehr alfred hitchcocks vertigo verwandt. manipulation, verwirrung des realitätssinns, hypnotische, schwindelerregende bilder und perspektiven und die verzweifelte suche nach einer wahrheit bzw selbstbestimmten freiheit: was scottie in vertigo versucht wiederzufinden, nämlich die frau, in die er sich verliebt hat, die sich vor seinen augen tötete, die als schauspielerin wiederkehrt, sodass er einer neuen täuschung madelaine/judy verfällt, das wiederfährt dae-su im motiv des inzestes. täuschung, manipulation und eine vorausgeplante figur zu sein in einem gänzlich anderen plot als vermutet. fatalistisch daran ist vor allem die täuschung, zu glauben man habe sein leben selbst in der hand. so wie woo-jin und seine schwester ihre selbstbestimmung durch die offenbarung des geheimnisses verloren und beide sich letztlich deshalb selbst töteten, so verlieren dae-su und mi-do unter dem einfluss von woo-jin ihre selbstbestimmte handlungsfähigkeit. sie sind vollständig determiniert. nicht umsonst nannte park chan-wook als eigentliches thema des filmes: erlösung.

    Mir gefällt es nicht, wie die Gesellschaft den Menschen die Idee verkauft, dass jeder Einzelne in der modernen Gesellschaft alle Probleme lösen kann, wenn er sich nur anstrengt oder seine Talente zum Einsatz bringt. […] Im Film glauben die Figuren ebenfalls, sie würden ihre Handlungen aus freiem Willen ausführen. Erst später finden wir heraus, dass alles von etwas Unausweichlichem kontrolliert wird und es keine Zufälle gibt. – Park Chan-wook

    diese art der determiniertheit, fremdbestimmung und manipulation findet in oldboy formal und filmisch auf allen ebenen ihre entsprechung, nicht zufällig tritt an signifikanten momenten eine hypnotiseurin auf, die einen wechsel des zustands und damit befreiung verspricht. doch als erlösung scheint in oldboy lediglich – suizid. von einer solch düsteren parabel ist tarantino meilenweit entfernt, hitchcocks vertigo (und ebenso sein lieblingsthema aus vielen filmen: ein unbeteiligter gerät fälschlicherweise unter verdacht) jedoch formuliert einen ganz ähnlichen pessimismus. es gibt nichts echtes außer der täuschung, die das wesen der kunst (des films) ist. nur ist oldboy äußerst destruktiv in seinen künstlerischen mitteln. aber ebenso großartig.

    park chan-wook: oldboy. südkorea 2003. 120min. fsk 16.

  • park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    park chan-wook – i’m a cyborg, but that’s ok

    über die liebe erzählt park chan-wook ebenfalls auf seine sehr eigene weise, der nach abschluss seiner wenig humorvollen rache-trilogie 2006 die quietschbunt verspielt-naiv-komische geschichte einer jungen frau auf die leindwand brachte, die sich selbst für eine maschine hält: i’m a cyborg, but that’s ok könnte in keinem größeren kontrast zu seinen vorherigen werken stehen und ist doch ein auszeichen dafür, mit welch absurder komik und mit wieviel einfühlungsvermögen und überraschender zärtlichkeit von liebe und zuneigung erzählt werden kann.

    die geschichte selbst ist dabei nicht wesentlich: young-goon, gespielt mit den größten augen seit audrey tatous amélie von lim su-jeong, glaubt eine maschine zu sein und schließt sich an eine steckdose an. in einer nervenheilanstalt beschließt sie, auf nahrung zu verzichten und sich durch lecken an batterien aufzuladen, wodurch sie immer stärker abmagert. einzig il-sun, der sich für einen meisterdieb hält und den patienten ihre eigenschaften stehlen kann, findet einen zugang zu young-goon. il-sun baut ihr eine reismaschine ein, die essen in elektrische energie umwandeln kann, wodurch er sie rettet.

    i’m a cyborg, but that’s ok lebt von seiner erzählweise: es ist ein film, der stilistisch und formal herausragt und in seinen bildern, seiner grellen farbgebung, seinen völlig entrückten figuren und der kameraführung ganz wesentlich die geschichte definiert – es ist entscheidend, wie sie erzählt ist. cyborg ist ein äußerst detailreicher, kauziger film, der seine liebe zu den sonderlingen und ihrer nicht-nützlichen weltbeziehung rigoros ausstellt: ein film, den tim burton immer machen wollte, aber sich nie getraut hat. die optik ist grotesk übertrieben, allein die credits des vorspanns, die in die filmhandlung übergehen und wundervoll arrangiert sind, bezeugen eine verspieltheit und genauigkeit, die den film prägen. hinzu kommen extreme nahaufnahmen, eine übersättigung der farben und eine schier unendliche fülle an einfällen zur bebilderung der entrücktheit und des weltschmerzes, die young-goon prägen. das geht so weit, dass sogar vor einer üblen massaker-phantasie nicht halt gemacht wird, die absurde actionfilm-ästhetik à la matrix / terminator aufnimmt und eigentlich ein wüstes gemetzel darstellt, das deutlich zu weit geht – die übersteigerung ist allerdings hier programm.

    young-goons eigentliches trauma, der verlust der ebenfalls psychisch instabilen oma in eine ähnliche nervenheilanstalt, zeichnet der film mit ihrer absurden parallelwirklichkeit nach und findet in der beziehung zu il-sun eine lösung. im schlusstableau nach einem nächtlichen regen zeichnet der neue morgen ein überzuckert scheinendes bild mit regenbogen und nachcoloriertem sonnenaufgang, und doch fügt sich dieser deutlich zu dick aufgetragene neue morgen eben genau so harmonisch und glaubhaft in den gesamten film, ohne ansatzweise lächerlich zu sein. im gegenteil scheint hier nun ein ruhezustand erreicht nach einer emotionalen wildwasserfahrt, und das alles im beengten gelände eines irrenhauses. der topos der nervenheilanstalt, im kino grundsätzlich definiert von einer flog übers kuckucksnest, ist in parks cyborg jedoch kein gefängnis, sondern ein ort der maximalen individuellen freiheit, da die insassen ihre spleens und sonderbegabungen wie in einem schutzraum ausleben können. so versagt sich cyborg auch trivialer zivilisationskritik an der feindlichen normierenden finsteren kapitalismuswelt, sondern feiert die jeweils vorhandene individuelle persönlichkeit mit all ihren verrenkungen, brüchen, knacksen und albernheiten, um letztlich doch vertrauen und gemeinschaft zu finden. i’m a cyborg, but that’s ok sagt schon im titel lakonisch und lebensbejahend: ich bin zwar ein anderes wesen als ihr vielleicht denkt, aber das geht so völlig in ordnung und muss niemandem angst machen.

    tröstlicher, irrwitziger, unterhaltsamer wurde lange nicht von liebe erzählt.

    park chan-wook: i’m a cyborg, but that’s ok. südkorea 2006. 105min.

  • kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    kim ki-duk – seom / the isle / die insel

    von den leisen filmen kim ki-duks, die von stillen, einsamen menschen und weltentrückter ferne handeln, ist seom – the isle – die insel sicherlich der herausragendste, ein frühes meisterwerk, eine faszinierene erzählung über die liebe und ihre ebenso zärtliche wie schockierend grausame sprache, in betörend einfachen, doch elementaren bildern und sehr wenigen worten.

    die geschichte spielt auf einem see fernab der städte, eine junge frau, hee-jin, vermietet an ausflügler kleine hausboote für einen kurzen angel-ausflug. die schweigsame frau bietet angelzubehör, kleinigkeiten zu essen und ggf auch liebesdienste an. auch hyun-shik mietet sich dort ein, der aber ein versteck vor der polizei und sich selbst sucht, da er seine frau und ihren liebhaber getötet hat. als er sich selbst ebenfalls töten will, rettet ihn hee-jin, woraus eine besondere beziehung der beiden entsteht. doch erst durch die seelische verletzung hee-jins, die hynun-shik mit einer prostituierten betrügt, und hee-jins eigenem suizid-versuch, finden die beiden aneinander so etwas wie heilung und fliehen mit dem hausboot aus dem see.

    seom ist ein mehrdimensionaler film, der sowohl auf der ebene der rein abbildenden narration als auch in seinen archaisch anmutenden symbolen gelesen werden kann. im zentrum steht dabei die figur des angelns als begehren, körperliches, emotionales begehren. die geliebten und verletzten lebewesen sind sowohl im als auch über dem wasser, so bewegen sich auch menschliche körper auf, im und unter wasser, als seien sie ebenso wie fische. die verletzungen, die durch die haken an den tieren verursacht werden, wiederholen sich ganz konkret körperlich auch an den hauptfiguren, da hyun-shik mehrere angelhaken schluckt, um sich zu töten, und hee-jin ihre verletzungen durch die männer sich selbst zufügt, als sie eben jene angelhaken in ihre vagina einführt – es sind dies drastische, verstörend intensive doch radikale, konsequente ausformulierungen der ambivalenten, paradoxen beziehung, die darin besteht, dass sich hee-jin und hyung-shik sozusagen gegenseitig angeln und zutiefst verletzen. gleichzeitig ist es auch die begründung ihrer sprache der liebe, denn die sprache der fische ist die stummheit, hee-jin sagt im gesamten film kein wort, und sie setzen sich je die haken in die „münder“: die angel wird somit zum werkzeug der kommunikation. einer schmerzhaften, grausamen, ebenso liebevollen kommunikation, da sie sich gegenseitig retten, schützen und verteidigen gegen die ihre beziehung angreifenden personen wie die prostituierte, ihr zuhälter und die polizei. gleichzeitig ist hee-jin als (stumme) nymphe gekennzeichnet, die sowohl die männer betört als diese auch grausam bestraft. die erotische signatur des films ist unübersehbar, die schlusseinstellung – hyung-shik verschwindet in einer schilf-insel, die sich überblendet als schambehaarung der unter wasser ruhenden hee-jin – versinnbildlicht dies noch einmal als thema des films.

    liebe, sex, begehren, verletzungen und grausamkeit, dazu eine wortlose, über gesten und handlungen geleitete kommunikation, dies alles in einem idyllischen setting: um dem allzu banalen satz stille wasser sind tief hat kim ki-duk mit seom einen außergewöhnlichen, streng komponierten, geradlinig erzählten film geformt, der in seiner ruhigen erzählweise von den deftigen momenten jäh zerschnitten wird, dass es bei der aufführung in cannes zu ohnmachtsanfällen kam.

    kim ki-duk: seom – the isle – die insel. südkorea 2000. 90min. fsk 16.

  • kim ki-duk – hwal / der bogen

    kim ki-duk – hwal / der bogen

    bleiben wir noch ein wenig bei kim ki-duk, dessen filme der frühen 2000er jahre wesentlich von starken gegensätzen bestimmt sind, etwa in kommunikation, räumen, besetzung und beziehung. in konzentrierter und sehr poetischer form lässt sich dies an hwal – der bogen (2005) nachzeichnen, der zu den zugänglichen filmen kims zählt.

    ein mädchen (han yeo-reum) lebt mit einem älteren mann (jeon seong-hwang) seit mehr als 10 jahren auf einem boot in einiger entfernung der küste, das der mann für hobbyangler zur verfügung stellt. sobald sie 17 jahre als wird, soll geheiratet werden, das datum ist breit im kalender vermerkt und traditionell hochzeitliche kleidung ist auch besorgt. vor den hobbyanglern schirmt der alte sein mädchen mit seinem bogen ab, der auch als orakel genutzt wird, ebenso als musikinstrument. doch als ein junger mann das boot besucht, entscheidet sich das mädchen neu und bringt die welt des alten aus dem gleichklang.

    es sind hier elementare und zutiefst widersprüchliche bedingungen geschaffen für einen film mit reichlich symbolik – der alte und die junge schöne, die auf der schwelle vom kind zur frau steht, von der gewohnt-geliebten behütung zum eigensinn sich entwickelnd, während die altväterliche fürsorge in trotz, gier, aggression und verlustangst umzuschlagen droht. es ist die extreme enge ihrer gemeinschaft auf dem kleinen fischerboot inmitten eines unendich großen raumes, das zu einem gefängnis wird – variationen dieses räumlichen gegensatzes wären mit deutlich höherem technischen aufwand und spiegelglatter optik im sci-fi-genre zu suchen (gravity oder passengers). es ist die wortlose kommunikation des ungleichen paares, die sich hauptsächlich über blicke verständigen. und nicht zuletzt der titelgebende bogen selbst, der als „figur“ verschiedene rollen übernimmt, als orakel, als waffe, als musikinstrument – und dient damit ebenfalls wesentlich der kommunikation und symbolisiert die vielschichtigkeit der beziehung, die der alte und das mädchen führen. die abwesenheit verbaler kommunikation ist bei kim aus vielen filmen bekannt, schon in die insel war die weibliche hauptfigur stumm, in bin-jip sagt eine der beiden hauptfiguren erst am ende zwei sätze, die andere bleibt schweigend, und in frühling… war das gespräch des meisters mit seinem schüler ebenfalls sehr reduziert und vom gegensatz weite natur – enge behausung geprägt. die betonung des nicht-redens als theatrales element, zudem vielen nahaufnahmen von gesichtern wie aus der stummfilmzeit bekannt, lässt in der bogen auch mit sehgewohnheiten und dem medium film spielen – wobei kim die abwesenheit von sprache erst in moebius auf die spitze trieb, da dort während des gesamten films nicht gesprochen wird (alle genannten filme werden in den kommenden tagen besprochen). und nicht zuletzt verhandelt der film natürlich die besondere spannung zwischen den geschlechtern und lebensaltern gleichermaßen, die von zärtlich und liebevoll bis gewalttätig und sadistisch reicht, die hierarchie zwischen den figuren dabei wankend, kippend, umstürzend: als der alte schließlich erkennen muss, dass er gegen die entscheidung der nun jungen frau nicht ankämpfen kann, halten sie zwar die vereinbarte hochzeit, an dessen ende aber er sie schließlich frei lässt.

    zwar erreicht der bogen nicht die emotionale kraft anderer filme kims, da ihm gerade die wiederholung bereits bekannter themen vorgeworfen werden kann, dennoch ist die unaufdringliche erzählung, die ausformulierte symbolsprache und ihre tatsächliche weltferne ein gelungener, ruhiger kinogenuss.

    kim ki-duk: hwal – der bogen. südkorea 2005. 89min.

  • kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    kim ki-duk – frühling, sommer, herbst, winter… und frühling

    nach den blicken in die moralischen und gewalttätigen abgründe, in denen tiefes misstrauen gegenüber staatlichem ordnungsversprechen entstanden ist, könnte nun der kontrast augenscheinlich nicht größer sein. kim ki-duk definierte vor allem in europa mit frühling, sommer, herbst, winter… und frühling das jüngere fernost-asiatische kino, vor allem da der von buddhistischen lehren geprägte film fernost-asiatische bilder (kontemplativ, spirituell, kreis des lebens, schönheit) zu bestätigen scheint. dabei ist der erhabenheit und weisheit eine beunruhigende erzählung eingeschrieben, die sich gegen die friedlich-spirituelle lesart sperrt.

    auf einem kleinen see inmitten bewaldeter berge lebt ein mönch mit einem kind als sein schüler, ob es sein eigenes ist oder woher es kommt, bleibt unbekannt. jeder jahreszeit im filmtitel sind einzelne lebens- und lernphasen des aufwachsenden schülers zugeordnet. so muss er als frühlings-kind einen demütigen umgang mit tieren und der natur lernen, im sommer erfährt er seine erwachenden leidenschaften, als eine junge frau von ihrer mutter zur heilung in die einöde gebracht wird, im herbst kehrt der junge mann voller zorn auf die frau zurück, da sie ihn für einen anderen verließ und er sie daraufhin tötete, im winter kommt er erneut zurück nach einer langen haftstrafe für seine tat, der meister hat seinem leben ein ende gesetzt, eine unbekannte frau bringt nachts ein baby in die einöde und ertrinkt im see, im neuen frühling ist das kind nun der novize und der ehemalige schüler hat den platz des meisters eingenommen.

    der film stellt seinen aufbau offen aus, für jedes der fünf kapitel betreten die zuschauenden den bereich des sees durch ein sich öffnendes hölzernes tor wie durch einen theatervorhang, um dann noch den weg zur im zentrum des sees schwimmenden behausung zurückzulegen. die ruhe der umgebenden natur, in die sich das leben von meister und schüler einfügt, wird ebenso breit ausgestellt und rhythmisiert den film. das tor als konkretes zeichen, obwohl es daneben keine zäune gibt, wiederholt sich im hausinneren als abtrennung von schlaf- und gebetsbereich, und obwohl es im inneren des hauses keine wände gibt, muss auch dieses tor unbedingt durchschritten werden, es gehört zum ordnungsprinzip des filmes und der vom meister verkörperten buddhistischen lehre. in dem moment des sommers, als der jugendliche schüler mit der jungen frau nachts das tor ignoriert, um gemeinsam im ruderboot sex zu haben, ist für den meister die ordnung so weit gestört, dass er das im boot treibende paar mit ihrem leben bedroht und das boot untergehen lassen möchte. die regelverletzung muss strafend geahndet werden, der pädagogische eingriff entspringt einem tiefen misstrauen gegenüber einem auf besitz und beherrschung basierenden modernen lebensstil, wie es der meister selbst formuliert. auffällig ist, dass alle fünf kapitel um einen explizit gewalttätigen akt der regelverletzung angelegt sind. im ersten frühling quält der sehr junge schüler einen fisch, einen frosch und eine schlange, indem er ihnen jeweils steine umbindet. zur buße bindet der meister seinem schlafenden schüler ebenfalls einen schweren stein um. im herbst liegt die gewalt vor dem kapitel, denn der schüler hat seine frau getötet und wird am ende von der polizei verhaftet. was den lehrer dazu bewegt, sich selbst zu töten. im winter stirbt die verhüllte frau im see, nachdem sie ihr baby zur hütte gebracht hat. und im neuen frühling wiederholt der neue junge schüler die grausamkeiten des damals jungen meisters an den drei tieren – wobei anzumerken ist, dass die szenen der tierquälerei nicht im deutschen kino zu sehen waren und auf der dvd in den extras als „alternatives ende“ zu finden ist.

    was der meister seinem schüler mitzugeben versucht, ist eine abkehr von der gier und damit von der konsumgesellschaft. allerdings scheitert der meister mit seinen pädagogischen versuchen, da der schüler in seiner sexuellen leidenschaft auch besitzanspruch auf die junge frau erhebt und sich nach seiner ungeheuerlichen tat noch immer uneinsichtig darin zeigt, dass ihm ein mensch nicht gehören kann, eine frau nicht sein eigentum ist. das scheitern des meisters liegt zudem in der kreisstruktur des filmes begründet, denn die beiden frühlinge als anfänge des zirkularen lebens beinhalten einen zwar gereiften meister (der neue meister ab dem winter-kapitel wird von kim ki-duk selbst gespielt), dem es aber nicht gelingen wird, den kreislauf maskuliner herrschaft, des von besitz und gewalt und seiner pädagogischen strafe geprägten, sich immer wiederholenden lebens auch in der buddhistischen einsamkeit zu durchbrechen. die filmstruktur legt weiterhin nahe, dass der alte schüler ebenso ein waisenkind wie der neue schüler ist, dessen mutter verstarb und dessen geburtsumstände unklar sind, womöglich auf eine vergewaltigung zurückgehen, denn welche frau würde anonym (im film trägt sie ein tuch über das gesicht gebunden) ihr kind weggeben, wenn es nicht außerhalb der waldsee-einsiedelei repressionen ausgesetzt wäre. der versuch des neuen meisters, gemäß buddhistischer lehre heilung zu finden, um das leiden zu mindern, wird jedoch sehr wahrscheinlich erneut scheitern.

    so spendet frühling, sommer, herbst, winter… und frühling zwar trost, doch so vorbehaltlos lyrisch und nirgends ein Schockbild, vielmehr Schwelgen in Schönheit ist eine zu oberflächliche lesart eines films, der vielmehr eine fluchtbewegung verhandelt und damit viel mehr mit henry david thoreau bzw jon krakauers und sean penns into the wild als mit bloß schön anzusehendem, buddhistischen religionsunterricht für europäer zu tun hat.

    kim ki-duk: frühling, sommer, herbst, winter… und frühling. südkorea 2003. 102min (internationale, geschnittene fassung).

  • kim sung-soo – asura

    kim sung-soo – asura

    zeigte the chaser eine gesellschaft, die ihren zusammenhalt verloren hat und für innere bedrohungen enorm anfällig geworden ist, so präsentiert asura (im internationalen vertrieb mit dem untertitel city of madness) eine gesellschaft im vollständigen zusammenbruch. hier hält nichts mehr, keine allianzen, keine versprechen, hier agieren die protagonisten von einem tiefen zorn genährt, misstrauisch, zynisch, radikal. das ende des films ist so konsequent unausweichlich wie schwer erträglich, nichts für den lockeren freundeabend.

    die zutaten sind einfach: die ewige korruption, die selbstverständliche polizeigewalt, ein bürgermeister mit bauprojekt, skrupellos und bestens vernetzt, ein ebenso unerbittlicher staatsanwalt, dazwischen ein doppelagent, polizist, leibwächter, undercover-ermittler wider willen – der ganz normale politische alltag für einen kriminalfilm, könnte man meinen. asura allerdings ist kein kriminalfilm, in dem es um einen fall und dessen lösung ginge, dieser film hat eine grundsätzliche dimension: asuras sind in der buddhistischen lehre titanen oder streitende halbgötter, und eben dieser streit ist der inhalt des filmes, ein unbarmherzig ausgefochtener streit, bei dem es keine gewinner gibt. eine titelsetzung, die an dostojewskis roman dämonen/böse geister erinnert, der auf einen alten russischen volksglauben zurückgriff, dass böse geister in menschen fahren und diese zu schlechten taten treiben. in asura streiten vergleichbar titanen in menschengestalt miteinander, und um dies weiter zu verdeutlichen, ist kein realer ort gewählt worden, sondern die fiktive stadt annam. ausgehend von diesen eckpfeilern könnte man asura auch ins fantasy-genre einsortieren, der im mantel eines kriminalfilms eine geradezu religiös-eifernde verstörung zwischen den sozialen und politischen kräften vorführt, die abgründiger selten dargestellt wurde.

    der machthungrige, selbstgefällige bürgermeister park möchte ein neues bauprojekt in der stadt realisieren, der selbst daran profitieren würde. zeugen, die gegen park aussagen könnten, lässt er mittels für ihn arbeitenden polizist han beseitigen. dabei wird von han ein anderer polizist getötet, was er mittels bauernopfer zu vertuschen sucht. staatsanwalt kim aber entdeckt dies und versucht so, han für sich zu zu gewinnen, um material gegen park zu bekommen. es beginnt ein gefährliches spiel um allianzen und täuschungen, in dessen mittelpunkt han steht, der zudem privat das ziel verfolgt, sich seiner schwer kranken frau nicht offenbaren und sie verlieren zu müssen. um die situation zu bereinigen, organisiert han ein treffen mit kim und park in einem restaurant, das vollkommen aus dem ruder läuft.

    asura ist ein zutiefst düsterer, pessimistischer film, tageslicht ist so gut wie nicht vorhanden, und die handelnden figuren gehen zu keinem zeitpunkt zimperlich miteinander um. die qualität des films liegt in seiner dramaturgischen entwicklung, wie er es schafft, szene für szene die figuren ein stück näher an die unausweichliche und doch für einen moment abwendbar scheinende katastrophe zu führen. die schlussszene im restaurant ist knapp 40minuten lang und endet in einem blutrausch, der fern jeder tarantino-gleichen ästhetischen überhöhung ist. nichts dient hier der allgemeinen unterhaltung, hier wird das gesellschaften zersetzende gift der korruption zu seinem grauenvoll konsequenten ende auserzählt, ohne überlebende, ohne moralischen gewinn, ohne irgendeinen helden. eine gesellschaft, deren zentrale akteure nicht anders handeln als aus eigennutz und ohne jede verantwortung, ist nicht nur auf dauer nicht lebensfähig, sie ist vollständig destruktiv (oder nach ivan turgenjews väter und söhne bzw dostojewskis böse geister: nihilistisch) und erscheint auch nicht mehr korrigierbar, nicht mehr reformierbar, sondern in ihrem wesenskern hoffnungslos.

    kim sung-soo: asura – the city of madness. südkorea 2016. 128min. fsk 18.

  • na hong-jin – the chaser

    na hong-jin – the chaser

    beschrieb memories of murder 2003 die historische signatur der südkoreanischen gesellschaft, die ihre traumata verdrängt hatte, erleben wir in the chaser fünf jahre später das auseinanderbrechen eben dieser gesellschaft. hier sind nur noch einzel- und partikularinteressen am destruktiven werk, einen überblick oder gar verständnis für ein gesamtbild entwickelt keine einzige figur, was katastrophale folgen hat. und spoileralarm: es wird im danach folgenden film noch schlimmer.

    es geht um den rücksichtslosen zuhälter joong-ho, ehemaliger polizist in seoul, der das verschwinden seiner prostituierten mit einem kunden in zusammenhang bringt. joong-ho verdächtigt den kunden, den sympathisch wirkenden yeong-min, die frauen nach china zu schleusen. tatsächlich hat yeong-min die frauen alle grausam getötet, selbst als er dies der polizei gegenüber offenbart, glauben ihm weder die polizisten noch joong-ho und vermuten einen verwirrten wichtigtuer ähnlich dem mann, der den bürgermeister bei einer veranstaltung mit kot bewarf. die von yeong-min verschleppte und schwer verletzte mi-jin, die ebenfalls für joong-ho arbeitet, schafft es, sich aus ihrer lage zu befreien, doch yeong-min trifft sie zufällig wieder und tötet sie. mi-jins tochter, die joong-ho während seiner suche nach dem schleuser begleitet, bleibt mit joong-ho zurück.

    an dieser inhaltsskizze ist erkennbar: dieser film ist auf vielen ebenen abgründig. schon die hauptfigur joong-ho bietet nur bedingt identifikationsfläche, wer vom polizisten zum zuhälter umsattelt, hat einen beachtlichen moralischen niedergang absolviert. er erniedrigt seinen mitarbeiter rund um die uhr, schickt mi-jin vom krankenbett zur arbeit und spricht mit allen personen ausnahmslos arrogant und aggressiv. die nachverfolgung von yeong-mins verschwinden ist ausschließlich von seinem drohenden ruin motiviert, selbst ihre sechsjährige tochter eun-ji behandelt er nicht besser. erst als er yeong-mins schwester aufsucht und erfährt, dass yeong-min deren sohn grausam verstümmelt hat und dafür im gefängnis war, ahnt er, dass yeong-min die wahrheit gesagt haben könnte. yeong-min wiederum ist als ein dämon gezeichnet, unauffällig, hübsch, verletzlich wirkend, dass die polizei seinen worten nur deshalb versucht, glauben zu schenken, da sie selbst unter erfolgsdruck steht und positive resultate vorweisen muss. doch yeong-min tötet sadistisch im keller eines hauses, dessen eigentlichen besitzer er ebenfalls ermordet hat, um ungestört an frauen „rache“ zu nehmen für seinen makel der impotenz. der einzige funken hoffnung in diesem durch und durch beklemmenden film ist die wandlung joong-hos zum fürsorger für die waisin eun-ji.

    dass der film den patriarchalen begriff von frauen als objekt, ware, dienstleistung, schlachtvieh, und das maskuline selbstbild von stärke, dominanz, (sexueller) gewalt und ausbeutung grundsätzlich ablehnt, ist überdeutlich.die nachforschungen joong-hos mit eun-ji als ihn nervende begleiterin führen ihn zu verschiedenen privaten zuhälterfirmen, die über die gesamte stadt verteilt sind, die frau als geschäftsgrundlage erscheint als völlig selbstverständlich so wie bäckereien nichts skandalöses haben. auffällig ist, wie orientierungs- und hilflos sämtliche figuren agieren, mit ausnahme von yeong-min, dem es völlig egal zu sein scheint, was mit ihm selbst geschieht, als wäre ihm von anfang an klar, dass sein geständnis für die überarbeiteten polizisten viel zu übertrieben klingt, um ihm glaubhaft gefährlich zu werden. beklemmend ist die gesamte stimmung des films, die räume im film sind chaotisch, eng und schlecht beleuchtet, die wohn- und büroräume sind von erschreckender armut geprägt (ausnahme ist yeong-mins besetzte villa), auch die straßen und wege eng, düster und verwinkelt, die darstellung der stadt seoul ist labyrinthisch angelegt, lediglich der eingang – ein laden an einer ecke – lässt sich identifizieren. anhand seiner orte zeichnet the chaser das bild einer gesellschaft, die offenkundig jede illusion verloren hat, in der die ordnungskräfte bemüht aber hilfslos da überlastet und kaum gewertschätzt sind – offensichtlich einer der gründe, warum joong-ho seinen dienst quittierte. selbst das brutalo- und machogehabe der (ex-)polizisten ist hauptsächlich leere pose und gewöhnlicher umgangston, als dass es irgendeinen rest tougher coolness der maskulinen selbstermächtigung amerikanischer polizeigewaltsfantasien bezeugen würde.

    the chaser wurde 2008 als debütfilm von na hong-jin der dritterfolgreichste kinofilm. der kontrast zu den beiden noch erfolgreicheren filmen (die komödie scandal makers und der effektreich-alberne western the good, the bad, the weird, zu letzterem an anderer stelle mehr) könnte größer kaum sein. dass ein derart destruktiver, zutiefst skeptischer, hochspannender und kluger film mit so überzeugender figurenzeichnung und darstellung je in deutschland produziert und dann auch noch zu den drei erflogreichsten filmen des jahres zählen könnte, lässt sich angesichts eines dominierenden schweiger-schweighöfer-kinos in diesem land nicht vorstellen.

    na hong-jin: the chaser. südkorea 2008. 123min. fsk 18.